Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Leistungen für Unterkunft und Heizung. Angemessenheitsgrenze. Wohnungsgröße. Vergleichsraum. Schlüssiges Konzept. Mietspiegel. Möglichkeit und Zumutbarkeit der Kostensenkung. Kostensenkungsaufforderung. Übergangsfrist. Befristete Erwerbstätigkeit. Heizkostenspiegel. Einkommen
Leitsatz (amtlich)
Höhere als angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung sind, selbst bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Kostensenkung, in der Regel für längstens sechs Monate als Bedarf anzuerkennen (sog. Schonfrist).
In einem Ausnahmefall kann die Schonfrist kürzer sein. Bei einer von vornherein auf wenige Monate befristeten bedarfsdeckenden Erwerbstätigkeit handelt es sich bei der anschließenden Leistungsgewährung um einen derartigen Ausnahmefall.
Welche Dauer die reduzierte Schonfrist (hier dreieinhalb Monate) hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Mögliche Kriterien sind die Dauer der Erwerbstätigkeit, die Höhe des erzielten Erwerbseinkommens, in welchem Ausmaß die Angemessenheitsgrenze überschritten wird, die Anwendbarkeit der üblichen Kündigungsfrist nach § 573c BGB und ob im Vergleichsraum ein besonders angespannter Wohnungsmarkt besteht.
Normenkette
SGB II § 22 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 7 Abs. 1, § 9 Abs. 1; WoGG § 12
Tenor
I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 1. April 2011, S 8 AS 135/10, und der Bescheid vom 12.02.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2010 abgeändert und der Beklagte verurteilt, der Klägerin
für April 2008 zusätzlich 90,47 €,
für Mai und Juni 2008 jeweils zusätzlich 99,34 €,
für Juli 2008 zusätzlich 99,27 und
für August, September und Oktober 2008 jeweils zusätzlich 22,70 € zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat sechs Zehntel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt höheres Arbeitslosengeld II für die Zeit von 14.04.2008 bis 31.10.2008.
Die 1964 geborene Klägerin bezieht mit kurzer Unterbrechung seit 01.01.2005 Arbeitslosengeld II vom Beklagten. Davor bezog sie Arbeitslosenhilfe und Wohngeld.
Die Klägerin bewohnt seit 1998 eine Mietwohnung vom Baujahr 1962 mit drei Zimmern plus Küche und 79,5 qm Wohnfläche in A-Stadt. Bis 01.07.2007 wohnte dort auch die 1987 geborene Tochter der Klägerin. Die Klägerin bezahlte für die Wohnung zunächst 357,90 €, darin enthalten eine gleichbleibende Grundmiete von 322,11 € (gleich 630 Deutsche Mark) und 35,79 € für kalte Nebenkosten.
Heizung und Warmwasser wird durch Gas bereitgestellt. Hierfür zahlt die Klägerin monatliche Abschlagszahlungen an die Stadtwerke; im Januar und Februar jeden Jahres fallen allerdings keine Abschlagszahlungen an. Heizkosten wurden vor und nach dem Auszug der Tochter fortlaufend nur teilweise übernommen. Deswegen gab es mehrere Widersprüche und Klageverfahren.
Die Klägerin ist seit 2000 fortlaufend beim Steuerberater W. geringfügig beschäftigt, laut Lohnabrechnung für 100,- € je Monat. Nach den vorliegenden Unterlagen wurde Weihnachtsgeld lediglich im November 2008, 2009 und 2010 bezahlt.
Nach dem Auszug der Tochter wurde die Klägerin mit Schreiben vom 01.08.2007 darauf hingewiesen, dass die Kosten der Wohnung zu hoch seien. Es könnten nach sechs Monaten lediglich 275,- € monatlich zuzüglich Heizkosten als angemessen anerkannt werden.
Die bis 30.09.2007 laufende Bewilligung wurde zum 01.09.2007 wegen einer bis 31.01.2008 befristeten Erwerbstätigkeit der Klägerin aufgehoben. Die Klägerin war in dieser Zeit zu einem Nettolohn von etwa 970,- € monatlich beschäftigt. Nach dem Ende der Tätigkeit zum 31.01.2008 erhielt die Klägerin von 01.02.2008 bis 14.01.2009 Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Höhe von kalendertäglich 19,39 € bzw. monatlich 581,70 €. Daneben setzte sie die Tätigkeit beim Steuerberater fort.
Die Klägerin beantragte am 14.04.2008 erneut Leistungen nach SGB II. Dabei gab sie an, ein Auto zu besitzen. Ferner legte Sie eine Umsatzliste für ihr Girokonto Nr. 515593 für die Zeit von 02.05.2008 bis 01.08.2008 vor. Danach zahlte die Klägerin für die Autoversicherung im Quartal 61,22 €, für eine ADAC-Mitgliedschaft 79,50 €, ferner Beiträge für eine Privathaftpflichtversicherung, eine Hausratversicherung, eine Glasversicherung, 50,- € monatlich für einen Sparvertrag, 29,- € monatlich für eine Kranken-Zusatzversicherung und 10,- € monatlich für Lose. Die Klägerin unterhielt ein weiteres Girokonto Nr. 844241 als Lohnkonto.
Die Miete stieg zum 01.02.2008 durch Erhöhung der kalten Nebenkosten um 10,- € auf 45,79 € auf insgesamt monatlich 367,90 €. Die monatliche Rate für Gas betrug ab März 2008 bis einschließlich Dezember 2008 je 104,- €. Ende März 2008 erhielt die Klägerin letztmals 55,- € Wohngeld.
Nach mehreren Nachfragen wegen Kontoauszügen wurde der Klägerin mit Bescheid vom 12.02.2009 Arbeitslosengeld II für die Zeit von 14.04.2008 bis 31.10.2008 bewilligt:
* für 14. bis 30.04.20...