nicht rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherung. Versicherungsschutz. Schädigung der Leibesfrucht durch Einnahme von Thalidomid (“Contergan”). Berufungsschrift in italienischer Sprache. Rechtsbehelfsbelehrung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Vom Versicherungsschutz des § 555a RVO sind nicht die Fälle erfasst, in denen die Schädigung der Leibesfrucht als Folge eines vor der Schwangerschaft liegenden Versicherungsfalls eingetreten ist, z.B. wenn eine weiter bestehende unfallbedingte Gesundheitsstörung oder eine unfallbedingte Behandlungsmaßnahme die Schädigung herbeigeführt hat.

2. Eine Berufungsschrift in italienischer Sprache ist formgerecht und damit fristwahrend, wenn dies nach über- oder zwischenstaatlichem Recht vorgesehen ist (hier: Art. 84 Abs. 4 S. 1 EWG-Verordnung 1408/71 oder nunmehr Art. 76 Abs. 7 VO-EG Nr. 883/2004).

3. Über die zur Entgegennahme eines Rechtsbehelfs nach Art. 86 EWG-Verordnung 1408/71 (nunmehr Art. 81 EG-VO Nr. 883/2004) in Frage kommenden Stellen muss der Versicherte belehrt werden, damit die Frist für ein Rechtsmittel zu laufen beginnt. Es handelt sich nicht um Stellen i.s.v. §§ 84 Abs. 2, 91 Abs. 1 SGG.

 

Normenkette

RVO § 555a; SGG § 84 Abs. 2, § 91 Abs. 1; EWG-Verordnung 1408/71 Art. 86, 81, 84 Abs. 4 S. 1; VO-EG Nr. 883/2004 Art. 76 Abs. 7

 

Verfahrensgang

SG Augsburg (Entscheidung vom 04.11.2002; Aktenzeichen S 3 U 35/02)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 4. November 2002 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob der Klägerin Versicherungsleistungen nach einem Arbeitsunfall ihrer Mutter zustehen.

Die Klägerin ist italienische Staatsbürgerin und lebt in Italien. Sie kam 1962 in L. (Deutschland) mit Mißbildungen an beiden Händen und am linken Fuß zur Welt. Ihre Mutter, ebenfalls Italienerin, stand in der Zeit davor in einem Beschäftigungsverhältnis in Deutschland.

Im März 2000 wandte sich die Klägerin an die deutschen Behörden und machte geltend, ihre Mutter habe etwa im Oktober 1961 einen Arbeitsunfall erlitten, aufgrund dessen sie stationär behandelt worden sei. Während der stationären Behandlung seien ihr Medikamente verabreicht worden, darunter ein Stärkungsmittel, das sich später für die ungeborenen Kinder als schädlich erwiesen habe. Während die Klägerin zunächst vortrug, ihre Mutter könne nicht mehr sagen, welche Medikamente ihr verabreicht worden seien, wurde später ausgeführt, es habe sich um Thalidomid (Handelsname Contergan) gehandelt, das, obwohl es bereits aus dem Verkehr gezogen worden sei, in der Klinik weiter verabreicht worden sei.

Die weiteren Ermittlungen haben ergeben, dass die Mutter der Klägerin vom 23.05.1961 bis 22.05.1964 in Deutschland beschäftigt und bei der AOK versichert war. Die Unterlagen der AOK ergeben, dass die Mutter der Klägerin vom 27.07. bis 29.08.1961 arbeitsunfähig war. Als Grund ist eine Fingerverletzung durch Nähnadel angegeben, die als Arbeitsunfall bezeichnet ist. Daneben befindet sich die Diagnose einer Quetschung am Hals. Stationär war die Mutter der Klägerin im S. Krankenhaus R. vom 13. bis 15.08.1961. Der Grund der stationären Behandlung ist nirgends vermerkt, das Krankenhaus bzw. dessen Nachfolgeeinrichtung verfügt über keinerlei Unterlagen mehr, auch nicht darüber, ob in dieser Zeit Thalidomid verabreicht worden ist. Bei der Geburt der Klägerin ist vermerkt, dass es sich um eine Frühgeburt gehandelt habe.

Mit Bescheid vom 25.10.2000 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen ab. Die Klägerin sei als Frühgeburt geboren, nach der dafür maßgeblichen Berechnungsweise habe deshalb die Empfängnis frühestens am 15.08.1961 stattfinden können. Der Versicherungsschutz nach § 555 a RVO für die Leibesfrucht erstrecke sich nicht auf Unfälle, die vor der Schwangerschaft eingetreten seien. Zudem sei der Grund des Krankenhausaufenthaltes nicht mehr zu ermitteln, auch nicht mehr, welche Medikamente in der Klinik verabreicht worden seien.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, es sei unzutreffend, dass sie als Frühgeburt auf die Welt gekommen sei. Die Schwangerschaft sei vielmehr regelmäßig verlaufen, so dass die Empfängnis zwischen dem 01. und 14.08.1961 stattgefunden haben müsse. Später wurde von der Klägerin der Empfängniszeitraum auf die erste Augustwoche datiert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.09.2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Rechtsbehelfsbelehrung in deutscher wie italienischer Sprache nennt eine Klagefrist von drei Monaten und bezeichnet das Sozialgericht Augsburg als das zuständige Sozialgericht, bei dem die Klage einzureichen sei. Der mit Einschreiben/Rückschein am 26.09.2001 zur Post gegebene Bescheid wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin am 03.10.2001 ausgehändigt.

Die Klage vom 02.01.2002 ist der italienischen Verbindungsstelle am 04.01.2002 und dem Sozialgericht Augsburg am 08.01.2002 zugegan...

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