Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung: Arbeitsunfall bei einem Angriff auf einen Busfahrer
Leitsatz (amtlich)
1. Ist dem sozialgerichtlichen Verfahren ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren vorausgegangen, können die strafgerichtlichen Feststellungen sowie die Aussagen der Zeugen und des Angeklagten im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren auch im sozialgerichtlichen Verfahren zur Entscheidungsfindung herangezogen werden, wenn die Beteiligten keine substantiierten Einwendungen gegen diese vortragen, keine weitere Beweisaufnahme beantragen, und von den vorbezeichneten Feststellungen und Aussagen nicht abgewichen wird.
2. Ein Überfall (Unfallereignis) aus dem persönlichen Bereich des Versicherten zurechenbaren Gründen, den der Versicherte während einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit erleidet, kann einen Arbeitsunfall darstellen. Bei einem privaten Tatmotiv ist die Unfallkausalität anzunehmen, wenn die unversicherten Ursachen das Unfallgeschehen nach Ort, Zeitpunkt sowie Art und Weise des Überfalls nicht derart geprägt haben, dass sie die versicherte Ursache verdrängen.
3. Bei einem tätlichen Angriff auf einen Busfahrer liegen dem persönlichen Bereich zuzurechnende Gründe nicht vor, wenn der Angriff diesen allein aufgrund der beruflich bedingten Anwesenheit oder der Tatsache, dass dieser Publikumsverkehr ausgesetzt ist, trifft (z.B. aufgrund Verwechslung oder psychischer Erkrankung des Täters).Das Motiv ist jedoch privat, wenn der Versicherte den Täter zwar nicht kannte, die Tat aber in einer Affäre mit dessen Ehefrau wurzelt.
4. Zur Frage, wann der aus privaten Motiven ausgeübte Angriff auf einen Busfahrer im Linienbus wesentlich durch versicherte bzw. unversicherte Ursachen geprägt ist.
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 9. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung eines Messerangriffs während der Arbeit als Arbeitsunfall.
Der 1970 geborene Kläger, der damals als Busfahrer arbeitete, wurde am 13.7.2015 gegen 5:15 Opfer eines Messerangriffs in seinem am Busbahnhof S stehenden Bus. Dem Messerangriff lag folgender Sachverhalt zugrunde. Der Kläger hatte ca. 1-2 Monate vor der Attacke ein sexuelles Verhältnis mit der Ehefrau des Täters (D), begonnen, die mit dem Täter eine sog. "offene Ehe" vereinbart hatte. Vor der Tat war es zu drei Treffen der beiden gekommen, zwei davon in der Familienwohnung der D und des Täters. Der Kläger erfuhr von der Beziehung, da er eine Wildkamera zunächst im Garten und dann in der Familienwohnung aufgestellt und dabei beide im Wohnzimmer beobachtet hatte, wie sie Kaffee getrunken, sich geküsst und auch Familienfotos angesehen hatten. Am Freitag vor der Tat brachte der Täter seine damals 12-jährige Tochter R, die regelmäßig mit dem Bus zur Schule fuhr, zur Bushaltestelle. Dabei erkannte er den Kläger, der in dem entgegenkommenden Bus saß. Daraufhin kam es am Samstag zu einer familiären Aussprache, bei der die Kinder von dem Verhältnis erfuhren, und Auseinandersetzungen zwischen dem Täter und D, wobei diese leicht verletzt wurde.
Am darauffolgenden Montag (13.7.2015) fuhr der Täter früh zusammen mit D zunächst zur Bushaltestelle K und dann, weil im dort haltenden Bus nicht der Kläger saß, zum Busbahnhof S. Dort parkten die Eheleute ihr Auto und warteten auf den Bus. Der Täter hatte eine Umhängetasche mitgenommen, in der sich zunächst drei Messer und ein Gasrevolver befunden hatten; eines der Messer hatte der Kläger in K in seine Hosentasche gesteckt. Nachdem der vom Kläger gesteuerte Bus in die Bushaltestelle eingefahren war, betraten der Täter und D den Bus. Der Täter forderte vom Kläger dort Handy und Personalausweis, die dieser jedoch nicht herausgab, sondern vielmehr vorschlug, sich abends zu treffen. Sodann stach der Täter den Kläger mit drei Messerstichen in den Brust-/ Bauchbereich nieder. Der Kläger wurde stationär im Klinikum A unter den Diagnosen Stichverletzung / Stichwunde Thorax, sekundäre Wundheilung, psychische Belastung (ICD 10 Z 73) behandelt. In der Folgezeit übernahm die Beklagte die Kosten der Heilbehandlung, u.a. für eine psychotherapeutische Behandlung unter den Diagnosen mittelschwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und chronische Schmerzstörung mit körperlichen und psychischen Faktoren.
Mit Urteil des Landgerichts (LG) Nürnberg-Fürth vom 25.2.2016 (5 Ks 105 Js 1031/15), das rechtskräftig ist, wurde der Täter wegen versuchten Mordes mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt. Die 5. Strafkammer des LG sah es zur Vorgeschichte der Tat als erwiesen an, dass der Täter wenige Wochen vor der Tat von der Affäre seiner Ehefrau mit dem Kläger erfahren hatte, wusste, dass D den Kläger mit in das gemeinsame Haus gebracht hatte, und den Kläger am Freitag vor der Tat an der Bushaltestelle erkannt h...