Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Ernährungsbedingter Mehrbedarf. Laktoseintoleranz. Bedarf für Unterkunft und Heizung. Mietzinsforderung. Mietminderung. Einkommen. Rente. Rücknahme des Bewilligungsbescheids. Widerruf. Zweckverfehlung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer rechtswidrigen Festlegung eines Leistungsverwendungszweck in einem Bewilligungsbescheid ist ein Widerruf der Leistungsbewilligung wegen einer Zweckverfehlung nach § 47 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB X nicht möglich.
2. Tatsächliche Aufwendungen iSv § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II liegen bereits dann vor, wenn der Leistungsberechtigte einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist. Eine vom Leistungsberechtigten gegenüber seinem Vermieter erklärte, aber offensichtlich unwirksame Mietminderung lässt den Bedarf für Unterkunft nicht entfallen.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 S. 1, § 9 Abs. 1, § 11 Abs. 1 S. 1, § 19 Abs. 1, § 21 Abs. 5, § 22 Abs. 1 S. 1; BGB § 536 Abs. 1; SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2, § 47 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 50; SGG § 96 Abs. 1
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.06.2013 abgeändert. Die Ziffer I. des Bescheides vom 12.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2013 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage gegen den Bescheid vom 08.05.2012 in der Fassung der Schalterverwaltungsakte, des Änderungsbescheides vom 19.11.2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22.03.2013 und Ziffer II. des Bescheides vom 12.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2013 abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Auf die Klage des Klägers wird der Bescheid vom 19.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2014 aufgehoben, soweit der Beklagte damit die Bescheide vom 08.05.2012, 19.11.2012 und 12.12.2012 für September und November 2012 widerrufen und für diese Monate die erbrachten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zurückgefordert sowie diesbezüglich eine Aufrechnung erklärt hat.
III. Der Beklagte hat dem Kläger 1/3 seiner außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der zu gewährenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.06.2012 bis 30.11.2012 insbesondere in Bezug auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf.
Nach seinem Umzug aus dem X-Kreis bezog der Kläger ab 01.11.2005 Alg II vom Beklagten. Er leidet insbesondere unter einer Laktose- und Fruktoseintoleranz und bezog ab 01.11.2010 eine arbeitsmarktbedingte Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit mit einem monatlichen Zahlbetrag ab 01.07.2011 iHv 616,49 €. Ausweislich des Mietvertrages beträgt die Miete für die ab 01.12.2011 bezogene Wohnung 200 € zzgl. Nebenkosten iHv 18,50 € und Heizkosten (Holz und Öl) iHv 50 €. Für Wasser- und Kanal ist ein monatlicher Abschlag von 48 € sowie zweimal jährlich für den Kaminkehrer je 24,52 € zu zahlen. Das Bad und das WC haben keine Heizung.
Auf den Fortzahlungsantrag vom 26.04.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 08.05.2012 Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.06.2012 bis 30.11.2012 iHv monatlich 195,96 € (Regelleistung 374 €, ernährungsbedingter Mehrbedarf 77 € und anerkannten Kosten für Unterkunft und Heizung 311,59 €, abzüglich Rente 616,49 € bereinigt um 30 € Versicherungspauschale und 19,86 € Kfz-Haftpflichtver-sicherung). Die Kosten der Unterkunft und Heizung setzten sich aus 200 € Grundmiete, 50 € Heizung und 61,59 € Nebenkosten zusammen. Der Kläger sei verpflichtet, die im Berechnungsbogen berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung vollständig an seinen Vermieter weiterzuleiten. Nur bei vollständiger Begleichung der berücksichtigten Kosten stehe der Leistungsanspruch in dieser Höhe zu. Sollte dies nicht erfolgen, müsse mit dem Widerruf des Bescheides gerechnet werden. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und trug insbesondere vor, der ernährungsbedingte Mehrbedarf sei mit 77 € zu niedrig bemessen. Es seien vielmehr 900 € monatlich zu zahlen oder Kosten für Essen auf Rädern zu übernehmen. Für Unterkunft und Heizung würden Kosten iHv 368,59 € monatlich anfallen (Grundmiete 200 €, 50 € Öl/Holz, 48 € Beheizen Bad und WC mit Strom, 18,50 € Müll, 4,09 € Kaminkehrer und 48 € Kochstrom).
Ohne weiteren Änderungsbescheid (Schalterakte durch Auszahlungsanordnung) zahlte der Beklagte ab 01.06.2012 tatsächlich Alg II iHv 228,56 € monatlich aus (Regelleistung 374 €, ernährungsbedingter Mehrbedarf 77 €, Warmwasser 8,60 € und anerkannten Kosten für Unterkunft und Heizung 335,59 €, abzüglich Rente 616,49 € bereinigt um 30 € Versicherungspauschale und 19,86 € Kfz-Haftpflichtversicherung). Die Kosten der Unterkunft und Heizung setzten sich aus 200 € Grundmiete, 50 € Heizung, 70,59 € Nebenkosten und 15 € Stromheizung Bad und WC zusammen.
Nachdem der Kläger im Rahmen eines Fo...