Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Kindergeld für volljähriges Kind
Orientierungssatz
Kindergeld für ein im Haushalt der Eltern lebendes volljähriges Kind, das von der Familienkasse auf das Konto des Kindes ausgezahlt wird, ohne dass eine Abzweigung nach § 74 Abs 1 EStG vorliegt, ist als Einkommen nach § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 dem kindergeldberechtigten Elternteil zuzurechnen.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. März 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II -) für die Zeit vom 01.07.2005 bis 31.03.2006 nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) streitig.
Der 1946 geborene Kläger wohnt mit seinen beiden volljährigen Kindern (geboren 1980 und 1983) zusammen in einer Wohnung. Die Beklagte bewilligte ihm mit Bescheiden vom 25.07. und 21.09. 2005 für die Zeit vom 01.07. bis 30.09.2005 bzw. 01.10.2005 bis 31.03.2006 folgende Leistungen: für Juli 600,79 EUR unter Anrechnung des Kindergeldes von 154,00 EUR als Einkommen, für August 2005 403,45 EUR unter Berücksichtigung des Kindergeldes von 266,93 EUR, für September 320,19 EUR unter Anrechnung des Kindergeldes von 308,00 EUR und für die Zeit ab Oktober 2005 in Höhe 67,00 EUR unter Berücksichtigung des Kindergeldes von 308,00 EUR.
Gegen diese Bescheide legte der Kläger am 11.08.2005 und 06.10. 2005 jeweils Widerspruch mit der Begründung ein, das Kindergeld werde direkt an die Kinder ausbezahlt, dieses sei deshalb nicht als sein Einkommen zu berücksichtigen, sondern als Einkommen des Kindes anzurechnen, für das es gezahlt werde. Die Familienkasse teilte diesbezüglich am 09.09.2005 mit, dass das Kindergeld für M. auf dessen Konto überwiesen werde, es liege jedoch keine Abzweigung, sondern nur eine Kontoänderung vor. Nach den Angaben des Klägers im Klageverfahren hat er bei der Familienkasse als Überweisungskonto die Bankverbindung der Kinder angegeben.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 12.09.2005 und 17.10.2005 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Das Kindergeld für volljährige Kinder sei grundsätzlich Einkommen des Kindergeldberechtigten und daher nach § 11 SGB II anzurechnen. Dies ergebe sich aus dem Umkehrschluss zu § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II, nach dem nur das Kindergeld für minderjährige Kinder als deren eigenes Einkommen zu berücksichtigen sei. Kindergeldberechtigt sei nach § 63 Abs. 2 i.V.m. § 64 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) der Kläger, da die Kinder in seinen Haushalt aufgenommen seien. Eine andere Betrachtung könne sich nur ergeben, wenn das Kind die Auszahlung des Kindergeldes gemäß § 74 EStG an sich selbst beantrage. Dies sei aber hier nicht der Fall.
Gegen die Widerspruchsbescheide erhob der Kläger am 06.10.2005 und 14.11.2005 jeweils Klage zum Sozialgericht München (SG). Zur Begründung machte er geltend, der Umkehrschluss, den die Beklagte aus § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II ziehe, sei unzutreffend. Die Vorschrift müsse vielmehr dahingehend verstanden werden, dass selbst das Kindergeld für minderjährige Kinder diesen als Einkommen anzurechnen sei. Für volljährige Kinder gelte dies dann erst recht.
Das SG hat die beiden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide mit Urteil vom 07.03.2006 verurteilt, dem Kläger die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.07.2005 bis 31.03.2006 ohne Anrechnung des Kindergeldes zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Kindergeld sei Einkommen dessen, der es erhalte. § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II gelte nur für minderjährige Kinder und § 1 Abs. 1 Nr. 8 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) betreffe nur volljährige Kinder, die nicht im Haushalt des Hilfebedürftigen leben. Es sei daher auf § 9 Abs. 5 SGB II abzustellen. Sofern die Kindergeldkasse auf Wunsch des Kindergeldberechtigten das Kindergeld direkt auf das Konto des Kindes auszahle, sei das Kindergeld kein Einkommen des Kindergeldberechtigten, weil es ihm nicht zufließe und er keine bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit habe. Eine Weitergabe des Kindergeldes vom Kindergeldberechtigten an das volljährige Kind liege hier nicht vor. Aus dem Umstand, dass von der Familienkasse kein Verwaltungsakt nach § 74 EStG erlassen worden sei, folge kein anderes Ergebnis. Zwar sei in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) anerkannt, dass bei einer Zahlung an einen Dritten der Kindergeldberechtigte Leistungsempfänger bleibe, wenn die Kindergeldkasse nur auf Grund einer Zahlungsanweisung des Berechtigten die Auszahlung vornehme, weil die Kindergeldkasse in diesem Fall mit dem Willen handele, ihre kindergeldrechtliche Verpflichtung gegenüber dem Berechtigt...