Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Fiktion der Klagerücknahme. Anforderungen an eine Betreibensaufforderung. Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Zurückverweisung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens muss erkennen lassen, dass sie vom Richter veranlasst wurde und es sich nicht nur um einen Entwurf handelt.
2. Ist keine Klagerücknahmefiktion gemäß § 102 Abs. 2 SGG eingetreten, entscheidet das Berufungsgericht gemäß § 159 SGG über die Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 06.03.2015 aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht München zurückverwiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die am 13.12.2013 beim Sozialgericht München (SG) eingegangene Klage als zurückgenommen gilt und ob der Kläger Anspruch auf Leistungen nach Pflegestufe I hat.
Mit Bescheid vom 10.12.2013 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Leistungen aus der Pflegeversicherung ab. Den vom Klägerbevollmächtigten eingelegten, aber nicht begründeten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.2013 zurück.
Mit Klageschriftsatz vom 10.12.2013 hat sich der Klägerbevollmächtigte gegen den Bescheid der Beklagten vom 05.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 04.12.2013 gewandt und Klagebegründung mit gesondertem Schreiben angekündigt, ohne Anträge zu stellen (Az.: S 20 P 411/13).
Mit Schreiben vom 17.12.2013 hat das SG den Klägerbevollmächtigten zur Klagebegründung, zur Vorlage einer schriftlichen Vollmacht und zur Rücksendung der ausgefüllten und unterschriebenen beigefügten Vordrucke aufgefordert und um Mitteilung gebeten, ob der Kläger für eine eventuelle Untersuchung oder für die mündliche Verhandlung einen Dolmetscher benötigt. Die Vordrucke betrafen die Entbindungserklärung von der Geheimhaltungs- und Schweigepflicht sowie einen Fragebogen über Medizinische Behandlungen bzw. Leistungsbezug.
Die Vollmacht hat der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 12.02.2014 zugesandt. Mit Schreiben vom 10.03.2014 hat das SG an Erledigung des Schreibens vom 17.12.2013 erinnert. Die dafür vom Klägerbevollmächtigten am 08.04.2014 beantragte Fristverlängerung bis 30.05.2014 ist gewährt worden.
In einem als Richterbrief gefasstem Schreiben vom 04.06.2014 ist der Klägerbevollmächtigte letztmalig unter Hinweis auf § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgefordert worden, die Klagebegründung und die ausgefüllten und unterschriebenen Vordrucke vorzulegen und mitzuteilen, ob der Kläger einen Dolmetscher benötigt. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf dieses Schreiben Bezug genommen. Es ist dem Klägerbevollmächtigten ausweislich der Postzustellungsurkunde (PZU) am 07.06.2014 durch Einlegen in den zum Geschäftsraum seiner Kanzlei gehörenden Briefkasten zugestellt worden.
Weitere Schreiben des Klägerbevollmächtigten sind beim SG nicht eingegangen.
Daraufhin hat das SG den Beteiligten mit Schreiben vom 16.09.2014 mitgeteilt, dass der Klägerbevollmächtigte das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrieben habe und die Klage somit als zurückgenommen gelte (§ 102 Abs. 2 SGG).
Am 10.10.2014 hat der Klägerbevollmächtigte vom SG Fortsetzung des Verfahrens begehrt, weil die Voraussetzungen von § 102 Abs. 2 SGG nicht vorliegen würden. § 102 Abs. 2 SGG setze eine Betreibensaufforderung durch das Gericht voraus. Weiter heißt es: "Diese befindet sich in unserer Akte. Das letzte in unserer Akte befindliche Schreiben des Gerichts ist die Fristverlängerung bis 30.05.2014." Eine Betreibensaufforderung könne nicht an eine fehlende Klagebegründung oder Stellungnahme geknüpft werden, da die Klage nach § 92 SGG nur begründet werden solle, aber nicht begründet werden müsse. Die Aufforderung müsse sich auf eine konkrete verfahrensfördernde Handlung beziehen. Auf die in diesem Schreiben enthaltenen Klageanträge und die Klagebegründung werde verwiesen.
Nach Anhörung der Beteiligten zu einer Entscheidung mittels Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG stellte das SG mit Gerichtsbescheid vom 06.03.2015, dem Klägerbevollmächtigten zugestellt am 11.03.2015, fest, dass der Rechtsstreit unter dem Az. S 29 P 411/13 als zurückgenommen gilt gemäß § 102 Abs. 2 SGG. Die Zustellung der Betreibensaufforderung an den Klägerbevollmächtigten sei laut PZU am 07.06.2014 erfolgt. Zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung hätten begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses bzw. für ein Desinteresse des Klägers an der Verfolgung seines Begehrens bestanden. Denn aus der Klageschrift sei außer den angegriffenen Bescheiden nichts zu entnehmen gewesen und die Beklagte habe mit Schreiben vom 19.12.2013 zu erkennen gegeben, dass sie erst nach Klagebegründung und Antragstellung zum Klagebegehren sinnvoll Stellung nehmen könne. Auf die gerichtliche Aufforderung zur Klagebegründung und zur Übersendun...