Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Klagerücknahmefiktion. erstinstanzliches Urteil über die Prozessbeendigung. Endurteil. Berufung. Gegenstand des Berufungsverfahrens. Verneinung der Prozessbeendigung durch das Berufungsgericht. Entscheidung über prozessuale Ansprüche
Orientierungssatz
1. Bei dem die Beendigung des Rechtstreits (durch fiktive Klagrücknahme) feststellenden Urteil handelt es sich prozessual um ein Endurteil (vgl LSG München vom 14.12.2016 - L 2 P 19/15 = juris RdNr 31; BVerwG vom 12.11.1993 - 2 B 151/93 = NVwZ-RR 1994, 362 = juris RdNr 2 und vom 11.12.2007 - 2 B 86/07 = HFR 2009, 1039 = juris RdNr 14; OVG Koblenz vom 22.11.2011 - 8 A 11101/11 = DVBl 2012, 250 = juris RdNr 22). Mit der Berufung gegen dieses Urteil sind auch die im Ausgangsverfahren erhobenen prozessualen Ansprüche in vollem Umfang in der Berufungsinstanz anhängig geworden (sog Devolutiveffekt).
2. Sofern das Berufungsgericht die Prozessbeendigung verneint, ist es ist daher befugt und grds auch verpflichtet, über die prozessualen Ansprüche der Kläger in der Sache zu entscheiden, obwohl das SG über diese - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht befunden hat (BVerwG vom 11.12.2007 - 2 B 86/07 aaO, RdNr 14; LSG München vom 14.12.2016 - L 2 P 19/12 aaO).
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 25. April 2019 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird an das Sozialgericht Cottbus zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist zunächst, ob die von den Klägern vor dem Sozialgericht (SG) Cottbus erhobene Klage als zurückgenommen gilt.
Die 1959 geborene Klägerin zu 1 und ihr 1945 geborener Ehemann sind die Eltern des 1997 geborenen Klägers zu 2, der 1998 geborenen Klägerin zu 3 und der 2000 geborenen Klägerin zu 4. Die Kläger wohnten auch im streitigen Zeitraum zusammen mit dem Ehemann der Klägerin zu 1 in einer Mietwohnung unter der im Rubrum angegebenen Adresse.
Im streitigen Zeitraum bezog die Klägerin zu 1 Kindergeld für die Kläger zu 2 bis 4 und ihr Ehemann eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Der Beklagte gewährte den Klägern jeweils Arbeitslosengeld II für Mai 2016 bis Oktober 2016 (Bescheid vom 20. April 2016). Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch, mit dem die Kläger jeweils höhere Leistungen für Mai 2016 bis Oktober 2016 begehrten, rügten sie, der Beklagte sei in der Summe von zu hohen monatlichen Kindergeldzahlungen ausgegangen. In der Folge änderte der Beklagte die Leistungsansprüche der Kläger zunächst für Mai 2016 bis Oktober 2016 dahingehend, dass er der Klägerin zu 1 und der Klägerin zu 4 jeweils höhere Ansprüche für diesen Zeitraum zuerkannte und die Ansprüche des Klägers zu 2 und der Klägerin zu 3 jeweils für diesen Zeitraum absenkte, wobei der Beklagte als Grund der Änderung die Überprüfung der Kindergeldzahlungen angab (Änderungsbescheid vom 23. Mai 2016). Schließlich änderte der Beklagte wegen der Anpassung der Rente des Ehemanns der Klägerin zu 1 zum 01. Juli 2016 die Leistungsansprüche der Kläger für August 2016 bis Oktober 2016 erneut, wobei die den Klägern zu 1 bis 3 zuerkannten Leistungsansprüche für diesen Zeitraum nunmehr hinter den ursprünglichen Bewilligungen für diesen Zeitraum zurückblieben, während die der Klägerin zu 4 zuerkannten Leistungsansprüche für diesen Zeitraum zwar hinter der vorangegangenen Bewilligung für diesen Zeitraum zurückblieben aber höher ausfielen als die ursprüngliche Bewilligung für diesen Zeitraum (Änderungsbescheid vom 12. Juli 2016). Zudem hob der Beklagte die den Klägern für Juli 2016 zuerkannten Leistungsansprüche in der Höhe des jeweiligen Unterschiedsbetrages zwischen der ursprünglichen Bewilligung für diesen Monat und der ersten Änderungsbewilligung auf und forderte von den Klägern jeweils Erstattung, und zwar von der Klägerin zu 1 in Höhe von 17,69 EUR und von den Klägerinnen zu 3 und 4 jeweils in Höhe von 8,44 EUR (erster Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 12. Juli 2016 ) und von dem Kläger zu 2 in Höhe von 10,17 EUR (zweiter Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 12. Juli 2016). Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte als unbegründet zurück; die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen könnten nur in Höhe von 20 vH erstattet werden, weil nur der Widerspruch für die Klägerin zu 4 erfolgreich gewesen sei (Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2016). Gegenstand des Widerspruchsverfahrens seien gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Änderungsbescheide vom 23. Mai 2016 und vom 12. Juli 2016 geworden.
Die Kläger haben „gegen den Bescheid vom 20.04.2016 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.05.2016 und der Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 12.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2016“ vor dem Sozialgericht (SG) Cottbus Klage erhoben (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 29. August 2016), die unter dem Aktenzeichen S 2 AS 1966/16 registriert wurde. Der Klage beigefügt waren der Bewilligungsbesc...