Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Statthaftigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage. Wiederholungsgefahr. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Höhe vorläufiger Leistungen. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. selbstständige Tätigkeit. Durchschnittseinkommen. Betriebsausgaben und Freibeträge. Beiträge zur Rechtsanwaltskammer und zur Versorgungskammer
Leitsatz (amtlich)
1. Zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage zur Höhe der vorläufig bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei Wiederholungsgefahr.
2. Auch im Rahmen der vorläufigen Bewilligung hat sich die Berechnung des monatlich anzurechnenden Einkommens Selbständiger grundsätzlich an § 3 Alg II-V (juris: AlgIIV 2008) zu orientieren. Die Berücksichtigung eines monatlichen Durchschnittseinkommens nach § 3 Abs 4 Alg II-V ist hier nicht von vornherein ausgeschlossen.
3. Beiträge zu einer anwaltlichen Versorgungskammer sind keine Betriebsausgaben, da sie Absetzbeträge nach § 11b Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II darstellen. Damit unterfallen sie bei einem monatlichen Einkommen von bis zu 400 Euro dem pauschalen Absetzbetrag nach § 11b Abs 2 S 1 SGB II, ohne dass der konkrete Nachweis höherer Belastungen möglich wäre.
4. Pflichtbeiträge zur Rechtsanwaltskammer sind als Betriebsausgabe in dem Bewilligungsabschnitt zu berücksichtigen, in dem sie fällig werden.
Tenor
I. Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19.12.2018 wird abgeändert und festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 05.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2017 insoweit rechtswidrig ist, als für Januar bis Juni 2017 für den Regelbedarf des Klägers um 21,74 € monatlich zu geringe Leistungen bewilligt worden sind.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger 1/10 seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der für den Zeitraum von Januar bis Juni 2017 vorläufig bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1973 geborene Kläger ist als Rechtsanwalt tätig - seit 01.04.2012 freiberuflich in einer eigenen Kanzlei - und bezieht vom Beklagten seit Dezember 2008 (aufstockendes) Alg II. Er bewohnt ausweislich eines Mietvertrages vom 17.05.2010 eine möblierte Einliegerwohnung im Haus seiner Eltern, für die er eine Grundmiete iHv 120 € und eine monatliche Nebenkostenpauschale iHv 80 € zu zahlen hat.
Mit Bescheid vom 19.02.2009 erteilte die Deutsche Rentenversicherung Bund dem Kläger auf dessen Antrag eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ab 05.12.2008 während des Bezuges von Alg II wegen der Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung. Nach dem Beitragsbescheid der Bayerischen Versorgungskammer (Versorgungskammer) vom 05.07.2016 hatte der Kläger ab Juli 2016 einen Pflichtbeitrag (Versorgungsabgabe) iHv monatlich 231,90 € zu zahlen. Den Berechnungsunterlagen nach berücksichtigte der Beklagte diese Beiträge zuletzt im Rahmen der vorläufigen Bewilligung für die Zeit von Juli bis Dezember 2016 als Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung nach § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II neben einem Grundfreibetrag nach § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II. Auf einen Weiterbewilligungsantrag vom 17.11.2016 - hier gab der Kläger einen voraussichtlichen Gewinn von monatlich 350 € und zusätzlich Beiträge zur Versorgungskammer iHv monatlich 231,90 €, einen Beitrag zu einer gesetzlich vorgeschriebenen Haftpflichtversicherung iHv 107,70 € "halbjährlich" und einen Beitrag zur Rechtsanwaltskammer B-Stadt (RAK) iHv 162,50 € "halbjährlich" an - bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 05.12.2016 für die Zeit von Januar bis Juni 2017 vorläufig Alg II iHv monatlich 385 €. Nach den vom Kläger gemachten Angaben werde von einem monatlichen Durchschnittseinkommen iHv 350 € ausgegangen, das auf den Leistungsanspruch anzurechnen sei. Nach den Akten des Beklagten wurden dabei für den Beitrag zur RAK als Betriebsausgabe monatlich 27 € berücksichtigt, nicht aber der Beitrag zur Versorgungskammer. Beim Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung nahm der Beklagte einen Abschlag von 20% bei der Grundmiete für die Vollmöblierung vor und berücksichtigte lediglich 96 € monatlich. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er habe einen Anspruch auf Leistungen iHv monatlich 585 €, da die Beiträge an die Versorgungskammer iHv monatlich 231,90 € zu berücksichtigen seien. Es handele sich um Betriebsausgaben. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.01.2017 zurück. Die Pflichtbeiträge zur Versorgungskammer seien nicht als Betriebsausgaben anzuerkennen, da es sich um einen Beitrag zur Alterssicherung handle und dieser nach § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3b SGB II abzusetzen sei. Da der erwartete Gewinn 400 € nicht übersteige, könne nur ein Pauschbetrag iHv 150 € abgesetzt werden, so dass von dem errechneten Gewinn von 350 € ein Einkommen iHv 200 € anzurechnen sei...