Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahlanfechtungsklage, Anfechtungsberechtigung, Grundsatz der Chancengleichheit. Mandatsrelevante Wahlmängel. Neutralitätsgebot. Öffentlichkeitsarbeit der Kassenärztlichen Vereinigung. Sozialgerichtliches Verfahren: Klage auf Feststellung der Ungültigkeit einer Wahl zur Vertreterversammlung einer Kassenzahnärztlichen Vereinigung. Anfechtungsberechtigte bei Wahlanfechtungsklagen. Wahlrechtsgrundsätze
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Wahlanfechtungsklagen ist der Kreis der Anfechtungsberechtigten weit zu ziehen. Ein Anfechtungsrecht ist daher für alle Wahlberechtigten im Allgemeinen zu bejahen.
2. Die Auslegung, welche die in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG niedergelegten und teilweise in § 80 Abs. 1 Satz 1 SGB V aufgeführten Wahlrechtsgrundsätze in der Rechtsprechung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts erfahren haben, gilt auch für die Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen der Kassenärztlichen Vereinigung (BSG, 28. Januar 1998, B 6 KA 98/96 R).
Normenkette
SGG § 131 Abs. 4; GG Art. 38 Abs. 1 S. 1; SGB IV § 57 Abs. 2
Tenor
I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 03.07.2013, S 21 KA 5160/10, wird zurückgewiesen.
II. Die Kläger und Berufungskläger tragen auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren die Feststellung der Ungültigkeit der Wahl zur Vertreterversammlung für die Legislaturperiode 2011 bis 2016. Sie sind in Bayern als Zahnärzte zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen.
Am 10.2.2010 setzte der Landeswahlleiter die Wahlzeit für die Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns (KZVB) für den Zeitraum vom 14.7.2010 bis zum 22.7.2010 fest. Die Wahlbekanntmachung erfolgt am 28.5.2010. Die Mitglieder des bis zur Wahl amtierenden Vorstandes der Beklagten (Legislaturperiode 2005 - 2010) gehörten dem Verband Zukunft Zahnärzte Bayern e.V. (ZZB) an. Sein Vorsitzender, Dr. R., stand in dieser Zeit als Vorstandsvorsitzender der Beklagten vor. In der davor liegenden Legislaturperiode gehörten die Mitglieder des KZVB-Vorstands dem Freien Verband Deutscher Zahnärzte e.V. (FVDZ) an. Im Vorfeld der Wahl zur Vertreterversammlung in der Legislaturperiode 2011 - 2016 hatte sich der FVDZ mit Schreiben vom 1.6.2010 an den Landeswahlleiter gewandt mit dem Vorwurf, dass von der Beklagten Publikationen veröffentlicht würden, für die Dr. R, der zugleich Vorsitzender des ZZB sei, ausweislich des Impressums verantwortlich zeichne und die gegen den Verband FVDZ gerichtet seien. Man befürchte, dass dadurch die Chancengleichheit als allgemeiner Wahlgrundsatz bei der bevorstehenden Wahl in erheblichem Umfang gefährdet sei. Nach Einholung einer Stellungnahme der Beklagten (Schreiben vom 18.6.2010), in der dieser Vorwurf bestritten wurde, leitete der Landeswahlleiter das Schreiben an das beigeladene Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) als Rechtsaufsichtsbehörde weiter mit der Bitte, in eigener Zuständigkeit über ein etwaiges Einschreiten zu entscheiden. Mit Schreiben vom 13.7.2010 teilte das StMGP der Beklagten mit, es sehe derzeit keinen Anlass für rechtsaufsichtliche Maßnahmen, da die kritisierten Artikel bereits im Mai 2010 erschienen seien und nicht davon ausgegangen werde, dass die Beklagte nochmals ähnliche oder vergleichbare Artikel vor den bereits vom 14. bis 22.7.2010 stattfindenden Wahlen veröffentlichen werde. Man dürfe den Vorgang jedoch zum Anlass nehmen, nochmal auf die insbesondere in der Vorwahlzeit besonders verstärkte Neutralitätspflicht hinzuweisen.
Am 24.7.2010 wurde das Wahlergebnis festgestellt und den Wahlberechtigten am 28.7.2010 als Sonderrundschreiben mit einfacher Post mitgeteilt. An den Wahlen beteiligten sich drei Wahlvorschläge. Wahlvorschlag 1 reichte der Freie Verband Deutscher Zahnärzte e.V. (FVDZ) Bayern ein, Wahlvorschlag 2 stammte von dem Verband Zukunft Zahnärzte Bayern e.V. (ZZB), ein dritter Wahlvorschlag (Stop) wurde von einem einzelnen Zahnarzt eingereicht. Nach der Satzung der Beklagten (§ 4) beträgt die Zahl der ordentlichen Mitglieder der Vertreterversammlung und ihrer Stellvertreter je 24. Jeder Arzt hat 24 Stimmen. Er muss sein Stimmenkontingent nicht ausschöpfen, darf aber einem Bewerber nicht mehr als eine Stimme geben. Der Landeswahlausschuss hat nach Durchführung der Briefwahl bei einer Wahlbeteiligung vom 54,2 % folgendes Ergebnis festgestellt: Wahlberechtigt waren 9299 Mitglieder. An der Wahl nahmen 5038 Wähler teil. Abgegeben wurden 4927 gültige und 111 ungültige Stimmzettel. Insgesamt wurden 88.955 Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf den Wahlvorschlag 2 (ZZB) 46.616 Stimmen, auf den Wahlvorschlag 1 (FVDZ) 41.375 Stimmen und auf die Wahlliste "Stop" 964 Stimmen. Unter Anwendung des in § 16 Abs. 5 Wahlordnung der KZVB vorgesehenen Höchstzahlverfahrens nach d’Hondt hat der Landeswahlausschuss hinsichtlich der Sitzverteilung in der Vertreterversammlung festgestellt, dass auf den Wahlvo...