Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsminderungsrente: Rentenrechtliche Relevanz einer psychischen Erkrankung

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung.

 

Orientierungssatz

Psychische Erkrankungen werden erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG, 12. September 1990, 5 RJ 88/89, BSG, 29. März 2006, B 13 RJ 31/05 R).

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.02.2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der 1956 geborene Kläger erlernte den Beruf eines Schreiners und legte die Meisterprüfung ab. Nach Angaben der Firma H. A. war der Kläger zuletzt als Meister mit der Gehaltsgruppe M1 versicherungspflichtig in Vollzeit beschäftigt.

Im Mai 2011 wurde dem Kläger vom C., Versorgungsamt ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 zuerkannt, der ab Juni 2012 auf 50 erhöht wurde. Zugrunde lagen folgende Gesundheitsstörungen:

1. Chronisch venöse Insuffizienz, Funktionsbehinderung des Kniegelenkes links, Knorpelschäden am Kniegelenk rechts, Funktionsstörung durch Fußfehlform beidseits (Einzel-GdB 40).

2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen (Einzel-GdB 30).

3. Schwerhörigkeit beidseits, Ohrgeräusche beidseits (Tinnitus) (Einzel-GdB 10).

Am 05.08.2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Leistung zur stationären medizinischen Rehabilitation. Diese wurde bewilligt und der Kläger befand sich vom 24.09.2013 bis 15.10.2013 in der A.-Klinik in Bad S.. Im dortigen Entlassungsbericht vom 05.11.2013 wurden als Diagnosen aufgeführt:

1. Chronisches LWS-Syndrom.

2. Cervicobrachial-Syndrom.

3. Impingement-Syndrom der Schulter.

4. Muskelkrankheit, nicht näher bezeichnet.

Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Umfang von täglich sechs Stunden und mehr ausüben. Es müsse sich um Tätigkeiten ohne häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 15 kg, ohne einseitige körperliche Belastungen wie vornübergebeugte Körperhaltung, ohne Oberkörperrotationen und ohne Zwangshaltungen handeln. Aufgrund dieser Einschränkungen sei er im Beruf des Schreiners nur noch unter drei Stunden einsatzfähig. Es liege Arbeitsunfähigkeit vor, die Wegefähigkeit sei gegeben.

Daraufhin beantragte die zuständige Krankenkasse, die AOK Bayern, bei der Beklagten die Umdeutung des Rehabilitationsantrages in einen Rentenantrag unter Einschränkung des Dispositionsrechts des Klägers.

Mit Bescheid vom 12.06.2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 01.10.2013 gemäß § 240 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), wobei anfänglich ein monatlicher Betrag von 476,02 Euro gezahlt wurde. Eine weitergehende Rentengewährung wegen voller Erwerbsminderung lehnte sie ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.

Der Kläger bezog in der Folgezeit allerdings weiter Krankengeld, auf das ein Erstattungsanspruch erhoben wurde. Nach Angaben des Klägers wurden derartige Sozialleistungen bis Februar 2015 bezogen. Der Kläger gab auch an, dass von der zuständigen Berufsgenossenschaft eine Berufskrankheit anerkannt sei. Die Bundesagentur für Arbeit teilte seinerzeit mit, dass sie vom 22.02.2015 bis 23.02.2017 Arbeitslosengeld bewillige und insofern Erstattungsansprüche der Beklagten berücksichtige.

Mit Schreiben vom 05.07.2014 legte der Kläger am 07.07.2014 Widerspruch gegen den Rentenbescheid ein, da er seit dem 30.10.2013 ununterbrochen krank sei. Er sei aufgrund seiner Erkrankung derzeit nicht leistungsfähig genug, um einer Beschäftigung nachzugehen. Weiter trug der Kläger vor, dass der Arbeitsmarkt verschlossen sei; er sei Schreinermeister und berufe sich auf Berufsschutz.

Die Beklagte ließ ein Gutachten durch den Orthopäden Dr. Sch. erstellen, der den Kläger am 04.11.2014 untersuchte. Er beschrieb

1. ein rezidivierendes rechtsseitiges cervicobrachiales Syndrom bei kernspintomografisch festgestellten mäßigen degenerativen Veränderungen im Segment C3/C4,

2. ein Impingement-Syndrom des rechten Schultergelenkes bei kernspintomografisch festgestellter Teilläsion der Supraspinatussehne,

3. rezidivierende tiefsitzende Kreuzschmerzen bei Fehlhaltung der LWS, mäßigen degenerativen Veränderungen und einer muskulären Dysbalance mit pseudoradikulärer Ausstrahlung links sowie

4. eine mäßiggradige Chondropathia patellae links.

Der Kläger könne die Tätigkeit als Schreinermeister höchstens drei bis unter sechs Stunden täglich ausüben. Andere leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in temperierten, geschlossenen Räumen überwiegend im Sitzen, unterbrochen durch zeitweises Stehen und Gehen, ohne Überkopfarbeiten rechts, ohne wiederholte Ru...

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