Entscheidungsstichwort (Thema)

Alterssicherung der Landwirte. Ehefrau eines Landwirts. Befreiung von der Versicherungspflicht. verspätete Antragstellung. Rückwirkung. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 4 zweiter Halbsatz ALG ist nicht verfassungswidrig; sie verstößt insbesondere weder gegen das Rückwirkungsverbot noch gegen die Grundrechte der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 GG, Art. 6 und Art. 14 GG.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 4. August 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig zwischen den Beteiligten ist die rückwirkende Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht als Ehefrau eines Landwirts.

Die 1983 geborene Klägerin ist seit 08.08.2010 mit dem Beigeladenen verheiratet. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 04.01.2005 wurde festgestellt, dass der Beigeladene als Landwirt für die Zeit ab 01.01.2005 bei der Beklagten versicherungs- und beitragspflichtig ist. In einem Begleitschreiben vom 04.01.2005 an den Beigeladenen wurde darauf hingewiesen, dass ab 01.01.1995 alle Ehegatten der landwirtschaftlichen Unternehmer zur Beitragspflicht zu veranlagen sind, sofern nicht Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes vorliege oder eine Befreiung auf Antrag möglich sei. Zur Vervollständigung der Unterlagen wurde der Beigeladene gebeten, in einem beigefügten Formular innerhalb von zwei Wochen Auskunft über den Familienstand zu geben.

Am 25.02.2011 benachrichtigte der Beigeladene die Beklagte über die Eheschließung und seine Namensänderung.

Am 08.03.2011 beantragte die Klägerin die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) wegen berücksichtigungsfähiger Rentenversicherungszeiten aufgrund der Erziehung ihres 2010 geborenen Sohnes.

Mit Bescheiden vom 01.04.2011 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin ab 08.08.2010 als Ehegattin eines Unternehmers fest und sprach die Befreiung der Klägerin davon ab 01.04.2011 aus. Die Befreiung wirke grundsätzlich vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass die Eheschließung unverzüglich gemeldet werde. Die Eheschließung sei aber erst im Februar 2011 angezeigt worden. Die Befreiung sei daher erst ab Antragseingang möglich. Für den Antragsmonat sei noch der volle Beitrag zu entrichten.

Mit ihrem Widerspruch bestritt die Klägerin die Verfassungsmäßigkeit der für die Entscheidung maßgeblichen Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 4 ALG. Danach gelte die bisherige Regelung über den Beginn der Antragsfrist für die rückwirkende Befreiung nicht mehr für diejenigen Fälle der Versicherungspflicht nach § 1 Abs. 3 ALG, in denen die Versicherungspflicht aktuell durch die Eheschließung mit einem Landwirt ausgelöst werde, dessen Versicherungspflicht nach § 1 Absatz 2 ALG zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits festgestellt war. Dies verstoße gegen Art. 3 und Art. 6 Grundgesetz (GG). Zum Vergleich wird eine Fallkonstellation zu bedenken gegeben, in der der Ehemann den landwirtschaftlichen Betrieb zwar bereits vor Eheschließung übernommen, die Übernahme aber noch nicht an die Landwirtschaftliche Alterskasse gemeldet hat. Wenn deshalb die Versicherungspflicht des Ehemannes nach § 1 Abs. 2 ALG noch nicht festgestellt worden sei, könne auch die Ehefrau rückwirkend ab Betriebsübernahme die Befreiung von der Versicherungspflicht beantragen. Dies stelle eine Ungleichbehandlung im Vergleich zur Klägerin dar, die Art. 3 GG widerspreche. Die angegriffene Regelung treffe überwiegend Frauen, die in einen landwirtschaftlichen Betrieb einheiraten würden.

Die Klägerin erfülle außerdem für das gesamte Jahr 2010 den Befreiungstatbestand, weil sie in diesem Jahr regelmäßig außerlandwirtschaftliches Erwerbseinkommens als Arbeitnehmerin in einem Therapiezentrum über 4800 EUR bezogen habe; sie hat einen Ausdruck der Lohnsteuerbescheinigung für 2010 vorgelegt (01.01.-31.12.2010: 21.587 EUR brutto).

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2011 wies die Beklagte den Widerspruch überwiegend zurück. Da der Beigeladene seit Januar 2005 Landwirt nach § 1 Abs. 2 ALG sei, unterliege seine Ehefrau ab der Eheschließung am 08.08.2010 der Versicherungspflicht nach § 1 Abs. 3 ALG. Die Klägerin erfülle zwar die materiellen Voraussetzungen für eine Befreiung ab 08.08.2010. Nach der Grundregel des § 3 Abs. 2 ALG wirke die Befreiung aber nur dann vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt werde, ansonsten vom Eingang des Antrags an. Hier müsse der Befreiungsantrag vom 08.03.2011 herangezogen und festgestellt werden, dass die Antragsfrist für eine rückwirkende Befreiung bereits am 07.11.2010 geendet habe. Auch bei einer Anwendung des § 94 Abs. 2 ALG könne die Antragsfrist nur bis zum 30.11.2010 verlängert werden.

Dem Widerspruch wurde insoweit abgeholfen, als die Befreiung bereits ab 01.01.2011 ausgesprochen...

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