Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Kostenerstattung. Nachrangigkeit von § 3 AsylbLG bei Grundrente nach OEG. kein Rückgriff auf Regelungen der Sozialhilfe zum Einkommenseinsatz. Grundrente als Einkommen iS von § 7 Abs 1 AsylbLG. Doppelfunktion
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Nachrangigkeit der Leistungen nach § 3 AsylbLG gegenüber einer Grundrente nach dem OEG.
2. Das Leistungsrecht des § 3 AsylbLG ist in sich abgeschlossen und autark; ein Rückgriff auf Regelungen des allgemeinen Sozialhilferechts zum Einkommen kommt nicht in Betracht.
3. Verfassungsrecht gebietet nicht, dass die Grundrente nach dem OEG nicht als Einkommen iS von § 7 Abs 1 AsylbLG anzusehen ist (vgl BVerfG vom 11.7.2006 - 1 BvR 293/05 = BVerfGE 116, 229).
4. Obwohl ihre immaterielle Komponente faktisch immer mehr in den Vordergrund getreten ist, besitzt die Grundrente nach dem OEG rechtlich noch immer eine Doppelfunktion; sie gleicht neben dem immateriellen Schaden auch materiellen Mehraufwand aus (vgl BVerfG vom 14.3.2000 - 1 BvR 284/96, 1 BvR 1659/96 = BVerfGE 102, 41).
Orientierungssatz
Ein Leistungsträger hat einen Kostenerstattungsanspruch nach § 9 Abs 3 AsylbLG iVm § 104 SGB 10, wenn er Leistungen nach AsylbLG erbracht hat und der Asylbewerber eine Grundrente nach OEG erhält.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 30. September 2009 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, dem Kläger 966 EUR zu bezahlen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten in beiden Rechtszügen. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 966 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten wegen der Erstattung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), die der Kläger der Beigeladenen für den Zeitraum 01.12.2003 bis 31.05.2004 gewährt hat.
Die 1966 geborene Beigeladene bezog bis einschließlich Mai 2004 zusammen mit ihrer Familie vom Kläger Leistungen nach § 3 AsylbLG. Während des streitgegenständlichen Zeitraums vom 01.12.2003 bis 31.05.2004 erhielt sie laufende monatliche Leistungen in Höhe von 292,96 EUR. Dieser Betrag setzte sich laut Bewilligungsbescheid vom 18.05.2004 zusammen aus 132,92 EUR für Ernährung, 10,74 EUR für Verbrauchsgüter des Haushalts, 7,16 EUR für Gesundheits- und Körperpflegemittel, 40,90 EUR zur Deckung persönlicher Bedürfnisse, 93,55 EUR für anteilige Miete - die Beigeladene bewohnte damals mit ihren beiden 1985 und 1989 geborenen Kindern eine Mietwohnung - sowie 7,67 EUR für Haushaltsenergie. Wohngeld leistete der Kläger damals in Höhe von 134 EUR (Bescheid vom 29.07.2004); er ging dabei von drei zum Haushalt rechnenden Personen aus.
Am 08. und 09.12.2001 war die Beigeladene Opfer von Gewalttätigkeiten ihres damaligen Lebensgefährten und vormaligen Ehemanns geworden. Angesichts dessen meldete der Kläger am 25.02.2002 wegen möglicher Ansprüche der Beigeladenen auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) beim damaligen Amt für Versorgung und Familienförderung Würzburg einen Erstattungsanspruch an und stellte auf der Grundlage von § 91a des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) einen Leistungsantrag.
Mit Bescheid vom 15.04.2004 gewährte der Beklagte der Beigeladenen Versorgung nach dem OEG für den Zeitraum vom 08.12.2001 bis 30.11.2003 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H.. Über den 30.11.2003 hinaus wollte der Beklagte zunächst nicht leisten.
Mit Schreiben vom 11.05.2004 erinnerte der Kläger den Beklagten an den geltend gemachten Erstattungsanspruch für bis 30.11.2003 erbrachte Leistungen. Dieser lehnte mit Schreiben vom 09.06.2004 eine Erstattung mit der Begründung ab, die Grundrente nach dem OEG solle als Entschädigung die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit durch die erlittene Gewalttat ausgleichen. Sie sei integrierender Bestandteil der Rehabilitation der Geschädigten und Ausdruck des Rechtsanspruchs auf eine angemessene und würdige Entschädigung; sie werde ohne Rücksicht auf das Einkommen gewährt. Eine Anrechnung als Einkommen sei nicht möglich, zumal § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG als sozialhilferechtliche Vorschrift von dem im Sozialhilferecht allgemein verwendeten Einkommensbegriff ausgehe; nach § 76 Abs. 1 BSHG gehörten zum Einkommen alle Einkünfte in Geld und Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem BSHG und der Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Die Anrechnung als Einkommen sei wegen des besonderen Charakters der Entschädigung nach dem OEG, die immerhin für ein Versagen des Staates gewährt werde, unbillig.
Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 21.06.2004 "Widerspruch" ein. Der Kläger vertrat die Ansicht, die in § 76 Abs. 1 BSHG geregelten Ausnahmen vom Einkommensbegriff würden im AsylbLG gerade nicht gelten. Nach dessen Reglement würde der Einsatz jeglichen Einkommens ohne Ausnahme verlangt. Auf den "Widerspruch" des Klägers reagierte der Beklagte mit Schreiben ...