Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe: Erforderlichkeit der Übernahme von Schülerbeförderungskosten als Maßnahme der Eingliederungshilfe

 

Leitsatz (amtlich)

Als Eingliederungshilfemaßnahme in Betracht kommen grundsätzlich alle Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer geeigneten Schulbildung erforderlich sind, um die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mindern und so das im Gesetz formulierte Ziel der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erreichen.

Die Übernahme von Fahrtkosten als Eingliederungshilfemaßnahme setzt aber eine Prüfung der Erforderlichkeit im konkreten Fall voraus. Der Fahrtkostenaufwand kann z.B. dann nicht erforderlich sein, wenn es andere wohnsitznähere geeignete Einrichtungen gibt, die eine angemessene Schulbildung sicherstellen, wenn der Fahrtkostenaufwand nicht behinderungsbedingt ist und wen es ein besseres, "geeigneteres" Mittel - etwa die Bewilligung eines Schulwegbegleiters - gibt, um die Erfüllung der Zwecke der Eingliederungshilfe zu erreichen.

Bei Fehlen der konkreten Erforderlichkeit ist eine Übernahme der Fahrtkosten auch nicht als "Annexleistung" zu sonstigen Eingliederungshilfemaßnahmen geboten.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11.09.2017 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 23.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2017 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Übernahme von Fahrtkosten für den Zeitraum vom 16.12.2016 bis Ende des Schuljahres 2018 streitig.

Der 2007 geborene Kläger ist schwerbehindert (Grad der Behinderung 100, Merkzeichen "G", "B", "H"; Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 14.03.2008). Er leidet unter Morbus Down mit einem Herzfehler, Hypothyreose, einer kombinierten Entwicklungsstörung und Inkontinenz. Seit dem Schuljahr 2014/2015 besucht er die A-Schule, A-Str., A-Stadt (J). J ist eine staatlich genehmigte private Grundschule mit Ganztagsangebot, insbesondere mit pädagogischer Nachmittagsbetreuung. Ab dem Schuljahr 2016/2017 erfolgte die Nachmittagsbetreuung des Klägers im Hort (A-Hort; im Folgenden: JH) unter der oben genannten Adresse.

Mit Schreiben vom 10.03.2014 beantragte der Kläger durch seine Eltern die individuelle Schulbegleitung im Rahmen der Eingliederungshilfe. Mit Bescheid vom 05.06.2014 bewilligte der Beklagte für das Schuljahr 2014/2015 Leistungen für einen Schulbegleiter und lehnte die Schulbegleitung während des Schulweges ab. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Der Kläger benötige für den Schulweg eine Begleitung.

Auf entsprechenden Verlängerungsantrag hin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 08.07.2015 (in Bezug auf den wöchentlichen Stundenumfang abgeändert durch Bescheid vom 15.09.2016) für die Schuljahre 2015/16 und 2016/17 weiter einen Schulbegleiter für die Unterrichtszeit im Rahmen des Ganztagesangebots. Der Antrag auf Schulwegbegleitung wurde erneut abgelehnt.

Auch gegen den Bescheid vom 08.07.2015 legte der Kläger durch seine Eltern Widerspruch ein. Die beantragte individuelle Schulwegbegleitung sei zu Unrecht abgelehnt worden. Nur aufgrund seiner Behinderung sei der Kläger nicht in der Lage, den Schulweg selbstständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen. Ohne Behinderung könne der Kläger wie die anderen Kinder auch den Schulweg mit den von der Schule finanzierten Verkehrsmitteln nach entsprechender Einweisung bewältigen. Die Haltestelle befinde sich unmittelbar in der Nähe des Schulgebäudes. Der aktuelle Hilfebedarf Schulweg könne durch Kostenübernahme eines individuellen Fahrdienstes oder durch individuelle Schulwegbegleitung bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel abgedeckt werden. Letzteres werde gewünscht und auch beantragt. Denn die individuelle Schulwegbegleitung durch den Schulbegleiter bedeute für den Kläger ein regelmäßiges Schulwegtraining, das ihm mittel- bis langfristig die Chance eröffne, den Schulweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln selbstständig zu meistern.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2015 wies die Regierung von Mittelfranken den Widerspruch "wegen Ablehnung der Begleitung auf dem Schulweg" zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Widerspruch sei bereits unzulässig, weil für das Schuljahr 2014/2015 wegen des Zeitablaufs für diese Zeitspanne nicht nachträglich ein Schulwegbegleiter gewährt werden könne. Eine Hilfegewährung komme in Betracht, wenn dadurch das Ziel verfolgt werde, dass der Leistungsberechtigte dazu befähigt werden solle, den Schulweg alleine zu bewältigen. Eine Schulwegbegleitung solle allenfalls eine zeitlich begrenzte Maßnahme darstellen. Aufgrund des aktuellen Entwicklungsstandes des Klägers sei noch nicht absehbar, dass eine solche Art von Training derzeit für ihn erfolgreich sein könne. Schon im begrenzten Raum des Schulhauses habe der Kläger Probleme, die immer wieder gleichen Wege zu bewältigen. Es stehe außer Frage, dass der Kläger lerne und...

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