Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. häusliche Pflege. Entlastungsbetrag. Angebote zur Unterstützung im Alltag. Erfordernis der Registrierung oder Anerkennung von ehrenamtlich tätigen Einzelpersonen. Verhältnismäßigkeit der entsprechenden Regelungen in Bayern. kein Kostenerstattungsanspruch nach § 150 Abs 5 SGB 11 für einfachere hauswirtschaftliche Arbeiten
Leitsatz (amtlich)
1. Zur fehlenden Registrierung oder Anerkennung durch das Bayer Landesamt für Pflege nach dem Bayer AVSG (juris: SGAV BY 2008).
2. Die Regelung der §§ 45b Abs 1 S 3 Nr 4 SGB XI, 80ff Bayer AVSG sind im Hinblick auf die Sicherung einer bestimmten Qualität der Pflege sachgerecht und verhältnismäßig.
3. Vorliegend zum Fehlen eines Anspruchs nach § 150 Abs 5 SGB XI. Die Maßnahme muss zur Vermeidung von coronabedingten pflegerischen Versorgungsengpässen erforderlich sein.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11. Januar 2022 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin und Berufungsklägerin begehrt die Gewährung des Entlastungsbetrags nach § 45 b des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) ab Antragstellung.
Die 1997 geborene Klägerin bezieht von der Beklagten und Berufungsbeklagten seit 2018 Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem Pflegegrad 3. Ihr Vater beantragte am 01.07.2021 für die Klägerin, den monatlichen Entlastungsbetrag in Höhe von 125,00 EUR an eine Privatperson, Herrn A, auszubezahlen. Hierzu legte er Nachweise über erbrachte Entlastungsleistungen für die Monate September 2020 bis Dezember 2020 sowie die Monate Februar 2021 bis Mai 2021 vor. Danach erbrachte Herr A an verschiedenen Tagen dieser Monate verschiedene haushaltsnahe Dienstleistungen (Reinigung der Wohnung, Bügeln, Kochen). Je Einzeltätigkeit wurde hierfür ein Betrag von 40,00 EUR geltend gemacht, sodass sich monatliche Gesamtbeträge zwischen 400,00 EUR und 600,00 EUR ergaben. Die Nachweise waren jeweils von Herrn A und dem Vater (= Bevollmächtigten) der Klägerin unterschrieben.
Nach Hinweisschreiben vom 05.07. und 26.07.2021 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.08.2021 den Antrag ab, da der Nachweis für den Pflegenden A über die Anerkennung von Privatpersonen zur Erbringung von hauswirtschaftlichen und betreuerischen Pflegeleistungen durch das Bayer. Landesamt für Pflege oder der Fachstelle für Demenz bis heute nicht vorgelegt worden sei.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2021 zurück. Es lägen für Herrn A weder eine Anerkennung durch das Bayer. Landesamt für Pflege vor noch sei dieser bei der Fachstelle für Demenz und Pflege Bayern registriert. Die Erstattung des Entlastungsbetrages für eine Privatperson könne deshalb nicht erfolgen.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Aufgrund der Coronapandemie seien die Formalitäten und Voraussetzungen für die Gewährung von Entlastungsleistungen geändert worden. Diese Leistungen seien nach Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ab Antragstellung ohne Qualifikationsnachweis nutzbar, d.h. der Entlastungsbetrag der Pflegeversicherung sei für Nachbarschaftshelfer, die zur Unterstützung Pflegebedürftiger in der häuslichen Verordnung tätig seien, auch ohne Qualifikationsnachweis nutzbar. Demgemäß habe Herr A Leistungen erbracht. Die Beklagte verkenne, dass aufgrund der Neuregelung für die Versorgung der Pflegebedürftigen auch eine Person ohne Qualifikation aus dem Gesundheits- und Sozialbereich, z.B. ein Nachbar, in Betracht komme, soweit die Versorgung eines Pflegebedürftigen wegen der Corona-Pandemie nicht mehr möglich sei.
Zu den Aufwendungen, die zur Aufrechterhaltung der häuslichen Versorgung pflegebedürftiger Menschen dienen, zähle auch der Einkauf von Lebensmitteln. Jeder Person mit Pflegegrad stehe im Rahmen der Pflegeversicherung ein Entlastungsbetrag zur Verfügung. Dieser betrage monatlich 125.- EUR und solle Angebote finanzieren, die Pflegebedürftige im Alltag unterstützen und pflegende Angehörige entlasten.
Bislang seien die Aufwendungen, die zur Aufrechterhaltung der häuslichen Versorgung pflegebedürftiger Menschen dienen, im Rahmen der Nachbarschaftshilfe von der zuständigen Pflegekasse nur erstattet worden, wenn die helfende Person eine geeignete Qualifizierung - mindestens im Umfang eines Pflegekurses entsprechend § 45 SGB XI - nachweisen konnte. Diese Regelung sei aufgrund der Pandemie ausgesetzt worden. Die Beklagte übersehe, dass wegen des seit der Pandemie bestehenden pflegerischen Versorgungsengpasses der Entlastungsbetrag der Pflegeversicherung für Nachbarschaftshelfer, die zur Unterstützung Pflegebedürftiger in der häuslichen Versorgung tätig sind, auch ohne Qualifikationsnachweis verfügbar sei. Der "Pflegenotstand während Corona" solle durch die Neuregelung des § 45 b Abs. 1 und 3 SGB XI b...