Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen aG. Gleichstellung mit den in Abschn 2 Nr 1 zu § 46 Nr 11 StVOVwV genannten Personen. einseitig Oberschenkelamputierter. Kunstbein. dauernde Unzumutbarkeit der Nutzung der Prothese. Zeitanteil. Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustands. Sturzgefahr
Leitsatz (amtlich)
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist für eine weite Auslegung im Rahmen der Prüfung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG kein Raum.
2. Bei einem einseitig Oberschenkelamputierten können die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG dann nicht festgestellt werden, wenn er die Prothese noch in etwas über 10 vH der Zeit benutzen kann, da es dann an einem Dauerzustand der Prothesenunbenutzbarkeit fehlt.
3. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG können nie damit begründet werden, dass durch eine Vorabfeststellung dieser Voraussetzungen verhindert werden könnte, dass sich die ansonsten nicht fernliegende Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustands dahingehend, dass dann die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erfüllt wären, realisieren wird.
4. Eine Sturzgefahr kann die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG dann begründen, wenn diese Gefahr insbesondere aufgrund der Sturzhäufigkeit so ausgeprägt ist, dass aus der objektiven und medizinisch begründeten Sicht eines vernünftigen Behinderten der Betroffene dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen ist.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. November 2013 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch darauf hat, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) festgestellt werden.
Der im Jahr 1959 geborene Kläger erlitt im Jahre 1980 eine schwere Verletzung des rechten Beins, die zur Amputation im Oberschenkel führte.
Mit Bescheid des Beklagten vom 18.02.1997 wurden erstmals ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G festgestellt.
Im Dezember 2010 beantragte der Kläger die Erhöhung des GdB und die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B und aG. Die Gehfähigkeit sei wegen der Stumpfbeschwerden erheblich eingeschränkt.
Nach Auswertung eingeholter Befunde durch den versorgungsärztlichen Dienst stellte der Beklagte mit Bescheid vom 25.07.2011 einen GdB von 90, nicht aber die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG fest.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und begründete diesen damit, dass er zur Erhaltung der körperlichen Unversehrtheit und zur Berufsausübung die Möglichkeit einer Inanspruchnahme von Behindertenparkplätzen benötige. Er müsse jederzeit in der Nähe seines Arbeitsplatzes parken können. Schon bei schönem Wetter sei seine Gehfähigkeit stark eingeschränkt, bei Regen, Schnee oder gar Eis sei er unmittelbar sturzgefährdet. Er müsse daher längere Wegstrecken vermeiden.
Der behandelnde Orthopäde Dr. C. teilte auf Nachfrage des Beklagten am 30.11.2011 mit, dass der Kläger ein stark hinkendes Gangbild habe und auch für kurze Strecken je nach Belastung einen Gehstock verwende.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.01.2012 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Der Kläger sei - so der Beklagte - nicht dem Personenkreis gleichzustellen, der die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erfülle.
Dagegen haben die Bevollmächtigten des Klägers am 06.02.2012 Klage mit dem Ziel der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG erhoben. Die Klage ist unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) damit begründet worden, dass es der Beklagte bei seiner Entscheidung völlig außer Acht gelassen habe, in welchem Umfang es dem Kläger im konkreten Fall überhaupt noch möglich sei, außerhalb seines Kraftfahrzeugs Wegstrecken zurückzulegen. Aufgrund der rechtsseitigen Oberschenkelamputation und der starken Narbenbildung sei es dem Kläger nur unter erheblichen Anstrengungen möglich, sich mithilfe einer Beinprothese fortzubewegen. Neben den erheblichen Schmerzen komme eine Gangunsicherheit hinzu, die sich bei schlechten Witterungsverhältnissen wie Regen, Eis und Schnee noch weiter verstärke. Der Kläger sei insofern stark sturzgefährdet, was eine weitere Verschlechterung seines Gehvermögens herbeiführen könne. Der Arbeitgeber des Klägers verfüge über keinen eigenen Betriebsparkplatz. Den in der Nähe des Arbeitsplatzes gelegenen Behindertenparkplatz könne der Kläger nur mit dem entsprechenden Parkausweis benutzen, für den das Merkzeichen aG notwendig sei.
Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt. Der Orthopäde Dr. C. hat über ein stark hinkendes Gangbild berichtet, die Gehstrecke nehme ab, der Kläger sei auch bei kurzen Wegen auf einen Gehsto...