Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosigkeit. Selbstständige Tätigkeit. Beschäftigungslosigkeit. Grobe Fahrlässigkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Fortführung einer mindestens 15 Stunden wöchentlich, aber weniger als 18 Stunden wöchentlich umfassenden selbstständigen Tätigkeit schließt Beschäftigungslosigkeit nicht aus, wenn die Tätigkeit ausgeübt worden ist unmittelbar vor dem Tag der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld innerhalb der letzten 12 Monate und mindestens 10 Monate neben der Beschäftigung, die den Anspruch begründet.
2. Es kommt bei § 118 Abs. 2 SGB III nicht auf die tatsächlich zurückgelegte Arbeitszeit an, sondern auf die nach der Natur der Sache intendierte Arbeitszeit bei einer vorausschauenden Betrachtungsweise. Ist der Umfang einer selbstständigen Tätigkeit zu beurteilen, kann mangels vertraglichen Abmachungen über die Arbeitszeit allein nach der Natur der Sache beurteilt werden, ob die Tätigkeit weniger als 15 Stunden umfasst. Es kommt hier darauf an, welche Arbeitszeit aufgrund durchschnittlicher Kenntnisse und Fähigkeiten zur sachgerechten Erledigung der Tätigkeiten benötigt würde.
3. Die Nichtbeachtung eines nachweislich ausgehändigten und zur Kenntnis genommenen Merkblatts zu einem konkreten Leistungstatbestand begründet im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit.
Normenkette
SGB III § 117 Abs. 1 Nr. 1, § 118 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2-3; SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3
Tenor
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 16.10.2003 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Rückforderung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe vom 1. April 1999 bis 19. Februar 2001 (64.525,71 DM) und Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung (16.990,21 DM) in Höhe von insgesamt 81.515,92 DM in Euro.
Der 1954 geborene Kläger, der u.a. den Beruf eines Fernsehtechnikers und eines Diplomingenieurs erlernt hatte, arbeitete von März 1984 bis September 1992 in diesem Beruf und war danach bis Anfang Februar 1997 arbeitslos; er bezog Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Anschließend war er wieder als Diplom-Ingenieur bis Ende März 1999 berufstätig.
Am 20. September 1995 schloss er einen notariellen Vertrag über den Kauf eines Hausgrundstücks in A-Stadt zu einem Preis von 217.391,30 DM. Er meldete am 1. November 1995 in A-Stadt als Gewerbe die Tätigkeit Einzelhandel mit Elektrogeräten und -material, Radio- und Fernsehgeräten, Unterhaltungselektronik und Computer sowie Reparaturannahme von Elektro- und Fernsehgeräten an (Radio-TV H. A., Reparaturen, Verkauf und Service, Technischer Kundendienst).
Der Kläger meldete sich bei der Beklagten am 15. März 1999 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Er arbeite wöchentlich bis zu 14 Stunden als Selbständiger (Handel und Reparatur von Unterhaltungselektronik). Er erhielt vom 1. April 1999 bis zum 20. März 2000 Arbeitslosengeld. Im Mai und Juni 1999 erzielte er durch Verkauf von Wertpapieren Veräußerungsgewinne von 5.207,00 DM und 13.715,00 DM. Er bestätigte wie in den folgenden Anträgen mit Unterschrift den Erhalt der Merkblatt Hs1 für Arbeitslose.
Am 9. März 2000 beantragte er bei der Beklagten Arbeitslosenhilfe, wobei er auf eine Lebensversicherung hinwies. Er erhielt von der Beklagten ab 26. März 2000 Anschlussarbeitslosenhilfe. Am 30. März 2000 erwarb er eine Eigentumswohnung in A-Stadt zu einem Kaufpreis von 140.000,00 DM. Vom 7. Juni bis 28. Juni 2000 unterzog er sich einer Kur zu Lasten der LVA Schwaben. Am 28. Juni 2000 meldete er sich erneut arbeitslos, beantragte Arbeitslosengeld und am 5. Februar 2001 beantragte er wieder die Fortzahlung von Arbeitslosenhilfe. Die Beklagte setzte gegen den Kläger zwei Sperrzeiten von jeweils 12 Wochen fest vom 20. Februar bis 14. Mai 2001 und 15. Mai bis 6. August 2001.
Das Finanzamt A-Stadt führte beim Kläger im Mai 2001 eine Außenprüfung durch, bei der sich (Prüfbericht vom 22. Mai 2001) in den Jahren 1997 bis 1999 negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb ergaben. Die steuerpflichtigen Umsätze wurden mit 114.307,00 DM (1997), 200.037,00 DM (1998) und 199.361,00 DM (1999) festgestellt. Anlässlich der Prüfung der Beklagten beim Kläger am 26. Juni 2001 wurde bekannt, dass das Geschäft des Klägers Öffnungszeiten täglich von 9:00 Uhr bis 12:30 Uhr und von 13:00 Uhr bis 19:00 Uhr sowie am Samstag von 9:30 Uhr bis 14:00 Uhr hatte. Außer dem Kläger war seit Januar 2001 dessen Ehefrau tätig für sämtliche Büroarbeiten, Telefondienst, Finanzbuchhaltung, Einstellen von Personal zu einer monatlichen Bruttovergütung von 1.500,00 DM. Die wöchentliche Arbeitszeit sollte 20 Stunden betragen, Arbeitsbeginn war 9:00 Uhr, Arbeitsende 13:00 Uhr.
Nach Anhörung des Klägers am 3. Juli 2001 - der Kläger teilte hier mit, er sei während der Öffnungszeiten des Geschäfts überwiegend privaten Tätigkeiten nachgegangen - erließ die Beklagte am 30. Juli 2001 den Rücknahme- und Erstattungsbescheid, mit dem ...