Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe: Örtliche Zuständigkeit der Leistungserbringung bei Wechsel von einer stationären Einrichtung in eine ambulant betreute Wohnung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zuständigkeit des bisherigen Trägers der Sozialhilfe bleibt auch bei einem Wechsel aus einer stationären Einrichtung in eine Wohnung mit Hilfen zum ambulant betreuten Wohnen bestehen.
2. Bei der Zuständigkeit nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX handelt es sich um eine solche im Außenverhältnis zu dem Leistungsberechtigten, die nichts über das Innenverhältnis der im Erstattungsverhältnis befassen Träger aussagt. Lediglich nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IV ist bei fehlender Weiterleitung ein Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X ausgeschlossen.
3. Zum Begriff der betreuten Wohnmöglichkeiten im Sinne von § 98 Abs. 5 SGB XII (Anschluss an das Urteil des BSG, 25. April 2013, B 8 SO 16/11 R).
4. Zu den strukturellen Anforderungen an einen ambulanten Dienst bei der Erbringung von Leistungen des betreuten Wohnens.
Orientierungssatz
1. Eine ambulant betreute Wohnmöglichkeit i. S. d. § 98 Abs. 5 SGB XII liegt vor bei einer monatlichen Hilfestellung von 24 Stunden durch eine Heilerziehungspflegerin und eine Arzthelferin. Eine derartige Ausbildung genügt fachlich, zumal sie von einer freiberuflichen Sozialarbeiterin in monatlichen Teamsitzungen moderiert und in einer Budgetkonferenz halbjährlich besprochen wird.
2. Auch wenn die Leistungen im Rahmen eines persönlichen Budgets selbst organisiert werden, ändert dies nichts am Beurteilungsmaßstab für die Annahme einer ambulant betreuten Wohnmöglichkeit.
Tenor
I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. März 2015 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die im Zeitraum vom 26.04.2009 bis 31.12.2013 erbrachten Leistungen der Sozialhilfe in Höhe von 127.868,96 € zu erstatten.
"Im Übrigen wird die Klage abgewiesen."
(ergänzt mit Berichtigungsbeschluss vom 16. Februar 2017).
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu 94 %, der Kläger trägt 6 % der Kosten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die örtliche Zuständigkeit der Leistungserbringung an die Leistungsberechtigte S. (im Folgenden Leistungsberechtigte) im Zeitraum 26.04.2009 bis 31.12.2013.
Die 1982 geborene Leistungsberechtigte ist aufgrund einer cerebralen Dysfunktion zu 80 % schwerbehindert. Sie leidet an einer intellektuellen Minderleistungsfähigkeit im Sinne einer geistigen Behinderung. Sie besuchte einen Kindergarten und die Förderstufe im Körperbehindertenzentrum in W-Stadt . Im Anschluss absolvierte sie dort die differenzierte Werkstufe. Darauf folgte eine Ausbildung zur Hauswirtschaftshelferin in der Sonderberufsfachschule des Körperbehindertenzentrums im Zeitraum 2002 - 2005. Vom 28.07.2005 bis 02.01.2006 wohnte die Leistungsberechtigte bei ihren Eltern in I-Stadt, Landkreis R. in B.. Im Anschluss lebte sie bis zum 04.09.2006 in einer ambulant betreuten Wohnform in R., B.. Anschließend wohnte die Leistungsberechtigte vom 04.09.2006 bis 14.01.2007 in einem Wohnheim in Ü-Stadt. Danach wohnte die Leistungsberechtigte bis zum 02.11.2007 erneut bei ihren Eltern. Seit November 2007 bis zum 31.12.2008 wohnte sie in einem Wohnheim der Lebenshilfe L., im Bezirk S. (Kläger) und lernte im Berufsbildungsbereich der Werkstätten der Lebenshilfe L.. Die Leistungen der Sozialhilfe wurden vom Beklagten (Landkreis R.) erbracht.
Ab dem 01.01.2009 lebte die Leistungsberechtigte in einer privat angemieteten Wohnung in L. und erhält seitdem ein persönliches Budget. Mit einer Zielvereinbarung wurde festgelegt, dass übergeordnetes Ziel des persönlichen Budgets sei, der Budgetnehmerin in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben und die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Dieses Ziel sollte erreicht werden durch Leistungen der Eingliederungshilfe in den Bereichen Aufforderung, Hilfestellung und Kontrolle im Bereich der Haushaltsführung, Aufbau und Förderung von sozialen Beziehungen, Motivation zu bzw. Begleitung bei Freizeitaktivitäten, regelmäßige Gespräche zur Sicherstellung der psychischen Stabilität, regelmäßige Gespräche zur Reflexion der Beziehung zum Freund und als Hilfe bei der Bewältigung von Konflikten in der Beziehung und im Umfeld. Vom Beklagten wurde mit Bescheid vom 02.12.2008 ab 01.01.2009 ein persönliches Budget im Rahmen der Eingliederungshilfe in Höhe einer monatlichen Pauschale von 950.-Euro gewährt. Die Leistungsberechtigte kaufte sich hiermit Unterstützung durch eine Arzthelferin und eine Heilerziehungspflegerin zu je 12 Stunden monatlich ein. Seit dem 26.04.2009 besuchte die Leistungsberechtigte den Arbeitsbereich der Werkstätten L.
Mit Bescheid vom 30.06.2009 wurden die Weitergewährung des persönlichen Budgets sowie die Übernahme der Kosten für den Arbeitsbereich der Werkstätten L. vom Beklagten abgelehnt, da der Kläger für diese Leistungen örtlich zuständig sei. Dem Kläger wurde mit Schreiben vom selben Tag mitgeteilt, dass nach ...