Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit der Berufung. keine Zulassungsbedürftigkeit bei Klagen gegen ein Auskunftsersuchen des Sozialhilfeträgers. Nichterforderlichkeit des tatsächlichen Bestehens eines Unterhaltsanspruchs. Negativevidenz. gröbliche Vernachlässigung der eigenen Unterhaltspflicht. schwere Verfehlung gegenüber dem Unterhaltspflichtigen. Erforderlichkeit des Auskunftsverlangens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Einem Auskunftsersuchen als Vorstufe zum Übergang von Ansprüchen nach §§ 93 ff SGB 12 kann kein bezifferbarer wirtschaftlicher Wert zugeordnet werden, weil damit überhaupt erst festgestellt werden soll, ob und ggf in welcher Höhe ein überleitungsfähiger oder kraft Gesetzes übergegangener Zahlungsanspruch besteht; eine Berufung ist statthaft (§ 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG).

2. Eine Negativevidenz kann auch im Rahmen des § 117 Abs 1 SGB 12 nur dann vorliegen, wenn von vornherein, dh ohne nähere Prüfung, ohne Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen ersichtlich ist, dass der Unterhaltsanspruch nicht besteht.

3. § 1611 Abs 1 BGB erfordert eine schwere Verfehlung; daran fehlt es, wenn lediglich geltend gemacht wird, dass eine Mutter den Sohn nach seinem Abitur nicht finanziell unterstützt habe und die Mutter dem entgegentritt, so dass eine weitere Aufklärung den Zivilgerichten obliegt.

4. Selbst wenn der Kläger zur LE schon seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr hätte und dies allein auf die LE zurückginge, begründet dies nicht den Vorwurf einer schweren Verfehlung.

5. Die begehrte Auskunft muss zur Einschätzung von Grund und Höhe eines etwaigen auf den Beklagten nach § 94 SGB 12 übergegangenen Unterhaltsanspruchs iS einer Begrenzung auf das Erforderliche relevant sein.

6. Die Durchführung des Ersuchens nach § 117 Abs 1 SGB 12 erfordert eine Auskunft dann nicht, wenn keine Unterhalts- oder Kostenerstattungspflicht besteht. Das trifft zB bei Unterhaltsansprüchen für eine Zeit zu, für die keine Sozialhilfe geleistet wurde oder bei Sozialhilfeaufwendungen für die Vergangenheit, soweit nicht die Voraussetzungen des § 94 Abs 4 SGB 12 vorliegen.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 20. Juni 2012, S 46 SO 351/11, abgeändert. Der Bescheid des Beklagten vom 10.02.2011 in der Gestalt der Ziffer 1 des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2011 wird aufgehoben, soweit der Kläger in der Zeit vom 01.03.2010 bis 31.01.2011 zur Auskunft verpflichtet wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Gegenstand der Klage ist ein Auskunftsanspruch des beklagten überörtlichen Sozialhilfe-Trägers gegenüber dem Kläger als Sohn der Leistungsberechtigten (LB).

Der Kläger ist der 1955 geborene Sohn der 1925 geborenen Frau A. G. (A.G. - LB), die sich unverändert seit 06.01.2011 im Caritas Altenheim St. C., in Bad W. aufhält. Der Beklagte gewährt der LB Hilfe zur Pflege in einer stationären Einrichtung, den Barbetrag und die Bekleidungsbeihilfe seit 06.01.2011 (Bescheid vom 10.02.2011).

Mit Rechtswahrungsanzeige vom 10.02.2011 zeigte der Beklagte gegenüber dem Kläger die Hilfeleistung an dessen Mutter an und machte einen Auskunftsanspruch nach § 117 SGB XII zur Prüfung der Unterhaltspflicht des Klägers geltend.

Den gegen das Auskunftsersuchen vom 10.02.2011 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.2011 "mit folgender Maßgabe" zurück:

1. Das Auskunftsersuchen nach § 117 SGB XII erstreckt sich auf den Zeitraum vom 01.03.2010 - 28.02.2011.

2. Zur Überprüfung der Leistungsfähigkeit ihres Mandanten A. zur Zahlung eines Unterhaltsbeitrages für seine Mutter, Frau A. G., bitte ich, die als Anlage beigefügte "Auskunft über Einkommens- und Vermögensverhältnisse" für den in Nr. 1 genannten Zeitraum vollständig ausgefüllt an den Landrat des Kreises P., Postfach, P., mit entsprechenden Nachweisen (Verdienstbescheinigungen, Rentenbescheide, ect.) zurückzusenden. Sofern weitere Einkünfte bezogen werden, sind diese anzugeben u. nachzuweisen. (....). Die beigefügten Formulare "Auskunft über Einkommens- und Vermögensverhältnisse" und "Rentabilitätsberechnung" sind Bestandteile dieses Bescheides.

3. Für die Erteilung der nach Maßgabe der vorstehenden Nummern abzugebenden Auskünfte und für die Beibringung der geforderten Nachweise setze ich eine Frist bis zum 03.08.2011 - (Eingang beim Landrat des Kreises P.).

4. Der Widerspruchsführer trägt die Kosten des Verfahrens, für das von mir Gebühren und Auslagen nicht erhoben werden."

Mit der am 19.07.2011 zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Anfechtungsklage machte der Kläger geltend, dass ein Auskunftsanspruch des Beklagten nach § 117 SGB XII nicht bestehe.

Bereits im Jahre 1986 sei dem Kläger ein Schreiben der C. zugegangen, in dem ihm als "rechtswahrende" Mitteilung an Unterhaltspflichtige über "Sozialhilfegewährung" mitgeteilt wurde, dass Herrn R. und Frau A.G. Sozialhilfe...

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