Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilferecht: Überleitung von Unterhaltsansprüchen. Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs. Pflicht zur Anhörung des Auskunftspflichtigen. Anforderungen an die Annahme einer die Überleitung eines Unterhaltsanspruchs ausschließende schwere Verfehlung des Unterhaltsberechtigten
Leitsatz (amtlich)
1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB XII liegen vor, wenn der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch der LB gegen die Klägerin weder offensichtlich nach § 1611 Abs. 1 S. 2 BGB im Wege der Negativevidenz noch nach § 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII ausgeschlossen ist.
2. § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB erfordert eine schwere Verfehlung i.S. einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange der Pflichtigen.
3. Bei der Auslegung der Härteklausel der § 94 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII ist in erster Linie die Zielsetzung der Hilfe zu berücksichtigen und es sind die allgemeinen Grundsätze der Sozialhilfe zu beachten.
4. Bei einer Gestaltung der Vordrucke durch den Beklagten mit der Bezeichnung der Klägerin als Auskunftspflichtiger, einem Hinweis auf die Auskunftspflicht des Ehegatten und auf die Freiwilligkeit bestimmter Angaben verstößt das Auskunftsersuchen nicht gegen in diesem Verfahren zu prüfende Rechte der Klägerin.
Orientierungssatz
1. Ein behördliches Auskunftsverlangen zur Feststellung eines im Rahmen der Sozialhilfegewährung ggfs. auf den Sozialhilfeträger überleitbaren Unterhaltsanspruchs setzt nicht die vorherige Anhörung des Betroffenen voraus.
2. Einzelfall zur Beurteilung des Vorliegens einer den Übergang von Unterhaltsansprüchen ausschließenden schweren Verfehlung eines unterhaltsberechtigten Empfängers von Leistungen zur Grundsicherung im Alter.
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 28. Dezember 2011, S 22 SO 374/11 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Gegenstand der Klage ist ein Auskunftsanspruch des beklagten überörtlichen Sozialhilfeträgers gegenüber der Klägerin als Tochter der Leistungsberechtigten (LB).
Die Klägerin ist die 1947 geborene Tochter der 1914 geborenen Frau M. E. (LB), die sich unverändert seit Oktober 2004 im Altenheim St.R. in A-Stadt aufhält. Der Beklagte gewährt der LB Hilfe zur Pflege in einer stationären Einrichtung, den Barbetrag und die Bekleidungsbeihilfe seit 01.06.2010, nachdem die LB zuvor ihr vorhandenes Vermögen von rund 50.000 € zur Bestreitung der Heimkosten bis auf den Schonbetrag aufgebraucht hat (Bescheid vom 27.05.2010).
Mit Rechtswahrungsanzeige vom gleichen Tag (27.05.2010) zeigte der Beklagte gegenüber der Klägerin die Hilfeleistung an die Mutter an und machte einen Auskunftsanspruch zur Prüfung der Unterhaltsverpflichtung der Klägerin geltend. In gleicher Weise verfuhr der Beklagte gegenüber den beiden Schwestern der Klägerin.
Eine erste Rechtswahrungsanzeige/Auskunftsverlangen vom 04.03.2010 hatte der Beklagte auf den Widerspruch der Klägerin hin zurückgenommen - Abhilfebescheid vom 12.07.2010 - weil die Mutter zur Zeit des Auskunftsersuchens noch keine Leistungen erhielt.
Den gegen das Auskunftsersuchen vom 27.05.2010 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Regierung von Oberbayern mit Widerspruchsbescheid vom 28.06.2011 als unbegründet zurück.
Mit der am 28.07.2011 zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Anfechtungsklage machte die Klägerin geltend, dass ein Auskunftsanspruch des Beklagten nicht bestehe. Es sei kein Unterhaltsanspruch auf den Beklagten übergegangen und demgemäß auch nicht der korrespondierende Auskunftsanspruch. Ein Anspruchsübergang würde eine unbillige Härte bedeuten. Die Klägerin sei derzeit 63 Jahre alt und vor mehr als 40 Jahren aus dem elterlichen Haushalt ausgezogen. Seit Jahren bestehe kein Kontakt mehr zwischen der Klägerin und ihrer Mutter. Die Mutter der Klägerin habe es auch versäumt, durch eigene Arbeit für ihr Alter und ihre Pflegebedürftigkeit vorzusorgen. Zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs habe die Mutter noch über Geldvermögen in Höhe von 2500 bis 3000 € verfügt, so dass eine Heranziehung der Klägerin nicht erforderlich gewesen sei. Schließlich sei die Leistungsgewährung des Beklagten an die Mutter der Klägerin überhöht. Der Mutter sei der Umzug in eine billigere Einrichtung zumutbar.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. Dezember 2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für das Auskunftsverlangen des Beklagten nach § 117 Abs. 1 S. 1 SGB XII erfüllt seien.
1. Die Klägerin sei als Tochter gem. § 1601 BGB eine Verwandte in gerader Linie und damit gegenüber ihrer unterhaltsbedürftigen Mutter grundsätzlich unterhaltsverpflichtet. Ein Auskunftsersuchen gem. § 117 SGB XII scheide nur dann aus, wenn offensichtlich kein überleitbarer Unterhaltsanspruch bestehe (Negativevidenz). Eine nähere Prüfung der Unterhaltsansprüche habe das SG nicht v...