Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Bestattungskosten. Unzumutbarkeit der Kostentragung. Hilfebedürftigkeit. Einsatz des ererbten Miteigentumsanteils an einer selbst bewohnten Eigentumswohnung. Fehlen bereiter Mittel. Schonvermögen nach § 12 Abs 3 S 1 Nr 4 SGB 2 bei Leistungsbezug nach dem SGB 2. keine Möglichkeit der Beleihung. Verweisung auf ein Darlehen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Dem Verpflichteten im Sinne des § 74 SGB XII ist es grundsätzlich zumutbar, vorhandenen Nachlass zur Deckung der Bestattungskosten einzusetzen.

2. Der Nachlass muss dem Verpflichteten jedoch als "bereites Mittel" zur Deckung der Bestattungskosten zur Verfügung stehen. Die Veräußerung des Nachlasses in Form eines Miteigentumsanteils an einer (bereits vor dem Erbfall im Miteigentum des Verpflichteten stehenden) selbst bewohnten Eigentumswohnung zur Deckung der Bestattungskosten kann dem Hilfeempfänger nach dem SGB II nicht zugemutet werden.

3. Der Verpflichtete muss sich dann bei auch fehlender Möglichkeit der Beleihung einer Eigentumswohnung zur Deckung der Bestattungskosten nicht auf ein Darlehen des Sozialhilfeträgers gegen dingliche Sicherung durch die Eigentumswohnung verweisen lassen.

4. Es würde einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn der Verpflichtete den erworbenen Miteigentumsanteil mangels “bereiter Mittel„ nicht einsetzen muss, um selbst Leistungen nach dem SGB II zu erhalten, von ihm im Rahmen des § 74 SGB XII aber verlangt würde, diesen Nachlassgegenstand zur Deckung der Bestattungskosten einzusetzen.

 

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 31. Oktober 2016 sowie der Bescheid des Beklagten vom 22. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2014 werden aufgehoben und der Beklagte verurteilt, den Bescheid vom 4. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2014 zurückzunehmen und offene Bestattungskosten in Höhe von 885,04 Euro zu übernehmen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitgegenständlich ist die Übernahme von (restlichen) Bestattungskosten für die Beerdigung der verstorbenen Mutter des Klägers nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) im sog. Zugunstenverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Der 1963 geborene Kläger ist Alleinerbe seiner am 21.01.2013 verstorbenen Mutter. Er steht seit Jahren (mindestens seit 2008) im Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zum Zeitpunkt des Todes der Mutter und der Fälligkeit der Bestattungskosten bezog der einkommenslose Kläger Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 967,54 Euro (Bescheid des Jobcenters A-Stadt vom 24.11.2012 für die Zeit von Januar bis März 2013 und Bescheid vom 15.02.2013 für die Zeit von April bis September 2013). Für den Kläger ist sein Bevollmächtigter als Betreuer bestellt (Betreuerausweis des Amtsgerichts A-Stadt vom 27.03.2013).

Der Kläger bewohnte gemeinsam mit seiner Mutter bis zu deren Aufnahme in ein Pflegeheim im September 2008 eine im Erdgeschoss eines Hochhauses gelegene 65 qm große Zweizimmer-Eigentumswohnung in der A-Straße 132 in A-Stadt. Die Mutter des Klägers war zur Hälfte Eigentümerin der Wohnung. Der andere hälftige Miteigentumsanteil des 1996 verstorbenen Vaters des Klägers ging nach dessen Tod zu je 1/2 auf die Mutter und den Kläger als Erbengemeinschaft über. Der Wert der Wohnung wurde von der Sparkasse D-Stadt im Jahr 2008 auf rund 85.000,- Euro (unvermietet) geschätzt; der Kaufpreis hatte im Jahr 1966 46.723,- DM betragen.

Der Mutter des Klägers waren für die Zeit ab 18.09.2008 Sozialhilfeleistungen als verzinsliches Darlehen für die vollstationäre Unterbringung in einem Pflegeheim gewährt worden. Zur Absicherung des Darlehens (bis maximal 33.000,- Euro) wurde zugunsten des Beklagten eine Grundschuld ohne Brief auf dem hälftigen Miteigentumsanteil der Mutter des Klägers im Grundbuch eingetragen.

Die Bestattungskosten beliefen sich auf insgesamt 2.602,- Euro (Rechnung der Landeshauptstadt A. vom 01.03.2013, fällig zum 29.03.2013), davon 986,- Euro Leistungen und Auslagen der Städtischen Bestattung und 1.616,- Euro Gebühren der Städtischen Friedhöfe gemäß Gebührenbescheid vom 28.02.2013. Hierauf wurden aus dem beim Tod der Mutter vorhandenen Taschengeldguthaben in Höhe von 1.434,57 Euro und überzahlten Heimkosten in Höhe von 271,34 Euro bereits 1.705,91 Euro gezahlt, so dass sich ein noch offener Rechnungsbetrag in Höhe von 896,09 Euro ergab.

Zum Nachlass gehörte außerdem nur noch der hälftige Miteigentumsanteil der verstorbenen Mutter an der Eigentumswohnung in der A-Straße. 132 in A-Stadt und die Hälfte des anderen halben Miteigentumsanteils in Erbengemeinschaft (nach dem Tod des Vaters) mit dem Kläger.

Mit Schreiben vom 15.05.2013 beantragte der Betreuer und Bevollmächtigte des Klägers bei der Landeshauptstadt A. die Übernahme der restlichen Bestattungskosten für die Mutter des Klägers. Diese leitete den Antrag an den B...

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