Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Cytotect CP Biotest. prophylaktische Anwendung nach primärer CMV-Infektion einer Schwangeren zum Schutz des ungeborenen Kindes. kein Versorgungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Es besteht kein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit dem Fertigarzneimittel Cytotect CP Biotest zur prophylaktischen Anwendung nach primärer CMV-Infektion einer Schwangeren zum Schutz des Ungeborenen.
2. Ein Off-Label-Use scheidet aus; es fehlt an einer aufgrund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht.
3. Die drohende CMV-Infektion des Fötus stellt ein behandlungsbedürftiges Erkrankungsrisiko dar und ist damit als eine Krankheit im Sinne von § 27 Abs 1 S 1 und § 2 Abs 1a SGB V anzusehen.
4. Die CMV-Infektion der Mutter kann nicht als lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche oder wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung im Sinne von § 2 Abs 1a SGB V angesehen werden. Der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass sich die mit der CMV-Infektion der Mutter verbundenen Gefahren für den Fötus verwirklichen, ist hierfür zu gering.
5. Zur Studienlage und statistischen Wahrscheinlichkeit im Jahre 2015.
6. Eine Ausweitung der Ansprüche von Versicherten der GKV auf Arzneimittel, die arzneimittelrechtlichen Standards nicht genügen, muss auf eng umgrenzte Sachverhalte mit notstandsähnlichem Charakter begrenzt bleiben (BSG-Rechtsprechung).
Orientierungssatz
Zitierungen zu Leitsatz 6: vgl BSG vom 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R = BSGE 122, 181 = SozR 4-2500 § 2 Nr 6 und vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R = BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. März 2018 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 5. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.Dezember 2015 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin die Kosten für das zulassungsüberschreitend verordnete Fertigarzneimittel Cytotect CP O in Höhe von 8.753,55 € zu erstatten sind.
Die 1990 geborene Klägerin und Berufungsbeklagte ist bei der Beklagten und Berufungsklägerin gesetzlich krankenversichert. Am 25.09.2015 wurde bei ihr eine Primärinfektion mit dem humanen Zytomegalievirus (CMV) festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Klägerin in der neunten Schwangerschaftswoche.
Am 05.10.2015 beantragte die Klägerin unter Beifügung eines Befundberichts des Labors E vom 25.09.2015 die Versorgung mit dem Arzneimittel Cytotect CP O (CMV-Hyperimmunglobulin). Die erste Behandlung sei für den 07.10.2015 vorgesehen.
Cytotect CP O ist ein verschreibungspflichtiges Fertigarzneimittel, das in Deutschland zur Prophylaxe klinischer Manifestationen einer Zytomegalievirusinfektion bei Patienten im Rahmen einer immunsuppressiven Therapie, insbesondere nach Organtransplantationen, arzneimittelrechtlich zugelassen ist. Eine EMA-Zulassung liegt nicht vor.
In einer beigefügten Stellungnahme vom 01.10.2015 teilte Dr. D (Praxis für Pränatalmedizin) mit, dass aufgrund der bei der Klägerin festgestellten CMV-Primärinfektion für das erwartete Kind ein hohes Infektionsrisiko von 40 bis 50% bestehe. 10% der infizierten Feten zeigten pränatal/bei der Geburt Symptome, weitere 10% seien bei der Geburt asymptomatisch, könnten aber später zum Teil schwerwiegende Spätschäden entwickeln (Gehör, Auge, auffällige neurologische Entwicklung). Es lägen Studiendaten vor (Nigro et al. 2005, 2008 und 2013), die darauf hindeuteten, dass die Vermehrung des Virus in der Plazenta durch die Verabreichung von CMV-Hyperimmun-globulin unterdrückt werden könne. Die Therapie mit Cytotect sei praktisch nebenwirkungsfrei und stelle die einzige Möglichkeit dar, das Risiko einer fetalen Infektion und Schädigung zu verringern. Geplant sei eine erste Gabe von Cytotect möglichst zeitnah im Laufe der nächsten Woche. Mindestens eine weitere Infusion sei im Abstand von ca. drei Wochen nötig.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 05.10.2015 ab. Das streitgegenständliche Arzneimittel sei für diesen Anwendungsbereich nicht zugelassen. Die Voraussetzungen für den Einsatz des Arzneimittels außerhalb des zugelassenen Einsatzgebietes (Off-Label-Use) lägen nicht vor.
Am 07.10.2015 erhielt die Klägerin eine erste Infusion mit dem Präparat Cytotect CP O.
Mit Schreiben vom 10.10.2015 erhob sie Widerspruch und verwies auf die Leitlinie "Labor-diagnostik schwangerschaftsrelevanter Virusinfektionen" (S2k-Leitlinie) vom 07.05.2014, in der ausgeführt wird, dass es zwar keine Evidenz für eine Intervention zur maternalen/fetalen Prävention/Therapie gäbe, wenige Studien hätten aber einen Trend zur Reduktion der Transmissionsrate und Krankheitslast gezeigt (ebenda Seite 181).
Der von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der Kra...