Entscheidungsstichwort (Thema)
Opferentschädigungsrecht: Versorgungsansprüche bei kriegsbedingter Schädigung vor Vollendung der Geburt. Anforderung an den Nachweis der Kausalität zwischen schädigendem Ereignis und Gesundheitsschaden. Rechtsfolgen eines Beweisantrages im sozialgerichtlichen Verfahren. Pflicht zur Entscheidung über einen Beweisantrag. Zulässigkeit einer Parteivernehmung als Beweismittel
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Anerkennung von Schädigungsfolgen unter den Gesichtspunkten der hinreichenden Wahrscheinlichkeit und der Kann Versorgung.
2. Über einen Beweisantrag muss nicht vorab durch Beschluss zu entschieden werden.
3. Die Parteivernehmung ist kein förmliches Beweismittel im sozialgerichtlichen Verfahren.
4. Ein auf Parteivernehmung gerichteter Beweisantrag ist zurückzuweisen.
5. Die Vernehmung eines medizinisch nicht sachkundigen Betroffenen zu Frage der medizinischen Kausalität ist ein völlig ungeeignetes Beweismittel.
Leitsatz (redaktionell)
Entschädigungsansprüche nach dem Versorgungsrecht wegen kriegsbedingter Schädigungen können auch entstehen, wenn der Betroffene den Schaden durch kriegsbedingte Einwirkungen vor Vollendung seiner Geburt erlitten hat. Die Vollendung der Geburt ist deshalb nicht Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 7. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Anerkennung von Schädigungsfolgen und Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) hat.
Der Kläger ist 1945 geboren.
Mit Schreiben vom 07.02.2009 beantragte er unter Bezugnahme auf seinen Schwerbehindertenausweis (Grad der Behinderung - GdB - von 100, Merkzeichen G, RF, B) die Gewährung von Beschädigtenversorgung. Er begründete dies damit, dass er endlich nach über 63 Jahren seines Kriegsleidens jemanden gefunden habe, der ihm die erschreckenden sowie unmenschlichen Geschehnisse auch schriftlich an Eides statt versichere. Er beziehe nur eine sehr kleine Erwerbsunfähigkeitsrente von 180,- € und komme damit finanziell nicht aus.
In den diesem Antrag beigefügten Erklärungen an Eides statt vom 01.12.2008 und vom 10.12.2008 gab die Schwägerin der Mutter des Klägers, Frau D., an, dass die Mutter des Klägers, als sie mit diesem hochschwanger gewesen sei, mehrmals von russischen Soldaten vergewaltigt worden sei. Die Mutter des Klägers sei sehr oft misshandelt und vergewaltigt worden, da sie schwarze Haare gehabt habe. Der Kläger sei schwer hirngeschädigt gewesen und leide bis heute unter den Nachwirkungen dieser Zeit.
Am 19.02.2009 erläuterte der Kläger seinen Antrag dahingehend, dass er seit Geburt unter einer Hirnschädigung leide, die er auf Misshandlungen seiner Mutter in der Schwangerschaft durch russische Soldaten zurückführe. Er habe weiter einen Hüftschaden durch schlechtes Wachstum. Zudem leide er unter Sprachstörungen, Wirbelsäulenschäden usw.
Der vom Beklagten beigezogenen Schwerbehindertenakte ist zu entnehmen, dass dem Kläger mit Bescheid vom 11.11.1981 ein GdB von 100 zuerkannt worden war. Dem hatte u.a. eine ärztliche Begutachtung durch Dr. S. vom 21.09.1981 zu Grunde gelegen, bei der der Kläger sein Beinleiden auf einen mit ca. 13 Jahren erlittenen Verkehrsunfall zurückgeführt hatte, als er als Radfahrer von einem Auto angefahren worden war. Der Sachverständige hatte im Rahmen der Begutachtung mit dem behandelnden Arzt des Klägers, Dr. C., telefoniert, der ihm - so Dr. S. - mitgeteilt habe, dass der Kläger seit der Kindheit unter epileptischen Anfällen vom Jackson-Typ leide, die im Anschluss an eine Kinderlähmung aufgetreten seien.
Weiter zog der Beklagte die medizinischen Unterlagen der Deutschen Rentenversicherung bei. Darin ist u.a. ein Gutachten vom 09.04.1999 enthalten. Bei der Begutachtung hatte der Kläger angegeben, dass sein Vater alkoholabhängig gewesen sei. Der Sachverständige ging von Hinweisen für eine frühkindliche Hirnschädigung mit niedriger Intelligenz und langjährigem Anfallsleiden aus.
Der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten kam nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen in seiner Stellungnahme vom 12.08.2009 zu dem Ergebnis, dass die geltend gemachten Gesundheitsschäden nicht ursächlich auf die angegebenen Einwirkungen durch Vergewaltigung der Mutter während der Schwangerschaft, deren Misshandlung, Mangelernährung und Angst zurückzuführen seien. Ein Geschlechtsverkehr während der Schwangerschaft sei grundsätzlich nicht geeignet, einen Embryonalschaden zu verursachen. Ursächlich seien zum einen genetische Faktoren, zum anderen sei durch den behandelnden Arzt eine spinale Kinderlähmung mit dem Auftreten einer zerebralen Schädigung belegt.
Mit Bescheid vom 23.08.2010 lehnte der Beklagte die Anerkennung von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Beschädigtenversorgung ab.
Da...