Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit einer Verrechnung. Schuldanerkenntnis. Wirtschaftliche Situation. Sozialhilfebedürftigkeit. Ermessensausübung
Leitsatz (redaktionell)
Vor einer Verrechnung ist der sozialhilferechtliche Bedarf gem. § 24 SGB XII i.V.m. § 850f Abs 2 ZPO zu ermitteln. Ist dieser trotz der Verrechnung weiterhin gedeckt, kann die Verrechnung vorgenommen werden, sofern nicht andere Gründe das dem Versicherungsträger insoweit eingeräumte Ermessen einschränken.
Normenkette
SGB I §§ 52, 51, 54 Abs. 4; SGB X § 116; BGB § 781; ZPO § 850f Abs. 2, § 850c; SGB X § 24; BSHG § 119
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 16.12.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Verrechnung zu Gunsten der Allgemeinen Ortskrankenkasse Bayern (AOK).
Der 1937 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in der Türkei. Er ist mit Urteil des Landgerichts N. , rechtskräftig seit 21.12.1990, wegen Totschlags, begangen an seiner Frau, zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt worden.
Der Kläger hat gegenüber der damaligen AOK Mittelfranken ein Schuldanerkenntnis gemäß § 781 BGB mit einer Zahlungsvereinbarung und Abtretungserklärung abgegeben. Er hat erklärt, dass er der AOK Mittelfranken 1.460,00 DM schulde nebst Zinsen seit dem 15.10.1989. Die AOK hat mit Schreiben vom 30.11.1992 die Beklagte zur Verrechnung gemäß § 52 iVm § 51 Sozialgesetzbuch I ermächtigt und die Art der Forderung als Schadensersatz bezeichnet gemäß § 116 SGB X in Höhe von 1.460,00 DM zuzüglich Zinsen seit dem 15.10.1989. Es sollte verrechnet werden mit der Versichertenrente oder sonstigen Leistungen der Beklagten, auch zukünftigen.
Mit Bescheid vom 24.07.2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger Regelaltersrente ab 01.04.2002 in Höhe von 162,39 EUR monatlich. Mit Bescheid vom 04.09.2002 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass von der Nachzahlung in Höhe von 801,66 EUR das Landesarbeitsamt Nordbayern 226,35 EUR, die AOK Bayern 125,00 EUR und der Kläger 450,31 EUR erhalten sollten. Mit Bescheid vom 04.10.2002 teilte die Beklagte dem Kläger eine Verrechnung zugunsten der AOK Bayern mit, in Höhe von monatlich 25,00 EUR ab 01.11.2002.
Mit Schreiben vom 17.10.2002 bat der Kläger darum, dass von seiner Rente nichts einbehalten werde. Die Beklagte hat dieses Schreiben als Widerspruch gewertet. Sie teilte dem Kläger am 28.11.2002 mit, dass von seiner Rente ab 01.01.2003 lediglich 10,00 EUR monatlich einbehalten werden sollten; sie hat hierzu den Bescheid vom 03.12.2002 erteilt.
Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 27.03.2003 zurück. Nach nochmaliger Prüfung sei festgestellt worden, dass die Einbehaltung von monatlich 10,00 EUR von der laufenden Rente zur Verrechnung des der AOK zustehenden Betrages von 995,18 EUR nicht zu beanstanden sei. Die Aufrechnung sei gemäß § 51 Abs 2 SGB I gegen laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte zulässig, soweit der Leistungsberechtigte nicht hilfebedürftig iS der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) über die Hilfe zum Lebensunterhalt werde. Die Beklagte habe in pflichtgemäßer Ausübung ihres Ermessens auch geprüft, ob beim Kläger Sozialhilfebedürftigkeit eintrete; dies sei verneint worden.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 07.07.2003 Klage beim Sozialgericht Bayreuth erhoben. Er wandte sich gegen die Einbehaltung von 10,00 EUR monatlich von seiner Rente. Mit der bewilligten Rente könne er lediglich Brot, Käse, Oliven, Tee, Zucker und Medikamente kaufen und die Stromkosten zahlen. Seinen weiteren Lebensunterhalt könne er nur mit Hilfe von Verwandten bestreiten. Mit den bis dahin einbehaltenen Beträgen erkläre er sich einverstanden.
Das SG hat die AOK Bayern und die Bundesagentur für Arbeit zum Verfahren beigeladen. Es hat den Klageantrag dahin ausgelegt, dass die Aufhebung der Verrechnung von 10,00 EUR monatlich zugunsten der AOK Bayern beantragt werde.
Mit Urteil vom 16.12.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Verrechnung von monatlich 10,00 EUR aus der Altersrente des Klägers zugunsten der AOK Bayern sei sachlich und rechtlich nicht zu beanstanden. Streitgegenstand sei nur die laufende Verrechnung, nicht jedoch die Abrechnung der Rentennachzahlung. Der zum Verfahren beigeladenen AOK Bayern stehe ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 823 BGB, 116 SGB X zu aufgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Klägers. Der Schaden der Beigeladenen bestehe darin, dass diese Sterbegeld in Höhe von damals 1.460,00 DM gezahlt hat (an die Tochter des Klägers).
Die Beklagte habe auch die Vorschriften über Aufrechnung und Verrechnung der §§ 52, 51 Abs 1 SGB I iVm § 54 Abs 4 SGB I zutreffend angewandt. Nach § 54 Abs 4 SGB I könnten Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. Nach § 51 Abs 1 SGB I könne der zuständige Leistungstr...