Entscheidungsstichwort (Thema)

Bayerisches Landesblindengeld: Prüfung möglicher blindheitsbedingter Mehraufwendungen. Darlegungs- und Beweislast für den Einwand der Zweckverfehlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Falle eines erhobenen Zweckverfehlungseinwands ist im Einzelfall zu prüfen, ob bei der Ausprägung des individuellen Krankheitsbildes blindheitsbedingte Mehraufwendungen in Betracht kommen; der pauschale Verweis auf die zugrundeliegende Gesundheitsstörung genügt nicht.

2. Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung stellen keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar; es muss sich vielmehr um blindheitsspezifischen Aufwand handeln.

3. Maßgeblich bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall blindheitsbedingte Mehraufwendungen möglich sind, ist die objektive Situation des betroffenen blinden Menschen. Ob blindheitsbedingte Mehraufwendungen von dem Betroffenen tatsächlich getragen werden, ist dabei nur ein Indiz.

4. Kosten für eine denkbare oder tatsächlich ausgeübte Tätigkeit einer Vorlesekraft stellen regelmäßig keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar.

5. Für den Einwand der Zweckverfehlung trägt die Behörde die Darlegungs- und die Beweislast. Bei notwendigen Ermittlungen trifft den Antragsteller die (allgemeine) Mitwirkungsobliegenheit.

 

Tenor

I. Auf die Berufung wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 18. März 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) streitig.

Die 1997 geborene Klägerin ist schwerstpflegebedürftig bei schwerster geistiger und statomotorischer Retardierung unklarer Genese. Für die Klägerin, bei der eine generalisierte Hirnatrophie, Kleinhirnatrophie ohne umschriebene Läsion festgestellt worden ist, wurde (mit Bescheid vom 14.09.1999) ein Grad der Behinderung von 100 festgesetzt, ferner die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "B", "G", "aG", "H" und "RF".

Am 12.02.2016 beantragte die Klägerin über ihre gesetzlichen Vertreter beim Beklagten Blindengeld. Der Beklagte zog u.a. die Schwerbehindertenakte mit dem Pflegegutachten des MDK Bayern vom 25.01.2013 bei. Das Gutachten stellte die Pflegestufe III fest. Im gutachterlichen Befund des Pflegegutachtens ist u.a. festgehalten, dass das Sprachverständnis nicht altersgerecht und eine nonverbale Kommunikation nicht möglich sei. Nach Angaben der Pflegepersonen sei die Klägerin häufig sehr unruhig aufgrund der Atemnot und würde oft unkontrollierte Bewegungen der Arme und Beine zeigen. Sie habe kein Sättigungsgefühl. Es bestehe eine Sprachstörung. Nicht beurteilbar seien u.a. Antrieb, Stimmung, Wahrnehmung und Denken sowie das Gedächtnis. Zudem wertete der Beklagte den ärztlichen Bericht der Gemeinschaftspraxis Kinderärzte A-Stadt vom 02.05.2016 aus, in dem für die Klägerin die Diagnosen infantile Zerebralparese, Tetraspastik, epilepsiesymptomatisch multifokal, schwere Entwicklungsverzögerung, geistige Behinderung, Skoliose, Schluckstörung und zentrale Blindheit beider Augen gestellt wurden. Aufgrund der Schwere der Hirnschädigung mit schwerster statomotorischer und psychomentaler Retardierung könne die Klägerin nicht auf visuelle Reize adäquat reagieren; es bestehe kein Fixieren oder Folgen und die Pupillen reagierten nur verzögert auf Lichtreize und damit eindeutig zerebrale zentrale Blindheit. Aufgrund der Schwere der Hirnschädigung und aufgrund des klinischen Untersuchungsbilds könne diese erklärt werden und es sei aus kinderneurologischer Sicht hierzu keine zusätzliche augenärztliche Untersuchung notwendig. Die Klägerin sei ein schwerstpflegebedürftiges Mädchen. Aufgrund der Gesamtsituation müsse für die Klägerin in erster Linie die aufwendige Pflege sichergestellt sein.

Am 09.06.2016 untersuchte die Augenärztin L. die Klägerin im Auftrag des Beklagten. In dem Gutachten wurde u.a. festgehalten, dass mit der Klägerin keine Kontaktaufnahme gelinge und dass diese nicht auf visuelle und akustische Reize reagiere. Berührungen hätten kurze Kopfbewegungen und schwache Mimik erzeugt. Die fehlenden visuellen Reaktionen seien nicht okulär, sondern durch die Hirnschädigung bedingt.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme von PD Dr. K. vom 20.09.2016 wurde festgehalten, dass bei der augenärztlichen Untersuchung kein morphologischer die Blindheit erklärender Augenbefund diagnostiziert worden sei. Im CT-Befund des Schädels sei eine generalisierte Hirnatrophie beschrieben, jedoch keine lokalisierte Schädigung im Bereich der Sehrinde. Die fehlenden Reaktionen auf visuelle und akustische Reize würden für eine Bewusstseinsstörung aufgrund der Hirnschädigung sprechen.

Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 25.10.2016 den Antrag auf Blindengeld ab, da auch nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) die Voraussetzungen für die Gewährung von Blindenge...

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