Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltendmachung von Sozialversicherungsbeiträgen für polnische Arbeitnehmer, die vorübergehend nach Deutschland entsandt wurden. nicht erlaubte Arbeitnehmerüberlassung. Bindungswirkung der Entsendebescheinigung PL-D 101. Geltung des deutsch-polnischen Abkommens vom 25.4.1973. Verdrängung der deutschen Rechtsnormen nach § 6 SGB 4
Orientierungssatz
1. Bei polnischen Arbeitnehmern, die vorübergehend nach Deutschland entsandt wurden und über Entsendebescheinigungen PL-D 101 verfügen, werden die deutschen Vorschriften bzgl nicht erlaubter Arbeitnehmerüberlassung, die das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses nach sich ziehen, durch höherrangiges zwischenstaatliches Recht verdrängt und sind somit nicht anwendbar.
2. Um die Rechtswirkung des deutsch-polnischen Abkommens über die Sozialversicherung von Arbeitnehmern, die in das Gebiet des anderen Staates vorübergehend entsandt werden - SVAbk POL - vom 25.4.1973 (BGBl II 1973, 926) und der Vereinbarung der Verbindungsstellen vom 30.12.1996 sicher zu stellen, ist der Entsendebescheinigung die Bindungswirkung zuzuordnen, die der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie des Bundesgerichtshofes (Rechtssache C-2/05 Urteil des EuGH vom 26.1.2006 = EuGHE I 2006, 1079 - Urteil des BGH 1 StR 44/06 vom 24.10.2006) zu den europäischen Regelungen bei Arbeitnehmerentsendungen (vgl Art 81 der EWGV 1408/71 iVm EWGV 574/72) entspricht. Danach bindet eine Entsendebescheinigung E 101, solange sie existiert, die Behörden und sogar die Gerichte der Vertragsstaaten gerade auch im Tätigkeitsland. Infolge hiervon sind die deutschen Sozialleistungsträger und auch die deutschen Sozialgerichte grundsätzlich nicht berechtigt, Entscheidungen des ausländischen Versicherungsträgers über die nach dessen Recht erfüllten Voraussetzungen der Entsendung von Arbeitnehmern zu überprüfen. Dementsprechend obliegt die Prüfung, ob die Voraussetzungen der Arbeitnehmerentsendung vorliegen, ausschließlich dem Träger des Entsendestaates, der die Bescheinigung ausgestellt hat.
3. Dies bedeutet nicht, dass die deutschen Behörden in jedem Falle an die Entsendebescheinigung gebunden sind. Vielmehr steht ihnen ein vertraglich ausgestaltetes Verfahren zur Verfügung, bei Zweifeln an der Richtigkeit der Bescheinigung diese beseitigen zu lassen. Insoweit wäre die deutsch-polnische Verbindungsstelle anzugehen.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin werden die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Landshut vom 17. Dezember 2003 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2000 in vollem Umfang aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin und den Beigeladenen zu 1) und 4) bis 8) die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind Beitragsnachforderungen aufgrund einer Betriebsprüfung.
1.
Die Klägerin ist eine Firma im Altmühltal, die sich mit dem Bruch, der Verarbeitung und Verlegung von Natursteinplatten, Solnhofener Platten sowie Granitplatten befasst. Am 15.08.1995 schloss sie mit der Firma M. in W., Zweigniederlassung D., einen Werkvertrag ab zur Verlegung von Bodenplatten und Stufen sowie Werkstattarbeiten im Betrieb der Klägerin im Wert von 351.550,00 bzw DM 305.000,00 DM. Zum Einsatz kamen dabei die Beigeladenen zu 4) bis 8), welche über vom polnischen Träger ausgestellte Entsende-Bescheinigungen D/PL 101 verfügten. Für diesen Werkvertrag bestand eine Arbeitserlaubnis des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen vom 20.03.1995.
Aufgrund einer Durchsuchung am 22.10.1996 sowie in Auswertung von Einvernahmen vom 16.12.1996 stellte die Beigeladene zu 3) fest, dass die Beigeladenen zu 4) bis 8) im Betrieb der Klägerin wie eigene Arbeitnehmer weisungsgebunden eingesetzt wurden. Sie verwendeten Stempelkarten der Klägerin zur Erfassung der Arbeitszeit, wobei teilweise Arbeitsbeginn 5.00 Uhr morgens und Arbeitsende 19.00 Uhr dokumentiert war. Der Inhaber der Klägerin sowie sein Produktionsleiter gaben dabei an, sie stellten die Arbeitsleistung der beigeladenen Arbeitnehmer fest, ebenso erteilten sie Urlaub/Arbeitsbefreiung, stellten Werkzeug und Material und gäben bei Fehlern an, was auszubessern sei. Der Produktionsleiter beschrieb, die polnischen Arbeitnehmer arbeiteten zusammen mit den deutschen Hand in Hand. Ihre Tätigkeit wurde dabei in Wochenplänen erfasst, sie wurden auch auf Baustellen eingesetzt, die in der Arbeitserlaubnis nicht genannt waren. Beschäftigte der Klägerin bestätigten ebenfalls, die polnischen Arbeitnehmer würden vom Produktionsleiter oder vom Firmeninhaber der Klägerin eingeteilt und erhielten von diesen Weisungen.
Nach Verhandlungen setzte die Beigeladene zu 3) mit rechtskräftigem Bescheid vom 26.01.1998 eine Geldbuße i.H.v. 52.000,00 DM fest, weil der Inhaber der Klägerin verantwortlich sei für den Einsatz von polnischen Arbeitnehmern ohne Arbeitnehmerüberlassungs-Erlaubnis.
In Auswertung dieses Bescheides sowie der ...