Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe für Deutsche im Ausland. Leistungsausschluss. Ausnahme bei Vorliegen einer außergewöhnlichen Notlage. nicht bei Leistungserbringung durch das Aufenthaltsland. Vorliegen eines Rückkehrhindernisses. Nachweispflicht. Verfassungsmäßigkeit. Ungleichbehandlung gegenüber Deutschen im Inland
Leitsatz (amtlich)
1. Rückkehrhindernisse sind bei Sozialhilfe für Deutsche im Ausland nachzuweisen.
2. Eine Ungleichbehandlung Deutscher im Ausland gegenüber denjenigen im Inland ist durch die Besonderheiten der Sozialhilfe gerechtfertigt.
3. Eine Orientierung an den besonderen Verhältnissen im Aufenthaltsland kann dann durchaus zur Folge haben, dass das deutsche Lebens- und Unterstützungsniveau in Ländern mit geringem Lebensstandard (teilweise) unterschritten wird.
4. Neben der außergewöhnlichen Notlage muss kumulativ auch ein besonderes Rückkehrhindernis bestehen.
Orientierungssatz
Eine Veranlassung zur Ermessensausübung iS des § 24 Abs 1 S 2 SGB 12 besteht nicht, wenn Leistungen von dem hierzu verpflichteten Aufenthaltsland erbracht werden (vgl § 24 Abs 2 SGB 12). Der Hilfesuchende hat kein Wahlrecht zwischen Leistungen nach dem SGB 12 und Leistungen des Aufenthaltslandes.
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 13. Juli 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Versorgung der Klägerin im Ausland (Litauen) mit Mitteln der Sozialhilfe.
Die Klägerin ist 1935 in A-Stadt, Kreis T. (früher Ostpreußen), geboren und deutsche Staatsangehörige. Als elternloses deutsches Flüchtlingskind ("Wolfskind") hatte sie 1945 Aufnahme in einer litauischen Familie in Litauen (Kreis T., M.) gefunden. Dort hat sie geheiratet und vier Kinder großgezogen.
Die Klägerin besaß zur Zeit der Antragstellung am 23.02.2005 einen deutschen Pass. Dem bei der Botschaft der Bundesrepublik gestellten Antrag war eine Stellungnahme der Auslandsvertretung beigegeben, wonach Ansprüche auf Sozialhilfe in Litauen für die Klägerin nicht bestehen würden. Den Antrag auf Sozialhilfe (Leistungen für den Lebensunterhalt) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 12.03.2007 ab. Die monatliche litauische Rente betrage umgerechnet 31,65 € (109,27 Litas). Daneben werde eine Leistung im Umfang von 16,66 € (57,55 Litas) bezogen.
Am 12.04.2007 legte die Klägerin, vertreten durch G. F. T., B-Stadt, Widerspruch ein mit der Begründung, sie könne von ihrer schmalen Rente nicht leben und eine Rückkehr nach Deutschland sei ihr nicht zumutbar. Sie sei der deutschen Sprache nicht mehr mächtig; ihre geringe Schulbildung lasse deren (erneuten) Erwerb auch nicht zu.
Am 17.03.2009 wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch zurück. Fehlende Deutschkenntnisse der Klägerin, die geringe Rente und eine gesundheitliche Verfassung, welche eine Bewirtschaftung ihres Ackers nicht mehr zulasse, stellten keine gesetzlich relevanten Rückkehrhindernisse dar.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben unter anderem mit dem Argument, sie sei pflegebedürftig. Beigelegt war in Übersetzung ein ärztliches Attest des Gesundheitsministeriums der Republik Litauen vom 08.11.2011 mit den Diagnosen einer Thromboseembolie der Lungenarterie am 10.10.2011 sowie einer Herzerkrankung ohne weitere Angabe von Leistungseinschränkungen. Des Weiteren hat die Klägerin vorgetragen, ohne die Hilfe ihrer Familie nicht überleben zu können. Der Beklagte hat unter anderem vorgebracht, dass in Litauen ein gutes System für Gesundheit und Pflege bestehe.
Mit Gerichtsbescheid vom 13. Juli 2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach Aufführung des gesetzlichen Tatbestandes der Auslandssozialhilfe (§ 24 Abs. 1 SGB XII) hat es zur Begründung angeführt, dass die Hilfebedürftige abweichend vom ansonsten im Sozialhilferecht geltenden Amtsermittlungsgrundsatz die Rückkehrhindernisse nachzuweisen habe; bloße Glaubhaftmachung reiche nicht. Nach diesen Grundsätzen könne dahinstehen, ob die Klägerin tatsächlich pflegebedürftig sei, da jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Klägerin aufgrund einer eventuellen Pflegebedürftigkeit nicht transportfähig sei. Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Sozialhilfe lägen somit nicht vor. Ungeachtet des schweren Schicksals der Klägerin habe der Beklagte deshalb zu Recht einen Leistungsanspruch verneint. Den sog. "Wolfskindern" könne nur im Wege einer Gesetzesänderung geholfen werden.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Zur Begründung wird angeführt, dass im Einzelfall nicht am Wortlaut des Gesetzestextes geklebt werden dürfe. Zur Beurteilung des Ausmaßes der Pflegebedürftigkeit müssten auch die persönlichen und gegenwärtigen gesundheitlichen Lebensumstände der Klägerin Berücksichtigung finden. Diese sei nahezu Analphabetin und beherrsche im Wesentlichen nur die litauische Sprache. Dies und der Gesundheitszustand der...