Entscheidungsstichwort (Thema)

Bayerisches Landesblindengeld. Blindheit. erforderlicher Vollbeweis. keine Beweiserleichterung. zerebrale Schäden. keine Möglichkeit einer reproduzierbaren Kommunikation. fehlende Reaktion auf optische Reize kein ausreichendes Indiz. blindheitsbedingte Mehraufwendungen. Zweckverfehlungseinwand. objektive Erforderlichkeit von nicht nur geringfügigen Ausgleichsmaßnahmen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Maßgeblich bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall blindheitsbedingte Mehraufwendungen möglich sind, ist die objektive Situation des betroffenen blinden Menschen. Ob blindheitsbedingte Mehraufwendungen von dem Betroffenen tatsächlich getragen werden, ist dabei nur ein Indiz.

2. Geringfügiger, gegebenenfalls singulärer Mehraufwand bleibt außer Betracht.

 

Orientierungssatz

1. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG in seinen Urteilen vom 11.8.2015 - B 9 BL 1/14 R = BSGE 119, 224 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 3 und vom 14.6.2018 - B 9 BL 1/17 R = BSGE 126, 63 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 4 ist jedenfalls in den Fällen zerebraler Schäden auch zu prüfen, ob die Fähigkeit zur "Verarbeitung im Bewusstsein" des sehbehinderten Menschen beeinträchtigt bzw aufgehoben ist.

2. Das BSG hat in diesen beiden Urteilen eine Beweiserleichterung - gerade also für die besonders schwierigen Fälle der Blindheit bei zerebralen Schäden - klar abgelehnt.

3. Eine fehlende oder nicht adäquate Reaktion auf optische Reize kann nur dann als Zeichen für eine Blindheit gewertet werden, wenn eine zuverlässige reproduzierbare Kommunikation mit dem Untersuchten möglich ist.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 08.03.2021; Aktenzeichen B 9 BL 3/20 B)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 30. November 2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Anspruch des 1940 geborenen und 2016 verstorbenen Klägers (im Folgenden: Antragsteller) auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG).

Die Klägerin ist die Ehefrau des Antragstellers und führt als dessen Rechtsnachfolgerin den Rechtsstreit fort. Der Antragsteller erlitt am 03.10.2010 aufgrund einer Aneurysmaruptur eine Hirnblutung, die zu schweren zerebralen Schäden führte. Zuletzt sind für ihn (mit Bescheid vom 02.07.2012) ein Grad der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, aG, B, H, und RF festgestellt worden. Der Antragsteller lebte zuletzt in einer Pflegeeinrichtung in N-Stadt.

Die gesetzlichen Betreuer stellten für ihn am 16.10.2011 einen Antrag auf Gewährung von Blindengeld beim Beklagten (Auslegung des Antrags auf Feststellung des GdB). Im am 06.02.2012 beim Beklagten eingegangenen Schreiben wiesen die Betreuer darauf hin, dass beim Antragsteller keine Sehfähigkeit gegeben sei; jedoch könne der Kranke partiell hören, tasten und gezielte sonstige Bewegungen wie etwa Schluck- und Kehlkopfbewegungen machen.

Der Allgemeinarzt Dr. J. teilte im Befundbericht vom 30.10.2011 mit, dass seit der Subarachnoidalblutung am 03.10.2010 ein apallisches Syndrom bestehe. Der Antragsteller zeige Reaktion auf Lärm, aber keine sonstige Reaktion wie z.B. Augenfolgen, außer gelegentliche Spontanbewegungen des linken Arms. Der Antragsteller werde in den Pflegerollstuhl mobilisiert, was sehr aufwendig sei. Es sei ein ventriculoperitonealer Shunt angelegt worden; die Ernährung erfolge mittels PEG-Sonde. Blindheit könne nicht bestätigt, jedoch auch nicht ausgeschlossen werden.

Weiter wertete der Beklagte ein Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit vom 16.03.2011 aus. Daraus geht hervor, dass der Antragsteller vollständig bettlägerig sei. Mangels Äußerung des Antragstellers sei seine Orientierung nicht zu beurteilen. Eine eigenständige Beschäftigung sei nicht möglich. Auch Gedächtnisleistungen seien mangels Äußerung nicht beurteilbar. Gleiches gelte für die Wahrnehmung und das Denken. Eine verbale Kommunikation sei nicht möglich. Die Wahrnehmung und die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte seien dem Antragsteller ebenfalls nicht möglich. Weiter ist in dem Gutachten dargestellt, dass der Antragsteller unfähig sei, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen. Er könne sich allgemein nicht mehr adäquat artikulieren und sei dadurch in seiner Alltagskompetenz eingeschränkt. Der Antragsteller leide an einem demenziellen Syndrom, einem Zustand nach Subarachnoidalblutung erlitten bei Aneurysma der Arteria communicans posterior mit Hydrocephalus und Infarkt der Arteria cerebri media. An Pflegeerschwernissen bestünden eine Hemiparese rechts, eine zentrale Sprachstörung sowie Schluckstörungen.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 16.05.2012 hielt Dr. L. fest, dass nach der Beurteilung der Aufnahmen des Gehirns des Antragstellers zusammenfassend festzustellen sei, dass eine schwere Schädigung der zentralen Seh...

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