Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Kosten aufgrund einer Räumungsklage. Abgrenzung von Unterkunftskosten nach § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 und Schulden nach § 22 Abs 5 SGB 2 aF bzw § 22 Abs 8 SGB 2 nF
Leitsatz (amtlich)
Kosten aufgrund einer Räumungsklage können grundsätzlich Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs 1 SGB 2 darstellen bzw Mietschulden, die nach § 22 Abs 8 SGB 2 übernommen werden können.
Orientierungssatz
1. Bei der Abgrenzung von Schulden nach § 22 Abs 5 SGB 2 aF von den übrigen Kosten der Unterkunft und Heizung, die nach § 22 Abs 1 SGB 2 in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen sind, ist ausgehend vom Zweck der Leistungen nach dem SGB 2 danach zu unterscheiden, ob es sich um einen tatsächlich eingetretenen und bisher noch nicht vom Grundsicherungsträger gedeckten Bedarf handelt oder nicht (vgl LSG München vom 17.7.2012 - L 11 AS 406/12 B ER).
2. Durch eine Räumungsklage entstandene Kosten können dann Unterkunftskosten nach § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 darstellen, wenn der Grundsicherungsträger angemessene Unterkunftskosten nicht, nicht in voller Höhe oder verspätet geleistet hat und es dadurch zur Räumungsklage betreffend die angemessene Unterkunft gekommen ist (vgl BSG vom 24.11.2011 - B 14 AS 15/11 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 53).
3. Hat der Grundsicherungsträger zunächst seine Leistungen in vollem Umfang erbracht und sind trotzdem (zB wegen Nichtzahlung der Miete durch den Leistungsberechtigten) berechtigte Ansprüche des Vermieters gegeben oder nachträglich entstanden, so kann es sich allenfalls um Schulden handeln, die nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 22 Abs 5 SGB 2 aF übernommen werden können (vgl BSG vom 17.6.2010 - B 14 AS 58/09 R = BSGE 106, 190 = SozR 4-4200 § 22 Nr 41).
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 1. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Übernahme von Kosten für die Zwangsräumung ihrer früheren Wohnung in Höhe von insgesamt 2.115,16 Euro.
Die Klägerin wohnte zunächst in einer nicht angemessenen Wohnung in B-Stadt, die sie trotz Kostensenkungsaufforderung durch den Beklagten weiter bewohnte.
Nach Anhäufung von Mietschulden und vorheriger ordentlicher Kündigung kündigte der frühere Vermieter der damals wie heute beim Beklagten im Leistungsbezug nach dem SGB II stehenden Klägerin mit Schreiben vom 05.05.2008 deren damalige Wohnung in B-Stadt zum 09.05.2008 fristlos und strengte eine Räumungsklage vor dem Amtsgericht B-Stadt an. In der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht B-Stadt am 07.05.2008 verpflichtete sich die Klägerin, die Wohnung bis spätestens 15.05.2008 geräumt zu haben.
Bereits zum 01.05.2008 hatte die Klägerin ihre jetzige - nunmehr angemessene - Wohnung in A-Stadt bezogen. Für Mai 2008 übernahm der Beklagte die Doppelmiete für die aufgegebene Wohnung in B-Stadt in Höhe der angemessenen Miete sowie die Miete für die neue Wohnung in A-Stadt.
Am 18.02.2010 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Übernahme von Kosten für ihre frühere Wohnung in B-Stadt. Ihr seien im Zusammenhang mit der Räumung der früheren Wohnung Gesamtkosten in Höhe von 2.115,16 Euro entstanden, die sich wie folgt zusammensetzten:
- Mahnkosten des Amtsgerichts C-Stadt vom 15.04.2008 in Höhe von 23,00 Euro
- Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Amtsgerichts B-Stadt vom 20.07.2008 bzw. 05.08.2008 in Höhe von 419,48 Euro bzw. 1.595,36 Euro
- weitere Gerichtskosten in Höhe von 15,00 Euro und 50,05 Euro
- Gebühren des Gerichtsvollziehers vom 15.08.2008 in Höhe von 21,95 Euro.
Mit Bescheid vom 04.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2010 lehnte der Beklagte das Begehren der Klägerin auf Kostenübernahme ab. Nach dem SGB II sei eine Übernahme der Kosten nicht möglich, da eine Kostenübernahme für früher bewohnte Unterkünfte grundsätzlich nicht möglich sei.
Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht München mit Gerichtsbescheid vom 01.10.2013 als unbegründet ab.
Folgekosten aufgrund einer Räumung einer Wohnung könnten nach dem Regelsystem des SGB II nicht anerkannt werden. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfasse im Grundsatz alle Kosten, die für Wohnzwecke anfielen. Dies betreffe aber nur Zahlungsverpflichtungen, die sich aus dem aktuellen Mietvertrag für eine Unterkunft ergeben. Eine Kostenübernahme für frühere Wohnungen scheide nach dieser Vorschrift aus.
§ 22 Abs. 5 SGB II ermögliche zwar die Übernahme von Mietschulden. Voraussetzung der Vorschrift sei allerdings, dass die Schuldenübernahme zur Sicherung der aktuellen Unterkunft diene. Dies sei nicht der Fall, da die Klägerin inzwischen in einer neuen Wohnung wohne.
Ein sozialgerichtlich durchsetzbarer Schadensersatzanspruch bzw. ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch sei nicht ersichtlich. Für Schadensersatzansprüche aufgrund anderer Rechtsgrundlagen wie z. B. Amtshaftung sei das Sozialgericht nicht zuständig.
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