Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankengeldbezug. Aufforderung zur Beantragung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Anforderungen an ein ärztliches Gutachten iSv § 51 Abs 1 S 1 SGB 5. Ermessensausübung der Krankenkasse. Heilung einer fehlenden Anhörung im Gerichtsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den inhaltlichen Anforderungen an ein ärztliches Gutachten im Sinne des § 51 Abs 1 S 1 SGB V.
2. Zur Heilung einer fehlenden Anhörung im gerichtlichen Verfahren.
Orientierungssatz
1. Die in § 51 Abs 1 S 1 SGB 5 formulierte Möglichkeit für die Krankenkassen, Versicherte zur Stellung eines Rehaantrags aufzufordern, dient in erster Linie dazu, beim Versicherten die Minderung der Erwerbsfähigkeit zu beseitigen. Dies ist Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, wonach die Leistungen zur Teilhabe Vorrang haben vor Rentenleistungen, die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen sind (vgl BSG vom 16.12.2014 - B 1 KR 31/13 R = BSGE 118, 40 = SozR 4-2500 § 51 Nr 3, RdNr 27).
2. Tatbestandsvoraussetzung von § 51 Abs 1 S 1 SGB 5 ist, dass eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. Dies ist der Fall, wenn entweder der gesundheitliche Zustand des Versicherten so schlecht ist, dass mit einer dauerhaften Minderung oder dem Verlust seiner Erwerbsfähigkeit gerechnet werden muss, oder eine solche Minderung bereits eingetreten ist. Abzustellen ist auf die höchstpersönlichen Verhältnisse des Versicherten.
3. Bei der Ausübung des Ermessens muss die Krankenkasse alle Umstände des Einzelfalls sorgfältig abwägen und die Belange des Versicherten beachten. Das Gesetz räumt bei der Abwägung zwischen den Gestaltungsmöglichkeiten des Versicherten und den Befugnissen der Krankenkasse nach § 51 SGB 5 allerdings grundsätzlich den Interessen der Krankenkasse den Vorrang ein (vgl BSG vom 7.12.2004 - B 1 KR 6/03 R = BSGE 94, 26 = SozR 4-2500 § 51 Nr 1, RdNr 32).
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.09.2016 und der Bescheid der Beklagten vom 06.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2015 aufgehoben.
II. Die Beklagte erstattet dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beklagte Krankenkasse den Kläger zu Recht aufgefordert hat, einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 51 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu stellen.
Der 1973 geborene Kläger war zuletzt seit 01.04.2008 als versicherungspflichtiger Arbeitnehmer aufgrund seiner Beschäftigung als Altenpfleger in Vollzeit in einem Altenheim Mitglied der Beklagten. Aufgrund einer seit dem 07.03.2014 bestehenden Arbeitsunfähigkeit wegen F48.0, Z56, F33.2 (Neurasthenie, Kontaktanlässe mit Bezug auf das Berufsleben, rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome) zahlte die Beklagte nach Ablauf der Entgeltfortzahlung ab dem 18.04.2014 Krankengeld - nach einem entsprechenden angenommenen Anerkenntnis im vor dem Sozialgericht Bayreuth (SG) geführten Verfahren S 6 KR 176/14.
Anschließend bat die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Bayern (MDK) um Stellungnahme zur Sicherung des Behandlungserfolgs. Im Gutachten vom 24.10.2014 wertete der MDK in Form von Dr. E. einen psychologischen Befundbericht des Dr. V. vom 24.07.2014, einen Befundbericht des Dr. R. vom 12.08.2014 und ein neurologisches Gutachten der Dr. M. (Fachärztin für Neurologie) vom 14.07.2014 (erstellt im vor dem SG geführten gerichtlichen Verfahren S 6 KR 176/14 zur Frage des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit ab dem 18.04.2014) aus und kam zu dem Ergebnis, dass trotz psychotherapeutischer Behandlung bisher eine wesentliche Besserung und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers nicht habe erreicht werden können und eine Besserung unter der bisher laufenden Behandlung auch nicht zu erwarten sei. Das psychiatrische Gutachten von Dr. M. gehe von einem aufgehobenen Leistungsvermögen von unter drei Stunden aus. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei erheblich gefährdet, die Einleitung einer stationären psychosomatischen Rehabilitationsbehandlung indiziert. Eine weitergehende Begründung enthielt das Gutachten nicht, ebenso nicht eine Beschreibung der zugrunde gelegten Befunde und keine Erläuterungen der Einschätzung des Leistungsvermögens.
Mit an den Klägerbevollmächtigten übersandtem Bescheid vom 06.02.2015 forderte die Beklagte den Kläger auf, innerhalb von zehn Wochen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 51 Abs. 1 SGB V zu beantragen. Nach den vorliegenden ärztlichen Gutachten sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers erheblich gefährdet oder gemindert. Ersatzweise könne auch ein Antrag auf volle Erwerbsminderungsrente gestellt werden. Aufgrund gesetzlicher Vorschriften entfalle der Krankengeldanspruch, wenn der Antrag innerhalb der...