Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung
Leitsatz (amtlich)
Beim Bau eines Königreichssaales tätige Mitglieder der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas Deutschland werden nicht "arbeitnehmerähnlich" tätig.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 30. Januar 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 126.071,85 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin macht einen Erstattungsanspruch wegen des Unfalls der Beigeladenen geltend.
Die Beigeladene ist Mitglied der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Am 11.10.2003 teilte der Vorsitzende S. S. der Versammlung B-Stadt der Zeugen Jehovas der Beklagten mit, dass die Beigeladene bei Renovierungsarbeiten am Königreichssaal in B-Stadt am 04.10.2003 verunfallt sei. Sie stürzte durch die Saaldecke auf den Boden des Königreichssaals und verletzte sich dabei im Bereich der Brustwirbelsäule und der Lendenwirbelsäule mit Querschnittssyndrom. Am 27.10.2003 meldete die Klägerin ihren Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten an.
Herr S. teilte weiter mit, die Beigeladene sei kein Vereinsmitglied. Sie sei nicht veranlasst worden, bei den Renovierungsarbeiten im Dachstuhl mitzuhelfen. An der eigentlichen Bautätigkeit sei sie nicht beteiligt gewesen. Sie habe lediglich Kaffee gebracht. Darüber hinaus habe keine Erwartung einer Mithilfe bestanden.
Mit Bescheid vom 03.03.2004 an die Beigeladene lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aus Anlass des Unfalls vom 04.10.2003 ab. Die Beigeladene habe der Versammlung B-Stadt aus religiösen Gründen geholfen. Die Zeugen Jehovas seien als eingetragener Verein organisiert. So gebe es Mitglieder des Vereins und Mitglieder der Glaubensgemeinschaft. Bei der Beurteilung des Versicherungsschutzes sei davon auszugehen, dass sowohl die tatsächlich im Vereinsregister eingetragenen Mitglieder als auch die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft als Mitglieder des Vereins anzusehen seien. Ein Versicherungsschutz käme nur dann in Betracht, wenn die Tätigkeiten über die Arbeiten hinausgingen, die im Regelfall von einem Vereinsmitglied erwartet werden können. Die Anwesenheit am Unfalltag an der Unfallstelle sei ausschließlich von Freiwilligkeit geprägt gewesen. Die Tätigkeiten seien aufgrund der Verpflichtungen aus der Glaubenslehre der Zeugen Jehovas erbracht worden. Gesetzlicher Unfallversicherungsschutz habe deshalb nicht bestanden. Es liege kein Arbeitsunfall vor.
Die Klägerin wies darauf hin, dass es sich nicht nur um das Mitbringen von Kaffee gehandelt habe, sondern durchaus um eine zeitliche und arbeitstechnisch aufwendigere Arbeit von mehr als nur geringfügigem Umfang. Diese Tätigkeit erfolgte weder im Rahmen einer Mitgliedschaft bei den Zeugen Jehovas, noch im Rahmen eines Ehrenamts. Es handle sich um eine Arbeitsleistung, die auch von einem Beschäftigten erbracht werden könne, z.B. Catering-, Pizza-, Partyservice, Kantine etc.
Mit Schreiben vom 03.06.2004 teilte die Beklagte mit, der Bescheid vom 03.03.2004 sei bindend geworden. Die Erstattungsansprüche über 90.330,70 EUR wurden zurückgewiesen.
Daraufhin legte die Klägerin am 24.01.2005 Klage beim Sozialgericht München (SG) ein. Im Rahmen ihrer Mithilfe bei den Renovierungsarbeiten habe die Beigeladene den Arbeitsbereich über dem Königreichssaal betreten. Sie habe dort mithelfen wollen, Bretter umzuschichten. Versehentlich sei sie zwischen die Balken des Arbeitsbereichs getreten und durch die Decke auf den Boden des Saals gestürzt. Es handle sich um einen Arbeitsunfall, da es sich um eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit handelte.
Das SG erhob Beweis und vernahm die Beigeladene sowie deren Ehemann im Termin vom 24.05.2007 als Zeugen. Die Beigeladene gab an, dass sie mit einer Freundin zusammen für die Renovierungsarbeiter das Frühstück zubereitet und später Brotzeit und Getränke verteilt habe. Diese Tätigkeit sei bereits abgeschlossen gewesen. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe sie beim Hinaustragen von Latten helfen wollen. Herr S. habe ihr gesagt, ihre Mithilfe sei nicht mehr nötig. Der Ehemann gab an, zum Zeitpunkt des Unfalls seien die Renovierungsarbeiten bereits zum Großteil erledigt gewesen.
Die Beklagte wies darauf hin, alle getauften Zeugen Jehovas, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben, seien nach § 8 Abs. 3 des Statuts Mitglied der "Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas Deutschland e.V." Jedes Mitglied müsse nach § 9 des Statuts von einer der rechtlich unselbständigen Untergliederungen der Zeugen Jehovas als verbunden anerkannt sein, sonst ruhe seine Mitgliedschaft. Die eingetragenen Vereine, die viele örtliche Versammlungen zur vollen Teilhabe am Rechtsverkehr gebildet hätten, spielten in tatsächlicher Hinsicht nur eine untergeordnete Rolle. Die "einfachen" Zeugen Jehovas der betroffenen Versammlungen seien keine Mitglieder dieser Vereine. In der Regel seien lediglich die geistlich...