TOP 1 Fiktion des Nettoarbeitsentgelts bei Nichtzahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen
Durch Artikel 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23.07.2002 (BGBl. I S. 2787) wurde der Vorschrift des § 14 Abs. 2 SGB IV ein Satz 2 angefügt, wonach ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart gilt, wenn bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden sind. Die Ergänzung trat - wie das Gesetz insgesamt - zum 01.08.2002 in Kraft. Der Gesetzgeber hat damit erstmalig eine Rechtsgrundlage geschaffen, um bei derartigen Konstellationen eine Nettolohnvereinbarung unterstellen zu können, was bislang aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 22.09.1988 - 12 RK 36/86 -, USK 88155) nicht zulässig war (vgl. Punkt 4 der Niederschrift über die Besprechung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung zu Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 30./31.10.1990). Somit handelt es sich nicht um die gesetzliche Klarstellung einer bisher schon geübten Verwaltungspraxis, sondern um eine echte Neuregelung.
Illegale Beschäftigungsverhältnisse werden regelmäßig erst nachträglich aufgedeckt; aufgrund des Vorsatzes der Beitragshinterziehung werden dann grundsätzlich Beitragsnachforderungen im Rahmen der Verjährung nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV erhoben. Es stellt sich dabei die Frage, welche Voraussetzungen zu beachten sind, um das verfassungsmäßige Rückwirkungsverbot zu beachten, wenn vom 01.08.2002 an Beitragsnachberechnungen vorgenommen werden.
Die Besprechungsteilnehmer kommen überein, dass § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf Zeiträume vom 01.08.2002 an anzuwenden ist. Eine Hochrechnung kann erfolgen, wenn ein Nettolohn einem illegal Beschäftigten zuzuordnen ist oder wegen der Verletzung der Aufzeichnungspflichten ein Summenbeitragsbescheid nach § 28f Abs. 2 SGB IV erlassen wird. Die unechte Rückwirkung, d.h. die Einwirkung einer Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft - also z.B. auch die des neuen § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf laufende Beschäftigungsverhältnisse -, ist zulässig. Sie ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Betroffene mit einer Gesetzesänderung nicht zu rechnen brauchte, wobei das Vertrauen auf den Fortbestand gesetzlicher Vorschriften regelmäßig nicht geschützt wird, und darüber hinaus sein Vertrauen schutzwürdiger ist als das mit dem Gesetz verfolgte Anliegen (vgl. Jarass/Pieroth, GG Komm., Rdnrn. 48 ff., 52 zu Art. 20 GG, wo diese Auslegung aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes hergeleitet wird). Das Vertrauen dessen, der Beiträge hinterzogen hat, wiegt hier nicht schwerer als das Anliegen des Gesetzgebers, illegale Beschäftigung zu bekämpfen.
TOP 2 Begriff der illegalen Beschäftigung
Voraussetzung für eine Unterstellung einer Nettolohnvereinbarung i.S. des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ist das Vorliegen einer illegalen Beschäftigung.
Dem Vernehmen nach betrachtet das frühere Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung unter der Bezeichnung "illegale Beschäftigung" die illegale Arbeitnehmerüberlassung, also den Verleih von Arbeitnehmern ohne Besitz der erforderlichen Verleiherlaubnis, die illegale Ausländerbeschäftigung, also Ausübung einer Erwerbstätigkeit, ohne dass der erlaubnispflichtige Arbeitnehmer über eine Erlaubnis verfügt, und die Ausübung einer Beschäftigung während des Bezugs von Sozialleistungen, ohne dass der Sozialleistungsträger hierüber informiert wurde. Bei der illegalen Beschäftigung werden ausschließlich abhängige Beschäftigungsverhältnisse begründet.
Diese Definition ist restriktiv und entspricht nicht der bisherigen Praxis der Rentenversicherungsträger. Die Rentenversicherungsträger sind bisher in den Fällen, in denen Arbeitnehmer bewusst nicht zur Sozialversicherung angemeldet wurden, von illegaler Beschäftigung ausgegangen.
Bis auf Weiteres legen die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung den Begriff der illegalen Beschäftigung eng aus. Illegale Beschäftigungsverhältnisse im Sinne von § 14 Abs. 2. Satz 2 SGB IV sind demnach Beschäftigungsverhältnisse, die unter § 404 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3, §§ 406, 407 SGB III oder Artikel 1 §§ 15, 15a, 16 Abs. 1 Nrn. 1, 1b und 2 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes fallen, also unerlaubte Ausländerbeschäftigungen und unerlaubte Arbeitnehmerüberlassungen gemäß den genannten Vorschriften. Die Vorschrift gilt auch für Beschäftigungen während des Bezuges von Sozialleistungen, ohne dass der Sozialleistungsträger hierüber informiert wurde.
Die Vertreter der Bauwirtschaft nehmen die Auffassung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung zur Kenntnis.
Mit dem als Anlage [Anm. der Red.: hier nicht abgebildet] beigefügten Schreiben vom 17.03.2003 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit die bisherige restriktive Auffassung aufgegeben. Illegale Beschäftigung i. S. des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV liegt deshalb auch dann vor, wenn der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, Meldungen zu erstatten (§ 28a Abs. 1 SGB IV) und Beiträge zu zahlen (§ 28e ...