Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankentagegeld als Arbeitslohn
Leitsatz (NV)
- Die Frage nach dem Arbeitslohncharakter von Tagegeldzahlungen einer Krankenversicherung, die vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer weitergeleitet werden, bedarf keiner weiteren Klärung.
- Ebenfalls nicht grundsätzlich bedeutsam ist die Frage, ob bei einem im Inland nicht versicherungspflichtigen, aber freiwillig krankenversicherten Arbeitnehmer Arbeitslohn in Höhe der Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge als fiktiver Arbeitgeberanteil nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfrei ist.
- Allein die Ankündigung in der mündlichen Verhandlung, fehlende Unterlagen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt beschaffen zu wollen, macht jedenfalls dann keine Vertagung erforderlich, wenn zuvor hinreichend Zeit zur Beibringung der Unterlagen zur Verfügung stand.
- Die noch ausstehende Entscheidung des Versorgungsamtes über den Grad der Körperbehinderung erfordert keine Anordnung der Verfahrensruhe, weil eine solche Entscheidung auch nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu berücksichtigen ist.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 155; AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 3 Nr. 62; ZPO § 227 Abs. 1, § 251 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (EFG 1998, 718) |
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war im Streitjahr 1991 als so genannter Temporär-Arbeiter für einen Arbeitgeber in der Schweiz tätig. Der Arbeitgeber hatte bei der X-Versicherung eine Krankentagegeld-Versicherung abgeschlossen. Die Leistungen aus dieser Versicherung garantierten dem Kläger ab dem 3. Krankheitstag 80 v.H. des durchschnittlichen Lohnes während maximal 720 Tagen der Arbeitsunfähigkeit.
Der Arbeitgeber zahlte im Streitjahr … sfr (… DM) Krankentagegeld an den Kläger aus. Laut einer Bestätigung des Arbeitgebers hatte er den Geldbetrag treuhänderisch von der X-Versicherung in Empfang genommen und an den Kläger weitergeleitet.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) behandelte das Krankentagegeld als steuerpflichtigen Arbeitslohn. Die in der Einkommensteuererklärung 1991 angesetzten Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von … DM (AOK Y) wurden als Sonderausgaben berücksichtigt.
Mit der Klage begehrte der Kläger, das vom Arbeitgeber ausgezahlte Krankentagegeld (… DM) und Arbeitslohn in Höhe der Hälfte der an die AOK geleisteten Krankenversicherungsbeiträge (… DM) als steuerfrei zu behandeln. Im Laufe des Klageverfahrens bat das Gericht den Prozessbevollmächtigten des Klägers mehrfach schriftlich um Vorlage u.a. des Versicherungsvertrags (Versicherungspolice mit etwaigen allgemeinen Versicherungsbedingungen).
Der Kläger kam dieser Aufforderung nicht nach. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 718 veröffentlichten Gründen als unbegründet ab.
Mit der gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde macht der Kläger geltend, das Protokoll der mündlichen Verhandlung … sei in wesentlichen Punkten unvollständig. So habe er für die Vorlage des Versicherungsvertrags und des Arbeitsvertrags eine Frist bis zum 31. Januar 1998 beantragt, falls diese Unterlagen streitentscheidend seien. Die Nichtgewährung der Frist verletze den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Außerdem habe die Sache grundsätzliche Bedeutung, weil der Streitfall mit der beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Sache VI R 9/96 vergleichbar sei.
Grundsätzliche Bedeutung habe auch die Frage, ob Arbeitslohn in Höhe der Hälfte der an die AOK gezahlten Krankenversicherungsbeiträge als fiktiver Arbeitgeberanteil steuerfrei sei. Bei Grenzgängern sei billigkeitshalber die Zahlung des Arbeitgeberanteils durch den Arbeitnehmer steuerfrei zu belassen.
Darüber hinaus liege ein Verfahrensfehler vor, weil im Hinblick auf das Verfahren VI R 9/96 und die übrigen im Protokoll aufgeführten beim BFH anhängigen Verfahren das Ruhen des Verfahrens hätte angeordnet werden müssen. Ein weiterer Verfahrensfehler liege darin, dass der Antrag auf Gewährung des Freibetrags wegen Körperbehinderung nicht behandelt worden sei.
Der Kläger beantragt, die Revision gegen das Urteil der Vorinstanz zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen bzw. als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kläger habe weder die angeführten Verfahrensfehler hinreichend dargelegt noch die grundsätzliche Bedeutung der von ihm aufgeworfenen Fragen. Das FA schließe sich insoweit den Ausführungen des FG im Nichtabhilfe-Beschluss vom 9. März 1998 an. Darin hatte das FG u.a. ausgeführt, es sei kein förmlicher Antrag auf Einräumung einer Frist bis zum 31. Januar 1998 zur Vorlage des Versicherungsvertrags und des Arbeitsvertrags gestellt worden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe lediglich zu erkennen gegeben, dass er versuchen wolle, die Unterlagen bis zum 31. Januar 1998 zu beschaffen. Dies rechtfertige jedoch keine Vertagung, da dem Prozessbevollmächtigten hinreichend Zeit zur Verfügung gestanden habe, die Unterlagen zu beschaffen. Er sei am 5. Februar 1997, am 3. April 1997 und ―unter ausdrücklichem Hinweis auf die Entscheidungserheblichkeit der Unterlagen― nochmals am 9. September 1997 vergeblich zur Vorlage der Unterlagen aufgefordert worden. Ein Antrag auf Gewährung eines Freibetrags wegen Körperbehinderung sei in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht gestellt worden. Erst in dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Schriftsatz vom 15. Dezember 1997 sei dargelegt worden, dass der Kläger einen solchen Freibetrag beanspruche. Dem Antrag auf Ruhen des Verfahrens, bis die Bescheinigung des Versorgungsamtes vorliege, habe nicht entsprochen werden können. Ein Ruhen des Verfahrens sei weder sachdienlich gewesen noch habe das FA dem Antrag zugestimmt. Aus diesem Grunde habe die Verfahrensruhe auch nicht im Hinblick auf das Verfahren VI R 9/96 und die übrigen im Protokoll aufgeführten beim BFH anhängigen Verfahren angeordnet werden können.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage dann, wenn ihre Entscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, Rechtseinheitlichkeit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse liegt (Beschlüsse des BFH vom 6. April 1999 VI B 254/98, BFH/NV 1999, 1243, und vom 22. Oktober 1998 VIII B 47/98, BFH/NV 1999, 353; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Anm. 7 und 61).
a) Keiner weiteren Klärung bedarf die Frage nach dem Arbeitslohncharakter von Tagegeldzahlungen einer Krankenversicherung, die vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer weitergeleitet werden. Denn mit Urteil vom 26. Mai 1998 VI R 9/96 (BFHE 186, 247, BStBl II 1998, 581) hat der BFH entschieden, dass Versicherungsleistungen auf eigene Ansprüche des Arbeitnehmers regelmäßig auch dann kein Arbeitslohn sind, wenn der Versicherungsschutz im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis gewährt wird. Um Arbeitslohn handelt es sich bei der weitergeleiteten Zahlung demgegenüber in den Fällen, in denen sich der Arbeitgeber zur Finanzierung arbeitsrechtlicher Ansprüche rückversichert und selbst alleiniger Anspruchsberechtigter gegenüber dem Versicherungsunternehmen ist. In beiden Fällen hängt der Arbeitslohncharakter grundsätzlich nicht davon ab, ob der Arbeitgeber in die Auszahlung des Krankentagegeldes eingeschaltet ist.
b) Ebenfalls nicht grundsätzlich bedeutsam ist die Rechtsfrage, ob Arbeitslohn in Höhe der Hälfte der an die AOK gezahlten Krankenversicherungsbeiträge als fiktiver Arbeitgeberanteil steuerfrei i.S. des § 3 Nr. 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist. Das entsprechende Klagebegehren steht im Widerspruch zur Gesetzeslage. Dass diese von dem Kläger als unbillig angesehen wird, genügt nicht, um eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage zu bejahen. Soweit der Kläger einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz geltend macht, ist ein solcher nicht hinreichend dargelegt. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung genügt insoweit auch nicht der Hinweis auf die Kommentierung bei Schmidt/Heinicke (Einkommensteuergesetz, 18. Aufl., § 3 "Zukunftssicherungsleistungen") und die dort angegebenen Fundstellen. Das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 8. März 1991 IV B 6 -S 2333- 2/91 (BStBl I 1991, 387) ist im Streitfall nicht einschlägig. Aus Billigkeitsgründen als steuerfrei behandelt werden kann danach unter bestimmten Voraussetzungen die Hälfte der in voller Höhe vom bisherigen Arbeitgeber zu tragenden Versicherungsbeiträge für vorübergehend im Beitrittsgebiet beschäftigte Arbeitnehmer, obwohl es sich grundsätzlich um Arbeitslohn eines Dritten in Bezug auf das im Beitrittsgebiet bestehende Arbeitsverhältnis handeln würde. Im Streitfall geht es demgegenüber um vom Arbeitnehmer selbst geleistete Beiträge für ein nicht gesetzlich vorgeschriebenes Versicherungsverhältnis. Ebenfalls nicht einschlägig ist der Erlass des Finanzministeriums des Saarlandes vom 28. Juni 1985 B/II -490/85- S 2333 A (Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1985, 525). Dieser behandelt Beitragsleistungen, die im Inland tätige und deshalb sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer in voller Höhe tragen müssen, weil die Erfüllung der Beitragspflicht gegenüber ihren exterritorialen Arbeitgebern nicht erzwungen werden kann. Offen bleiben kann, ob sich der Senat der weitergehenden Formulierung bei Schmidt/Heinicke (a.a.O.) anschließen könnte, nach der Zahlungen des Arbeitgeberanteils durch den Arbeitnehmer billigkeitshalber steuerfrei zu belassen sind. Denn die Frage einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§ 163 der Abgabenordnung ―AO 1977―) kann im vorliegenden Verfahren nicht geklärt werden.
2. Es liegt keine nachträgliche Divergenz zum BFH-Urteil in BFHE 186, 247, BStBl II 1998, 581 vor. Denn dort war der Arbeitnehmer selbst Versicherter und somit Inhaber des Anspruchs auf die Versicherungsleistung. Im Streitfall hatte demgegenüber nach Tz. 4.9 des zwischen dem Arbeitgeber und dem Kläger geltenden Rahmenvertrages der Arbeitgeber die Krankentagegeld-Versicherung abgeschlossen. Das FG hat deshalb zu Recht Zweifel geäußert, ob der Kläger selbst Inhaber des Anspruchs auf die Versicherungsleistung war. Mangels Vorlage des Versicherungsvertrages, der Grundlage der Tagegeldauszahlung an den Arbeitgeber war, konnte das FG die Einzelumstände des Sachverhalts dahingehend würdigen, dass der Kläger keinen eigenen Anspruch gegen die Versicherungsgesellschaft auf Auszahlung von Krankentagegeld hatte.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger vorgelegten Lohnbescheinigung, nach der im Bruttolohn von … sfr "Tagegelder aus Vers." in Höhe von … sfr enthalten waren. Denn dem schweizer Lohnausweis kommt bei der Einkommensteuerveranlagung im Inland keine konstitutive Wirkung dahin zu, dass es sich bei den Tagegeldern nicht um Arbeitslohn handelt (BFH-Urteil in BFHE 186, 247, BStBl II 1998, 581).
3. Auch die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor. Das FG war weder zur Vertagung der Sache (§ 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―) noch zur Anordnung der Verfahrensruhe (§ 155 FGO i.V.m. § 251 Abs. 1 ZPO) verpflichtet.
a) Der Kläger hat nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass er einen förmlichen ―bisher unbeschiedenen― Antrag auf Vertagung der mündlichen Verhandlung zur Vorlage des Versicherungsvertrages und des Arbeitsvertrages gestellt hat. Gegen eine Falschprotokollierung insoweit spricht, dass der Kläger die Protokollierung eines solchen Antrags jedenfalls ausdrücklich nicht verlangt hat. Auch das FA hat die Behauptung des Klägers insoweit nicht bestätigt.
b) Ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken begegnet die Entscheidung des Gerichts, die Sache nicht zu vertagen, obwohl der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung angekündigt hatte, er wolle versuchen, die Unterlagen bis zum 31. Januar 1998 zu beschaffen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung der Sache geladen worden. Ihm hatte bis zur mündlichen Verhandlung hinreichend Zeit zur Verfügung gestanden, den Versicherungsvertrag zu beschaffen. Denn er war schriftlich am 5. Februar 1997, am 3. April 1997 und ―unter ausdrücklichem Hinweis auf die Entscheidungserheblichkeit― nochmals am 9. September 1997 vergeblich zur Vorlage der Unterlagen aufgefordert worden.
c) Das FG hat auch zu Recht kein Ruhen des Verfahrens angeordnet. Eine solche Anordnung war weder sachdienlich noch hatte das FA dem Antrag zugestimmt (§ 155 FGO i.V.m. § 251 Abs. 1 ZPO). Die Verfahren VI R 9/96 und die übrigen im Protokoll aufgeführten beim BFH anhängigen Verfahren rechtfertigten die begehrte Anordnung nicht. Dies gilt auch im Hinblick auf die noch ausstehende Entscheidung des Versorgungsamtes. Denn eine vom Versorgungsamt bestätigte Erhöhung des Grades der Behinderung ist ―auch nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss― gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu berücksichtigen.
Fundstellen
Haufe-Index 425161 |
BFH/NV 2000, 836 |