Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Vorlage an das BVerfG wegen angeblich gleichheitswidriger Begünstigung durch steuerfreie Kostenpauschale der Bundestagsabgeordneten; Entscheidungserheblichkeit i.S. des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG; Keine generelle Zulässigkeit von Richtervorlagen in Verfahren Nichtbegünstigter
Leitsatz (NV)
Rügt ein Steuerpflichtiger, der nicht zu den Abgeordneten des Deutschen Bundestags gehört, im finanzgerichtlichen Verfahren eine gleichheitswidrige Begünstigung der Abgeordneten aufgrund der diesen gewährten steuerfreien Kostenpauschale, so kommt eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit mangels Entscheidungserheblichkeit nicht in Betracht.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 12 S. 1, § 22 Nr. 4 S. 2; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, Art. 100 Abs. 1 S. 1; AbgG § 12 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
A. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden als Eheleute für das Streitjahr (2001) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte im Streitjahr als Geschäftsführer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit keine Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ermittelte bei der Einkommensteuerveranlagung der Kläger die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit durch Ansatz des Arbeitnehmer-Pauschbetrags von 2 000 DM nach § 9a Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung. Gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr legten die Kläger Einspruch ein und begehrten unter anderem die Berücksichtigung der "steuerfreien Aufwandsentschädigung" für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Der Einspruch blieb insoweit erfolglos. Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrten die Kläger den Ansatz eines pauschalen Werbungskostenabzugs in Höhe von 71 736 DM bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit entsprechend der steuerfreien Kostenpauschale der Bundestagsabgeordneten.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung führte das FG aus, ein pauschaler Werbungskostenabzug in Höhe des Betrags der steuerfreien Kostenpauschale i.S. des § 12 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz --AbgG--) komme für den Kläger nicht in Betracht, da dieser im Streitjahr nicht Mitglied des Deutschen Bundestages gewesen sei. Ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer vergleichbaren Steuervergünstigung ergebe sich auch nicht aus der vom Kläger behaupteten Verfassungswidrigkeit der Steuerfreiheit der Kostenpauschale. Es sei nicht erkennbar, dass der Kläger über den Weg des sogenannten verfassungswidrigen Unterlassens des Gesetzgebers einen Anspruch auf Einbeziehung in den begünstigten Personenkreis erreichen könne. Hierzu hätte der Kläger nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 20. Juni 1978 2 BvR 314/77 (BVerfGE 49, 1, BStBl II 1979, 92) über die Ungleichbehandlung verschiedener Vergleichspaare hinaus darlegen müssen, dass es bei einer Nichtigerklärung der verfassungswidrigen Gesetzesvorschrift durch das BVerfG zu einer Besserstellung des Klägers komme. Eine Änderung des § 12 Abs. 2 AbgG betreffe nach dem BVerfG-Beschluss in BVerfGE 49, 1, BStBl II 1979, 92 nicht einen Dritten, der nicht Mitglied des Bundestages sei, so dass eine Gesetzesänderung zu Gunsten des Klägers offensichtlich ausscheide. Eine Vorlage an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) komme daher nicht in Betracht.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe zu Unrecht angenommen, dass die Beschränkung der steuerfreien Kostenpauschale auf Abgeordnete verfassungsgemäß sei. Für die Ungleichbehandlung des Klägers, der ohne entsprechende Nachweise nur den Arbeitnehmer-Pauschbetrag in Höhe von 2 000 DM erhalte, fehle es an einem rechtfertigenden Grund. Es sei nicht erkennbar, warum eine Gesetzesänderung zugunsten des Klägers nicht in Frage kommen sollte, um diese Ungleichbehandlung zu beseitigen. Vielmehr sei es verfassungsrechtlich zwingend geboten, dem Kläger einen gleichwertigen Anspruch auf Steuerfreistellung seiner Einkünfte bis zur Höhe der steuerfreien Kostenpauschale der Abgeordneten zuzusprechen.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit anstatt des bisher berücksichtigten Arbeitnehmer-Pauschbetrags in Höhe von 2 000 DM ein pauschaler Werbungskostenabzug in Höhe von 78 240 DM vorgenommen wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Im Anschluss an die Aufforderung des Senats im Beschluss vom 21. September 2006 VI R 81/04 (BFHE 215, 196, BStBl II 2007, 114) hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) seinen Beitritt zum Revisionsverfahren erklärt (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zur Beantwortung der im Senatsbeschluss in BFHE 215, 196, BStBl II 2007, 114 gestellten Fragen hat das BMF ein im Auftrag des Deutschen Bundestages erstelltes Rechtsgutachten eingereicht.
Während des Revisionsverfahrens hat das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid mehrfach geändert, zuletzt mit Änderungsbescheid vom 13. Juni 2008.
Entscheidungsgründe
B. Der Beitritt des BMF zum vorliegenden Revisionsverfahren ist zulässig. Insoweit wird zur Begründung auf das zur Veröffentlichung bestimmte Senatsurteil vom 11. September 2008 VI R 13/06 unter B. der Gründe verwiesen.
C. Die Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
I. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat (§ 127 FGO).
Das FG hat über den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 25. März 2004 entschieden. An die Stelle dieses Bescheids ist während des Revisionsverfahrens der Änderungsbescheid vom 13. Juni 2008 getreten, der nach § 68 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--, zuletzt Urteile vom 15. März 2007 VI R 29/05, BFH/NV 2007, 1076; vom 14. Februar 2006 VIII R 40/03, BFHE 212, 270, BStBl II 2008, 182, jeweils m.w.N.). Da sich durch den Änderungsbescheid die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs nicht geändert haben, kann der Senat über die streitigen Rechtsfragen ohne Rückverweisung nach § 127 FGO selbst entscheiden (BFH-Urteile in BFH/NV 2007, 1076; in BFHE 212, 270, BStBl II 2008, 182).
II. Die Klage ist unbegründet und daher abzuweisen. Für den vom Kläger begehrten pauschalen Werbungskostenabzug bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 78 240 DM entsprechend der steuerfreien Kostenpauschale der Abgeordneten des Deutschen Bundestages besteht keine Rechtsgrundlage. Eine Aussetzung des Verfahrens zur Vorlage der Frage der Verfassungsmäßigkeit der steuerfreien Kostenpauschale an das BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG kommt im Streitfall nicht in Betracht.
1. Gemäß § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG sind u.a. steuerfrei die aus einer Bundeskasse gezahlten Bezüge, die in einem Bundesgesetz als Aufwandsentschädigung festgesetzt sind und als Aufwandsentschädigung im Haushaltsplan ausgewiesen werden. Abgeordnete des Deutschen Bundestages erhalten eine solche steuerfreie Aufwandsentschädigung. Denn § 12 Abs. 1 AbgG gewährt zur Abgeltung der durch das Mandat veranlassten Aufwendungen eine Sach- und Geldleistungen umfassende Amtsausstattung als Aufwandsentschädigung. Hierzu gehört u.a. die hier streitige Kostenpauschale nach § 12 Abs. 2 AbgG, die im Streitjahr 78 696 DM (12 x 6 558 DM) betrug (Braun/Jantsch/Klante, Abgeordnetengesetz, § 12 Rz 6).
Dem Kläger steht diese steuerfreie Kostenpauschale nicht zu. Denn er gehörte im Streitjahr nicht zum Kreis der in § 12 Abs. 1 AbgG genannten Bundestagsabgeordneten.
2. Eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG scheidet im Streitfall aus, weil es bei der Entscheidung des Rechtsstreits auf die Gültigkeit von § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG i.V.m. § 12 Abs. 2 AbgG, die nach Auffassung der Kläger in verfassungswidriger Weise Bundestagsabgeordnete gleichheitswidrig begünstigen, unabhängig von der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Normen nicht ankommt.
a) Nach der ständigen zu Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ergangenen Rechtsprechung des BVerfG kommt es auf die Gültigkeit der vorgelegten Rechtsnorm nur dann im Sinne einer Entscheidungserheblichkeit an, wenn das Prozessgericht für den Fall der Verfassungsmäßigkeit der Norm zu einer anderen Entscheidung käme als bei ihrer Verfassungswidrigkeit. Dabei ist an die Entscheidungserheblichkeit ein strenger Maßstab anzulegen, um die verfassungsrechtlich vorgegebene Unterscheidung zwischen konkreter Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG und abstrakter Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG zu wahren. Wird eine gleichheitswidrige Begünstigung gerügt, setzt die Entscheidungserheblichkeit voraus, dass die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm für den Kläger die Chance offenhält, eine für ihn günstigere Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen. Hieran fehlt es, wenn der Gesetzgeber an der Schaffung einer für den Kläger günstigeren Regelung aus Rechtsgründen oder aus offenkundig tatsächlichen Gründen gehindert ist (vgl. BVerfG-Beschluss vom 17. April 2008 2 BvL 4/05, unter B.I.; zur Begründung im Einzelnen wird auf das Senatsurteil vom 11. September 2008 VI R 13/06 unter C.II.1. und 2. seiner Gründe verwiesen).
b) Danach kommt es im Rechtsstreit der Kläger um die Rechtmäßigkeit des gegen sie gerichteten Einkommensteuerbescheides auf die Gültigkeit des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG i.V.m. § 12 Abs. 2 AbgG nicht an, weil der Gesetzgeber sowohl aus rechtlichen Gründen als auch aus offenkundig tatsächlichen Gründen daran gehindert ist, im Rahmen einer Neuregelung eine für den Kläger günstigere Regelung zu schaffen.
aa) Entspräche die steuerfreie Kostenpauschale in ihrem personellen Anwendungsbereich verfassungsrechtlichen Anforderungen, könnte sie durch den Gesetzgeber allenfalls auf solche Steuerpflichtige ausgedehnt werden, die im Hinblick auf den Zweck der Begünstigung einer mit den Bundestagsabgeordneten vergleichbaren Gruppe angehören. Zu einer solchen Gruppe gehört der Kläger nicht.
(1) Die auch andere Steuerpflichtige einbeziehende Neuregelung einer Kostenpauschale bedürfte als steuerliche Begünstigungsnorm und Ausnahme von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes und hätte insbesondere den Zweck der steuerfreien Kostenpauschale der Bundestagsabgeordneten zu beachten. Dieser besteht darin, die den Abgeordneten typischerweise entstehenden Aufwendungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des verfassungsrechtlich geregelten Abgeordnetenstatus zu erstatten. Zur Begründung im Einzelnen wird auf das Senatsurteil vom 11. September 2008 VI R 13/06 unter C.II.3. a) aa) und bb) seiner Gründe verwiesen.
(2) Der Kläger gehört als Geschäftsführer nicht zu einer Gruppe von Steuerpflichtigen, die im Hinblick auf den Zweck der steuerfreien Kostenpauschale mit den Bundestagsabgeordneten vergleichbar ist. Nach der Einkommensteuererklärung der Kläger für das Streitjahr, die nach den tatsächlichen und für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) vom FA unverändert der Veranlagung zugrunde gelegt worden ist, hat der Kläger bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit keine Werbungskosten geltend gemacht. Beim Kläger sind somit im Streitjahr dem Grunde nach keine Aufwendungen angefallen, die als typische Aufwendungen der Bundestagsabgeordneten nach § 12 Abs. 2 Satz 1 AbgG durch die steuerfreie Kostenpauschale erfasst werden.
(3) Im Übrigen unterscheiden sich unabhängig von Art und Umfang der dem Kläger im Streitjahr tatsächlich entstandenen Werbungskosten die in der steuerfreien Kostenpauschale zusammengefassten mandatsbedingten Aufwendungen der Abgeordneten auch in ihrer Struktur grundlegend von den Aufwendungen anderer Berufsgruppen. Sie bestehen im Wesentlichen aus besonderen, berufseigenen Aufwendungen, die anderen Berufsgruppen --und damit auch dem Kläger-- fremd sind. Es kommt hinzu, dass die beruflich veranlassten Aufwendungen anderer Berufsgruppen im Gegensatz zu den besonderen, mandatsbedingten Aufwendungen der Abgeordneten nicht durch eine Einheitspauschale mit Abgeltungswirkung gemäß § 22 Nr. 4 Satz 2 EStG erfasst werden. Insoweit wird auf die unter C.II.3. a) cc) näher ausgeführten Gründe des Senatsurteils vom 11. September 2008 VI R 13/06 Bezug genommen.
bb) Sollte die steuerfreie Kostenpauschale der Abgeordneten in ihrer derzeitigen Form indessen nicht realitätsgerecht ausgestaltet sein und insbesondere den Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Orientierung am tatsächlichen, wenn auch pauschalierten Aufwand überschreiten, diente die Pauschale faktisch in diesem Umfang der Alimentation und führte insoweit zu einem verschleierten Einkommen. Dies umginge unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG die Steuerpflicht der Abgeordnetenentschädigung.
In diesem Fall wäre der Gesetzgeber allerdings ebenfalls daran gehindert, neben den Abgeordneten auch andere Steuerpflichtige wie den Kläger durch eine pauschale Steuerfreistellung zu begünstigen. Denn die Erstreckung einer solchen verfassungswidrigen Pauschale auf den Kläger käme erst recht nicht in Betracht. Auf die unter C.II.3. b) näher ausgeführten Gründe des Senatsurteils vom 11. September 2008 VI R 13/06 wird Bezug genommen.
c) Die Entscheidungserheblichkeit der vom Kläger als verfassungswidrig gerügten Normen ergibt sich schließlich auch nicht durch eine Einbeziehung der allgemeinen Vorschriften des EStG zum Tarif und zur Bemessungsgrundlage. Auch das Recht des Klägers aus Art. 3 Abs. 1 GG auf eine gleichmäßige Steuerbelastung gewährt schließlich kein allgemeines und generelles Abwehrrecht. Die Annahme der Entscheidungserheblichkeit allein aufgrund der Möglichkeit einer anderweitigen Verteilung der Steuerlast eröffnete letztlich die allgemeine Popularklage. Insoweit nimmt der Senat auf die unter C.II.4. und 5. näher ausgeführten Gründe seines Urteils vom 11. September 2008 VI R 13/06 Bezug.
Fundstellen
Haufe-Index 2059371 |
BB 2008, 2265 |
HFR 2009, 64 |