Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 50d Abs.1 Satz 1 EStG: Rechtmäßigkeit, Abweichung von Art. 16 Abs.2 DBA-Polen - Zustimmungsgesetz zu einem DBA als einseitiger Verwaltungsakt
Leitsatz (amtlich)
1. Die in § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG getroffene Regelung ist rechtmäßig.
2. Das Zustimmungsgesetz zu einem DBA ist ein einseitiger Akt des deutschen Gesetzgebers, der mit Vorbehalten versehen, aufgehoben oder geändert werden kann.
Orientierungssatz
Die in § 50d Abs.1 Satz 1 EStG getroffene Regelung weicht zwar von Art. 16 Abs. 2 DBA-Polen ab. In der Bundesrepublik wird jedoch das DBA-Polen nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar in der Form des Zustimmungsgesetzes vom 24. April 1975 angewendet. Aus § 2 AO 1977 ergibt sich nichts anderes, weil die Vorschrift nicht den Fall betrifft, daß der Gesetzgeber ausdrücklich eine vom Zustimmungsgesetz abweichende Regelung trifft. Art. 25 GG ist nicht berührt, weil das DBA-Polen nicht zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehört. Das DBA-Polen fällt auch nicht unter Art. 79 Abs.1 GG. Im Bereich des Art. 59 Abs. 2 GG gilt kein "Alles-oder-nichts-Prinzip". Der innerstaatliche Gesetzgeber ist frei, im Zustimmungsgesetz Vorbehalte gegenüber der Anwendung bestimmter Abkommensvorschriften zu verankern.
Normenkette
EStG 1989 § 50d Abs. 1 S. 1; DBA POL Art. 16 Abs. 2; AO 1977 § 2; GG Art. 25; DBAG POL; GG Art. 59 Abs. 2, Art. 79 Abs. 2
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) veranstaltete im Streitjahr 1989 Konzerte, für die er polnische Künstler, Chöre und Orchester engagierte. An die polnischen Künstler zahlte er in 1989 Nettovergütungen in Höhe von 52 608,30 DM, ohne einen Quellensteuerabzug gemäß § 50a Abs.4 Nrn.1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorzunehmen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ deshalb am 23. April 1992 einen Haftungsbescheid, in dem er die Haftungsschuld für nicht abgeführte Einkommensteuer 1989 der polnischen Künstler auf 17,64 v.H. von 52 608,30 DM = 9 280,10 DM festsetzte.
Der Einspruch und die Klage blieben in dem heute noch streitigen Punkt ohne Erfolg.
Mit seiner vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt, die Vorentscheidung und den Haftungsbescheid vom 23. April 1992 aufzuheben, soweit sie das Jahr 1989 und die Haftung aufgrund der an die polnischen Künstler gezahlten Vergütungen betreffen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Nach § 50d EStG in der im Streitjahr 1989 geltenden Fassung (Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988, BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) sind die Vorschriften über die Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Steuer durch den Schuldner der Kapitalerträge oder Vergütungen i.S. des § 50a EStG ungeachtet eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anzuwenden, wenn Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag oder aufgrund des § 50a EStG unterliegen, nach einem Abkommen nicht oder nur nach einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden können. Auf der Grundlage der tatsächlichen und den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs.2 FGO) sind die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift im Streitfall erfüllt. Der Kläger wird als Haftungsschuldner gemäß § 50a Abs.5 Satz 5 EStG für Einkommensteuern 1989 in Anspruch genommen, die mutmaßlich in Polen ansässige Personen gemäß § 50a Abs.4 Nrn.1 und 2 EStG schulden. Zwar ist zugunsten dieser Personen das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 18. Dezember 1972 --DBA-Polen-- (BGBl II 1975, 646) anzuwenden. Auch sieht Art.16 Abs.2 DBA-Polen die Besteuerung von Einkünften nur in Polen vor, die in Polen ansässige berufsmäßige Künstler aus in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) persönlich ausgeübter Tätigkeit erzielen, wenn und soweit sie in der Bundesrepublik im Rahmen eines von Polen gebilligten Kulturaustausches auftreten. Jedoch bedarf es keines Eingehens auf die Frage, ob die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung in der Bundesrepublik gemäß Art.16 Abs.2 DBA-Polen ausreichend nachgewiesen sind. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß § 50d Abs.1 Satz 1 EStG die Rechtsfolge des Art.16 Abs.2 DBA-Polen für den Bereich des Quellensteuerabzuges gemäß § 50a Abs.4 EStG suspendieren würde. § 50d Abs.1 Satz 2 EStG zwingt auch die in Polen ansässigen Künstler, die Steuerbefreiung in der Bundesrepublik nach Art.16 Abs.2 DBA-Polen entweder in einem Freistellungs- oder in einem Erstattungsverfahren geltend zu machen. In einem dieser beiden Verfahren muß der in Polen ansässige Künstler eine Bescheinigung der zuständigen polnischen Steuerbehörde vorlegen, aus der sich ergibt, daß er i.S. des Art.4 DBA-Polen in Polen ansässig ist. Auf diese Weise wird sichergestellt, daß das DBA-Polen in der Bundesrepublik zutreffend angewendet wird und daß die in der Bundesrepublik zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung steuerbefreiten Einkünfte zumindest im Wohnsitzstaat steuerlich erfaßt werden können. Entsprechend ist es der Sinn und Zweck des § 50d Abs.1 Satz 1 EStG, die in Art.16 Abs.2 DBA-Polen vorgesehene Steuerbefreiung in der Bundesrepublik nur demjenigen zukommen zu lassen, der die Einkünfte in Polen ordnungsgemäß erklärt.
2. Der erkennende Senat hält die in § 50d Abs.1 Satz 1 EStG getroffene Regelung für rechtmäßig. Zwar weicht sie von Art.16 Abs.2 DBA-Polen ab. In der Bundesrepublik wird jedoch das DBA-Polen nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar in der Form des Zustimmungsgesetzes vom 24. April 1975 angewendet. Das Zustimmungsgesetz ist ein einseitiger Akt des deutschen Gesetzgebers, der mit Vorbehalten versehen, aufgehoben oder geändert werden kann. Ob durch einen Vorbehalt bzw. durch die Aufhebung oder Änderung Völkerrecht verletzt würde, ist eine andere Frage, die die Wirksamkeit des Vorbehaltes bzw. der Aufhebung oder Änderung nicht berührt. Aus § 2 der Abgabenordnung (AO 1977) ergibt sich nichts anderes, weil die Vorschrift nicht den Fall betrifft, daß der Gesetzgeber --wie in § 50d Abs.1 Satz 1 EStG geschehen-- ausdrücklich eine vom Zustimmungsgesetz abweichende Regelung trifft. Der Senat folgt insoweit der im Schrifttum ganz überwiegend vertretenen Auffassung (Langbein, Recht der Internationalen Wirtschaft --RIW-- 1988, 875 ff.; Schwarz/Fischer-Zernin, RIW 1992, 49; Tillmanns in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, B 421 ff.; Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, 2.Aufl., Einl. Rdnr.44; Debatin, Deutsches Steuerrecht, Beihefter 23/1992, S.1; ders. Der Betrieb --DB-- 1992, 2159 ff.; -dox-, Finanz-Rundschau --FR-- 1992, 130; Tulloch, DB 1992, 1444; Lang, Steuer und Wirtschaft 1975, 285, 287; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 2 AO 1977 Rdnr.1; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 2 AO 1977 Rdnr.159 ff.; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 4.Aufl., § 2 Anm.3; anderer Ansicht: Scholtz in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 4.Aufl., § 2 Rdnr.5; Eckert, RIW 1992, 386; Wohlschlegel, FR 1993, 48). Art.25 des Grundgesetzes (GG) ist insoweit nicht berührt, weil das DBA-Polen nicht zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehört. Das DBA-Polen fällt auch nicht unter Art.79 Abs.1 GG, weshalb die Einfügung des § 50d EStG kein den Art.25 GG im Einzelfall mit der qualifizierten Mehrheit des Art.79 Abs.2 GG änderndes Gesetz voraussetzte. Schließlich gilt im Bereich des Art.59 Abs.2 GG kein "Alles-oder-nichts-Prinzip". Der innerstaatliche Gesetzgeber ist frei, im Zustimmungsgesetz Vorbehalte gegenüber der Anwendung bestimmter Abkommensvorschriften zu verankern.
Fundstellen
Haufe-Index 64941 |
BFH/NV 1995, 3 |
BStBl II 1995, 129 |
BFHE 175, 351 |
BFHE 1995, 351 |
BB 1994, 2411 |
BB 1994, 2411 (L) |
DB 1994, 2531 (LT) |
DStR 1995, 175 (K) |
HFR 1995, 138 (KT) |