Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz wegen Verletzung anwaltlicher Berufspflichten. verspätete Berufungsbegründung. Anwaltshaftung. Mitwirkung der im Vorprozess mit der Sache befassten Richter an Entscheidung im Anwaltshaftungsprozess. Besorgnis der Befangenheit. Ausschluss von Richteramt
Leitsatz (amtlich)
Die Mitwirkung der im Vorprozess mit der Sache befassten Richter bei dem Erlass der Entscheidung im späteren Anwaltshaftungsprozess stellt weder einen gesetzlichen Ausschlussgrund noch einen Ablehnungsgrund wegen Besorgnis der Befangenheit dar.
Normenkette
ZPO § 41 Nr. 6, § 42 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 32. Zivilsenats des OLG Hamm vom 21.8.2013 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 80.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen Verletzung anwaltlicher Berufspflichten. Die beklagten Rechtsanwälte vertraten den Kläger vor dem LG Münster in einem Arzthaftungsprozess (nachfolgend: Vorprozess). Nach Abweisung der Klage legten sie auftragsgemäß Berufung ein, die sie nicht rechtzeitig begründeten. Der Kläger ist der Auffassung, sein Rechtsmittel wäre begründet gewesen. Er nimmt die Beklagten deshalb auf Schadensersatz in Höhe des im Vorprozess verlangten Schmerzensgeldes von 50.000 EUR sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden in Anspruch, die er durch die im Vorprozess streitgegenständliche ärztliche Fehlbehandlung erlitten habe und künftig noch erleiden werde. Nach der Geschäftsverteilung des LG ist für die Entscheidung des Rechtsstreits die Kammer zuständig, die bereits mit dem Vorprozess befasst war. Mit Schriftsatz vom 11.3.2013 hat der Kläger, soweit noch von Interesse, den Kammervorsitzenden und ein weiteres Mitglied der Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit mit der Begründung abgelehnt, dass der Fall demjenigen des gesetzlichen Ausschlusses des mit der Sache vorbefassten Richters nach § 41 Nr. 6 ZPO entspreche. In ihren dienstlichen Äußerungen haben die Richter erklärt, über die Klage unvoreingenommen urteilen zu können.
Rz. 2
Das Ablehnungsgesuch ist vor dem LG erfolglos geblieben. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger sein Ablehnungsbegehren weiter.
II.
Rz. 3
Die gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Rz. 4
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die abgelehnten Richter seien weder kraft Gesetzes noch wegen Besorgnis der Befangenheit von der Ausübung ihres Richteramtes ausgeschlossen. Die Voraussetzungen des § 41 Nr. 6 ZPO seien nicht erfüllt, die Vorschrift führe nur dann zum gesetzlichen Ausschluss vom Richteramt, wenn ein Richter in einem früheren Rechtszug des gleichen Verfahrens an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt habe. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Der Regressprozess bezwecke nicht die Überprüfung der im Ausgangsverfahren ergangenen erstinstanzlichen Entscheidung, deren Richtigkeit nur inzidenter im Rahmen des geltend gemachten Schadens zu beurteilen sei. Einer ausdehnenden Auslegung sei die Vorschrift nicht zugänglich. Dem stehe das verfassungsrechtlich garantierte Recht der Beteiligten auf den gesetzlichen Richter entgegen.
Rz. 5
Die Tätigkeit der abgelehnten Richter im Ausgangsverfahren rechtfertige auch nicht die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 Abs. 2 ZPO. Allein die Mitwirkung der Richter an dem klageabweisenden Urteil des Ausgangsprozesses begründe diese Besorgnis nicht. Die Zivilprozessordnung lasse verschiedene Konstellationen - etwa die Entscheidung über den Einspruch nach Erlass eines Versäumnisurteils oder über den Widerspruch gegen eine im Beschlussverfahren ergangene einstweilige Verfügung - zu, in denen ein Richter im weiteren Verlauf des Verfahrens eigene Entscheidungen zu überprüfen und ggf. abzuändern habe, ohne dass er deshalb aus der Sicht einer verständigen Partei als befangen anzusehen sei. Dies gelte auch für atypische Konstellationen prozessrechtlicher Vorbefassung, in denen beispielsweise der Rechtsmittelrichter an das Tatsachengericht wechsele, bei dem er ein unter seiner Mitwirkung im Rechtsmittelverfahren aufgehobenes und zurückverwiesenes Rechtsmittelverfahren fortzuführen habe, oder die Befassung als Zivilrichter mit einer Sache, die er zuvor bereits als Strafrichter zu beurteilen gehabt habe.
Rz. 6
2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die abgelehnten Richter sind wegen ihrer Mitwirkung im vorausgegangenen Arzthaftungsprozess weder ausgeschlossen (§ 41 Nr. 6 ZPO) noch befangen (§ 42 Abs. 2 ZPO).
Rz. 7
a) Nach § 41 Nr. 6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes in Sachen ausgeschlossen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Seine Mitwirkung an einer anderen Entscheidung als der angefochtenen reicht hingegen nicht aus (BGH, Urt. v. 5.7.1960 - VI ZR 109/59, NJW 1960, 1762 f.; v. 5.12.1980 - V ZR 16/80, NJW 1981, 1273 f.; Beschl. v. 24.7.2012 - II ZR 280/11, NJW-RR 2012, 1341 Rz. 2; BVerwG, NJW 1975, 1241; NJW 1980, 2722; BFHE 242, 271 Rz. 23). Im Streitfall haben die abgelehnten Richter, die im Anwaltshaftungsprozess in erster Instanz tätig werden sollen, nur in einem Vorprozess mitgewirkt, dessen für den Kläger negativer Ausgang den Anlass für die streitgegenständliche Haftungsklage gegeben hat. Dieser Fall wird von dem klaren Wortlaut der Vorschrift nicht erfasst.
Rz. 8
Eine entsprechende Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO auf den hier gegebenen Fall der Vorbefassung scheidet ebenfalls aus. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde fehlt es schon an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Es geht im Anwaltshaftungsprozess nicht um eine auch nur mittelbare Überprüfung der im Vorprozess ergangenen Entscheidung. Die Frage, ob dem Mandanten durch eine schuldhafte Pflichtverletzung des Rechtsanwalts ein Schaden entstanden ist, der vom Ausgang eines anderen Rechtsstreits abhängt, ist danach zu beurteilen, wie jenes Verfahren richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre (BGH, Urt. v. 13.6.1996 - IX ZR 233/95, BGHZ 133, 110, 111; v. 17.9.2009 - IX ZR 74/08, WM 2009, 2138 Rz. 20). Welche rechtliche Beurteilung das mit dem Vorprozess befasste Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hatte, ist hingegen ohne Belang (BGH, Urt. v. 15.11.2007 - IX ZR 44/04, BGHZ 174, 205, 209 Rz. 9). Die Stellung des Gerichts im Haftungsprozess entspricht daher eher der eines Instanzgerichts, das nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache durch das Rechtsmittelgericht erneut über die Sache zu befinden hat. Wie sich aus § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO ergibt, entscheidet nach Zurückverweisung der Sache ein anderer Spruchkörper nur, wenn das Rechtsmittelgericht eine diesbezügliche besondere Anordnung trifft. Fehlt eine solche, ist bei den Mitgliedern des vorbefassten Spruchkörpers, die an dem aufgehobenen Urteil mitgewirkt haben, kein Fall der unmittelbaren oder entsprechenden Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO gegeben (vgl. BVerwG, NJW 1975, 1241 m.w.N.; Gehrlein in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., § 41 Rz. 24 f.; Musielak/Heinrich, ZPO, 11. Aufl., § 41 Rz. 13; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 41 Rz. 24). Dieses Beispiel zeigt, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Unvoreingenommenheit des Richters grundsätzlich nicht schon dadurch gefährdet ist, dass er sich schon früher zu demselben Sachverhalt ein Urteil gebildet hat. In den Regelungen zum Nachverfahren nach einer Entscheidung im Urkundenprozess (vgl. Hk-ZPO/Bendtsen, 5. Aufl., § 41 Rz. 17 f.; Gehrlein in MünchKomm/ZPO, a.a.O.; Musielak/Heinrich, a.a.O.; Zöller/Vollkommer, a.a.O.; jeweils m.w.N.) kommt dies ebenfalls zum Ausdruck.
Rz. 9
Im Übrigen führt § 41 ZPO die Ausschließungsgründe abschließend auf. Schon wegen der verfassungsmäßigen Forderung, den gesetzlichen Richter im Voraus möglichst eindeutig zu bestimmen (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), ist die Vorschrift einer erweiternden Auslegung im Sinne der Rechtsbeschwerde nicht zugänglich (vgl. BGH, Urt. v. 5.12.1980, a.a.O.; vom 4.12.1989 - RiZ(R) 5/89, NJW 1991, 425; Beschl. v. 20.10.2003 - II ZR 31/02, NJW 2004, 163; vom 24.7.2012, a.a.O., Rz. 3; BVerfGE 30, 149, 155; BVerfGE 30, 165, 168 f.; BVerfG NJW 2001, 3533).
Rz. 10
b) Die bloße Mitwirkung an der im Vorprozess ergangenen Entscheidung stellt im nachfolgenden Haftungsprozess auch keinen Ablehnungsgrund nach § 42 Abs. 2 ZPO dar. Begründete bereits die Mitwirkung im Vorprozess die Besorgnis der Befangenheit, führte dies auf dem Umweg über § 42 ZPO im Endergebnis zu einer unzulässigen Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 41 ZPO, die - wie ausgeführt - aus verfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlossen ist.
Rz. 11
aa) Nach § 42 Abs. 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Unerheblich ist, ob der Richter sich befangen fühlt oder tatsächlich befangen ist. Entscheidend ist vielmehr, ob aus der Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei die Besorgnis besteht, der zur Entscheidung berufene Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Beschl. v. 30.1.1986 - X ZR 70/84, NJW-RR 1986, 738; v. 14.3.2003 - IXa ZB 27/03, WM 2003, 946; st.Rspr.; s. ferner BVerfG NJW 1993, 2230 m.w.N.; Prütting/Gehrlein/Mannebeck, ZPO, 6. Aufl., § 42 Rz. 5; Gehrlein in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 42 Rz. 4; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 42 Rz. 9). Der nach § 44 Abs. 2 Satz 1 ZPO glaubhaft zu machende Ablehnungsgrund kann, wenn wie hier keiner der Ausschlusstatbestände des § 41 ZPO vorliegt, nur in konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen liegen.
Rz. 12
bb) Daran fehlt es hier. Allein der Umstand, dass es einem Richter bei einer Zweitbefassung mit einem Sachverhalt zugemutet wird, sich von dessen früherer rechtlichen Beurteilung zu lösen und den Fall neu zu durchdenken, reicht hierfür nicht aus (a.A. LG Darmstadt NJW-RR 1999, 289, 290; Baur in FS Larenz, 1973, S. 1063, 1073 f.). Aus objektiver Sicht ist es dem in typischer oder atypischer Weise vorbefassten Richter grundsätzlich zuzutrauen, dass er auch den neuen Fall ausschließlich nach sachlichen Kriterien löst (vgl. Gehrlein in MünchKomm/ZPO, a.a.O., § 42 Rz. 15 f.). Besondere Umstände des Einzelfalls, aus denen sich ergeben könnte, dass die hier abgelehnten Richter aus der Sicht einer verständigen Partei gehindert sein könnten, den sich aus dem von ihnen seiner Zeit entschiedenen Arzthaftungsprozess ergebenden Anwaltshaftungsfall objektiv und angemessen zu beurteilen, hat der Kläger nicht dargetan und nicht glaubhaft gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 7620279 |
EBE/BGH 2015 |
FamRZ 2015, 746 |
NJW-RR 2015, 444 |
FA 2015, 120 |
WM 2015, 788 |
ZAP 2015, 292 |
ZIP 2015, 500 |
AnwBl 2015, 354 |
JZ 2015, 156 |
JZ 2015, 312 |
JZ 2015, 578 |
MDR 2015, 539 |
VersR 2015, 1315 |
ZfBR 2015, 364 |
FF 2015, 264 |
Mitt. 2015, 243 |
PAK 2015, 86 |