Leitsatz (amtlich)
Der Vorschrift des § 126 Abs. 1 S. 1 SGB V, nach der Hilfsmittel an Versicherte gesetzlicher Krankenkassen nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden dürfen, kommt keine wettbewerbsrechtliche Schutzfunktion zu. Eine Handwerksinnung (hier: Innung für Orthopädietechnik) kann daher keinen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch nach § 1 UWG gegen einen anderen Leistungserbringer (im Streitfall einen Apotheker) wegen fehlender Krankenkassenzulassung geltend machen.
Normenkette
UWG § 1; SGB V § 126
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 01.03.2001) |
LG Essen |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des OLG Hamm v. 1.3.2001 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte vertreibt in seiner Apotheke orthopädische Hilfsmittel, u. a. Kompressionsstrümpfe, Gehhilfen und ähnliche Art.
Die Klägerin, eine Innung für Orthopädie-Technik, hat u. a. vorgetragen, der Beklagte verfüge nicht über die nach dem Gesetz erforderliche Zulassung zur Abgabe orthopädischer Hilfsmittel an gesetzlich Krankenversicherte. Sie hat das Verhalten des Beklagten als Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht beanstandet.
Die Klägerin hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen,
1. folgende orthopädische Hilfsmittel und Gegenstände zu bewerben und/oder in seiner Apotheke abzugeben:
Kompressionsstrümpfe/Strumpfhosen, Rollstühle, Rollatoren, Gehstützen und Gehhilfen, Delta-Gehräder, Toilettensitzerhöhungen, Krankenbetten mit Anti-Dekubitus-Therapiesystem, bestehend aus einer Anti-Dekubitus-Matratze nebst Aggregat, Bettserviertische, Rückenstützen, Warmhalteteller, Bestecke, Badewanneneinsteiggriffe, Badebretter, Badewannensitze, Duschsitze, Kopfwaschbecken und Badewannenlifter, Toilettenstühle mit angepassten Sitzerhöhungen;
2. orthopädische Hilfsmittel, die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 128 SGB V i. d. F. v. 30.6.1999, Bundesanzeiger v. 19.1.2000, veröffentlicht sind, in seiner Apotheke an Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung abzugeben, ohne im Besitz einer Zulassung zur Abgabe von Hilfsmitteln nach § 126 Abs. 1 SGB V zu sein.
Der Beklagte ist dem entgegengetreten. Er hat geltend gemacht, über die notwendige Erlaubnis der Krankenkassen zu verfügen; das Fehlen der Krankenkassenzulassung könne zudem einen Wettbewerbsverstoß nicht begründen.
Das LG hat den Beklagten nach dem Klageantrag zu 1) teilweise und nach dem Klageantrag zu 2) insgesamt verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen.
Mit der Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin den Unterlassungsantrag zu 2) weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der Klageantrag zu 2) nicht hinreichend bestimmt sei. Er nehme auf ein Hilfsmittelverzeichnis Bezug, in dem eine Gruppe "orthopädische Hilfsmittel" nicht angeführt sei. An die dort aufgeführten Produktgruppen habe die Klägerin nicht angeknüpft. Es bleibe daher unklar, auf welche konkreten Hilfsmittel sich das Abgabeverbot beziehen solle.
Wenn der Klageantrag zu 2) dahin verstanden werde, dass er sich jedenfalls auf die im Klageantrag zu 1) genannten orthopädischen Hilfsmittel beziehen solle, sei er zwar bestimmt. Ihm fehle aber das Rechtsschutzbedürfnis, weil sein Klagebegehren in diesem Fall bereits in dem weiter gehenden Klageantrag zu 1) enthalten sei. Der Klageantrag zu 2) sei daher nur sinnvoll, wenn er hilfsweise für den Fall gestellt werde, dass die Klägerin mit dem Klageantrag zu 1) keinen Erfolg habe.
Der Antrag richte sich weiter zu Unrecht gegen die Abgabe der Hilfsmittel als solche, weil sich das Problem einer fehlenden Zulassung des Beklagten nach § 126 SGB V erst stelle, wenn er von der gesetzlichen Krankenversicherung Erstattung verlange.
Unabhängig von der Antragsfassung scheitere das begehrte Verbot daran, dass ein Anspruch nach § 1 UWG wegen eines Verstoßes gegen § 126 SGB V nicht gegeben sei. Offenbleiben könne die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob der Beklagte die nach § 126 SGB V erforderliche Zulassung besitze. Der Wettbewerb zu den Mitgliedern der Klägerin werde nicht dadurch berührt, dass der Beklagte orthopädische Hilfsmittel vertreibe, ohne im Besitz der für die Leistungserstattung erforderlichen Zulassung zu sein. Das Abrechnungsverfahren des Apothekers mit den gesetzlichen Krankenkassen i. S. v. § 126 SGB V liege außerhalb des Wettbewerbsverhältnisses zwischen den Apotheken und dem orthopädischen Handwerk. Der Vorschrift des § 126 SGB V fehle jeder wettbewerbsrechtliche Bezug. Es sei allein eine sozialversicherungsrechtliche Frage, ob die Krankenkasse einen Erstattungsanspruch des Beklagten erfüllen müsse.
II. Die hiergegen gerichtete Revision hat keinen Erfolg. Der Klageantrag zu 2) ist, soweit er über die konkrete Verletzungsform hinausgeht, unzulässig (dazu nachstehend Abschnitt II 1b); soweit der mit dem Klageantrag zu 2) verfolgte Unterlassungsanspruch als Minus auf die konkrete Verletzungsform beschränkt ist (hierzu Abschnitt II 1c), ist er unbegründet (vgl. Abschnitt II 2).
1. a) Das Berufungsgericht hat die Klagebefugnis der Klägerin nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG bejaht. Das wird von der Revisionserwiderung nicht beanstandet. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich (zur Klagebefugnis der Handwerksinnungen vgl. BGH, Urt. v. 27.9.1995 - I ZR 156/93, MDR 1996, 491 = GRUR 1996, 70 f. = WRP 1996, 11 - Sozialversicherungsfreigrenze). Dass bestimmte Streitigkeiten des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs nach näherer Maßgabe des zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage am 21.10.1999 maßgeblichen § 51 Abs. 2 SGG a.F. den Sozialgerichten zugewiesen worden sind - im Revisionsverfahren ist der Rechtsweg nach § 17a Abs. 5 GVG ohnehin nicht zu prüfen , berührt die Prozessführungsbefugnis der Klägerin nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG ebenso wenig wie die Frage, ob die Vorschrift des § 126 SGB V eine wettbewerbsschützende Funktion hat (a. A. BSG v. 25.9.2001 - B 3 KR 3/01 R, NJW-RR 2002, 1691 [1693]).
b) Mit Recht hat das Berufungsgericht den Klageantrag zu 2) in seiner umfassenden Form als nicht hinreichend bestimmt i. S. v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO angesehen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 4.7.2002 - I ZR 38/00, BGHReport 2003, 137 = GRUR 2002, 1088 [1089] = WRP 2002, 1269 - Zugabenbündel). Denn der Unterlassungsantrag führt die orthopädischen Hilfsmittel, gegen deren Abgabe er gerichtet ist, nicht im Einzelnen an, sondern nimmt nur Bezug auf das Hilfsmittelverzeichnis nach § 128 SGB V in der Bekanntmachung v. 30.6.1999 (BAnz v. 19.1.2000). Diese Bezugnahme genügt nicht dem Bestimmtheitserfordernis. Das Hilfsmittelverzeichnis umfasst auf 57 Seiten eine Vielzahl von Produktgruppen mit jeweils zahlreichen einzelnen Produkten. Eine Produktgruppe "orthopädische Hilfsmittel" ist in dem Verzeichnis nicht aufgeführt. Eine Zuordnung der einzelnen Produkte zu orthopädischen Hilfsmitteln ist danach keineswegs eindeutig. Sie bliebe vielmehr der Feststellung durch das Vollstreckungsgericht vorbehalten, was dem Bestimmtheitsgebot nicht genügt.
c) Der Klageantrag zu 2) erfasst jedoch - was auch das Berufungsgericht erwogen hat - als "Minus" diejenigen orthopädischen Hilfsmittel, die im Klageantrag zu 1) konkret aufgeführt sind und sich auch im Hilfsmittelverzeichnis nach § 128 SGB V wiederfinden (zu einem zu weit gefassten Unterlassungsantrag, der als ein Minus die konkrete Verletzungsform umfasst (vgl. BGH, Urt. v. 3.12.1998 - I ZR 74/96, MDR 1999, 882 = GRUR 1999, 760 = WRP 1999, 842 - Auslaufmodelle II; Urt. v. 8.6.2000 - I ZR 269/97, MDR 2001, 583 = GRUR 2001, 181 [182] = WRP 2001, 28 - dentalästhetika).
In dem umfassenden und im Streitfall durch die Bezugnahme auf das Hilfsmittelverzeichnis unbestimmten Klageantrag zu 2) ist das Verbot der konkreten Verletzungsform mitenthalten. Dies folgt aus dem Vorbringen der Klägerin, das zur Auslegung des Klageantrags zu 2) heranzuziehen ist (vgl. BGH, Urt. v. 7.6.2001 - I ZR 115/99, MDR 2001, 1368 = BGHReport 2001, 796 = GRUR 2002, 177 [179] = WRP 2001, 1182 - Jubiläumsschnäppchen; v. 31.10.2002 - I ZR 207/00, BGHZ 152, 268 [274] = BGHReport 2003, 289 Dresdner Christstollen). Dem Vortrag der Klägerin ist zu entnehmen, dass sie jedenfalls die Abgabe derjenigen orthopädischen Hilfsmittel in der Apotheke des Beklagten unterbinden will, die dieser in den dort ausgelegten Prospekten angeboten hat und die Grundlage des Verbots des LG nach dem Klageantrag zu 1) geworden sind.
In diesem auf die konkrete Verletzungsform beschränkten Antrag ist das Unterlassungsbegehren hinreichend konkret bestimmt. Es richtet sich dagegen, dass der Beklagte ohne Zulassung i. S. v. § 126 SGB V die Hilfsmittel an Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung abgibt, die sich auf ihren Versicherungsschutz berufen und die Leistungen nicht privat in Anspruch nehmen. Zwischen den Parteien ist auch nicht umstritten, dass es sich bei den im Klageantrag zu 1) im Einzelnen angeführten Produkten um orthopädische Hilfsmittel handelt.
d) Das Berufungsgericht hat für das in diesem Sinne (vgl. vorstehend Abschnitt II 1c) beschränkte Unterlassungsbegehren das Rechtsschutzbedürfnis verneint. Dem kann nicht beigetreten werden. Auch wenn sich der auf die konkrete Verletzungsform beschränkte Unterlassungsantrag zu 2) lediglich auf die orthopädischen Hilfsmittel bezieht, die der Klageantrag zu 1) erfasst, liegt den Anträgen ein unterschiedlicher Streitgegenstand zu Grunde. Den Klageantrag zu 1) hat die Klägerin auf einen vermeintlichen Verstoß gegen § 25 ApoBetrO gestützt; das Unterlassungsbegehren nach dem Klageantrag zu 2) hat sie mit einer fehlenden Zulassung des Beklagten als Leistungserbringer nach § 126 SGB V begründet.
Die Entscheidung über den rechtskräftig abgewiesenen Klageantrag zu 1) entfaltet auch keine Bindungswirkung hinsichtlich des Klageantrags zu 2), weil es sich um einen anderen Streitgegenstand handelt und auch keine Vorgreiflichkeit der Abweisung des Klageantrags zu 1) für die Beurteilung des weiterverfolgten Unterlassungsanspruchs gegeben ist (vgl. BGH, Urt. v. 24.6.1993 - III ZR 43/92, MDR 1994, 724 = NJW 1993, 3204 [3205]).
2. Der mit dem Klageantrag zu 2) geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 1 UWG i. V. m. § 126 SGB V besteht nicht.
Nach § 126 Abs. 1 S. 1 SGB V dürfen Hilfsmittel an Versicherte gesetzlicher Krankenkassen nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden. Für die Leistungserbringung zuzulassen ist gem. § 126 Abs. 1 S. 2 SGB V, wer eine ausreichende, zweckmäßige, funktionsgerechte und wirtschaftliche Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel gewährleistet und die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen anerkennt.
Ob der Beklagte mit der Abgabe von orthopädischen Hilfsmitteln diese Bestimmung verletzt hat, weil er nicht über die notwendige Zulassung nach dieser Vorschrift verfügte, kann dahinstehen. Ein Verstoß gegen § 126 SGB V würde keine wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit nach § 1 UWG begründen.
Nach der neueren Rechtsprechung des Senats kommt ein Anspruch aus § 1 UWG in Fällen, in denen ein Verhalten gegen ein Gesetz verstößt, nur dann in Betracht, wenn von dem Gesetzesverstoß zugleich eine unlautere Störung des Wettbewerbs auf dem Markt ausgeht. Es muss daher anhand einer am Schutzzweck des § 1 UWG auszurichtenden Würdigung des Gesamtcharakters des Verhaltens geprüft werden, ob dieses durch den Gesetzesverstoß das Gepräge eines wettbewerbsrechtlich unlauteren Verhaltens bekommt. Der Gesetzesverstoß kann dazu allein nicht genügen, wenn die verletzte Norm nicht zumindest auch eine - entsprechend dem Normzweck des § 1 UWG - auf die Lauterkeit des Wettbewerbs bezogene Schutzfunktion hat (vgl. BGH v. 25.4.2002 - I ZR 250/00, BGHZ 150, 343 [347 f.] = BGHReport 2002, 641 - Elektroarbeiten; Urt. v. 26.9.2002 - I ZR 293/99, BGHReport 2003, 342 = GRUR 2003, 164 [165] = WRP 2003, 262 - Altautoverwertung; Urt. v. 15.5.2003 - I ZR 292/00, BGHReport 2003, 1353 = GRUR 2003, 969 [970] = WRP 2003, 1350 - Ausschreibung von Vermessungsleistungen; Urt. v. 3.7.2003 - I ZR 211/01, BGHReport 2003, 1343 = CR 2003, 816 = GRUR 2003, 971 [972] = WRP 2003, 1347 - Telefonischer Auskunftsdienst).
Diese Schutzfunktion fehlt der Bestimmung des § 126 SGB V. Denn durch die Neufassung des § 69 SGB V auf Grund des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV - Gesundheitsreformgesetz 2000) v. 22.12.1999 (BGBl. I, 2626) sind die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände u. a. zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden abschließend im Vierten Kapitel des SGB V (§§ 69-140h) sowie in den §§ 63, 64 SGB V geregelt. Nach § 69 S. 4 SGB V gilt dies auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen die Rechte Dritter betroffen sind. Durch den neu gefassten § 69 SGB V hat der Gesetzgeber die im Vierten Kapitel des SGB V angeführten Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern, auch soweit sich daraus Rechte Dritter ergeben, ausschließlich sozialversicherungsrechtlich und nicht privatrechtlich geregelt und damit betroffenen Dritten den Rechtsschutz nach dem UWG entzogen (vgl. Begründung zum RegE BT-Drucks. 14/1245, 68; BSG v. 25.9.2001 - B 3 KR 3/01 R, NJW-RR 2002, 1691 [1693]; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 69 SGB V Rz. 2; Hess in KasselerKomm/SGB, § 69 SGB V Rz. 3; kritisch: Wannagat/Lindemann, SGB, § 69 SGB V Rz. 21). Dies schließt auch Fallgestaltungen wie im Streitfall ein, in denen durch die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu einer Apotheke nach § 126 SGB V das Verhältnis zweier Leistungserbringer (Apotheke und Sanitätshaus) betroffen ist. Der Bestimmung des § 126 SGB V kommt daher nach der Neufassung des § 69 SGB V keine wettbewerbsrechtliche Schutzfunktion zu.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
BGHR 2004, 469 |
NJW-RR 2004, 547 |
GRUR 2004, 247 |
ArztR 2004, 319 |
GewArch 2004, 216 |
MedR 2004, 325 |
NZS 2004, 478 |
VersR 2004, 664 |
WRP 2004, 337 |
GesR 2004, 151 |
ApoR 2004, 103 |
ApoR 2005, 100 |
JWO-VerbrR 2004, 75 |