Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachehelicher Unterhalt
Leitsatz (amtlich)
Die Frage, ob von einem Unterhaltsberechtigten, der das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wegen seines Alters eine Erwerbstätigkeit nicht mehr erwartet werden kann, ist nach unterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Allein der Rentenbezug aufgrund des Erreichens einer flexiblen Altersgrenze läßt die Erwerbsobliegenheit nicht entfallen.
Normenkette
BGB § 1571; SGB VI § 39 6
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Aktenzeichen 5 UF 16/97) |
AG Geldern (Aktenzeichen 19 F 63/96) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. Juni 1997 im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten um den nachehelichen Unterhalt der Ehefrau.
Die 1936 geborene Klägerin und der 1923 geborene Beklagte heirateten am 4. Januar 1991. Sie lebten seit 19. Juli 1994 getrennt. Auf den am 24. Juni 1995 zugestellten Scheidungsantrag des Beklagten wurde die Ehe durch Urteil vom 7. November 1995, das seit dem 21. Dezember 1995 rechtskräftig ist, geschieden.
Der Beklagte ist pensionierter Polizeibeamter und bezieht neben Versorgungsbezügen eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Zinseinkünfte. Die Klägerin, die vor der Eheschließung mit dem Beklagten halbtags als Küchenhilfe beschäftigt war, gab mit der Heirat ihre Erwerbstätigkeit auf und ist seitdem nicht mehr berufstätig. Seit 1. September 1996 bezieht sie eine Altersrente. Außerdem erzielt sie ebenfalls Zinseinkünfte.
In dem von der Klägerin angestrengten Verfahren über den Trennungsunterhalt wurde der Beklagte durch das Oberlandesgericht verurteilt, an die Klägerin für die Zeit vom 1. August 1994 bis 31. Juli 1995 über gezahlte 750 DM monatlich hinaus weitere 506 DM monatlich sowie ab 1. August 1995 über den anerkannten Betrag von monatlich 750 DM hinaus monatlich weitere 43 DM an Unterhalt zu zahlen. Dabei ging das Oberlandesgericht davon aus, daß die Klägerin sich ab August 1995 fiktive Einkünfte aus einer sozialversicherungsfreien Tätigkeit, durch die sie monatlich 580 DM verdienen könne, in Höhe von 462,86 DM (580 DM ./. berufsbedingte Aufwendungen von 40 DM, ./. 1/7 Berufsbonus) auf ihren Unterhalt anrechnen lassen müsse.
Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin die Zahlung nachehelichen Unterhalts in Höhe von monatlich 1.488,63 DM für die Zeit vom 21. Dezember 1995 bis zum 31. August 1996 und in Höhe von monatlich 1.147,48 DM für die Zeit ab 1. September 1996 begehrt. Das Amtsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, daß die Inanspruchnahme des Beklagten wegen der kurzen Dauer der Ehe grob unbillig sei.
Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Unterhaltsbegehren in Höhe von monatlich 1.150 DM weiterverfolgt hat, hat das Oberlandesgericht das amtsgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und den Beklagten – unter Abweisung der weitergehenden Klage und Zurückweisung der weitergehenden Berufung – verurteilt, an die Klägerin folgenden Unterhalt zu zahlen:
- für die Zeit vom 21. bis 31. Dezember 1995: 89,60 DM
- für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1996: monatlich 1.029,70 DM
- für die Zeit vom 1. September bis 31. Dezember 1996: monatlich 1.063,70 DM
- für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1997: monatlich 1.063,80 DM
- ab 1. Januar 1998: monatlich 600 DM.
Dagegen wendet sich der Beklagte mit der zugelassenen Revision, mit der er die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
I.
Gegen die Zulässigkeit der Revision bestehen – entgegen der mit der Revisionserwiderung vertretenen Auffassung – keine durchgreifenden Bedenken. Das Oberlandesgericht hat sie im Urteilsausspruch ohne Einschränkung zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Zulassung sei wegen der Fragen des Ausschlusses, der Herabsetzung und zeitlichen Begrenzung nach den §§ 1579 und 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB erfolgt. Damit hat das Oberlandesgericht begründet, weshalb es die Revision zugelassen hat; es hat jedoch nicht ausgesprochen, daß die Zulassung beschränkt sein solle. Eine rechtswirksame Beschränkung wäre im übrigen nur im Hinblick auf einen rechtlich und tatsächlich selbständigen Teil des Streitgegenstandes möglich, über den abgetrennt vom übrigen Verfahren im Wege des Teilurteils nach § 301 ZPO oder eines Grundurteils nach § 304 ZPO gesondert hätte entschieden werden können (BGHZ 76, 397, 399 m.N.; MünchKomm-ZPO/Walchshöfer ZPO § 546 Rdn. 54; Thomas/Putzo ZPO 21. Aufl. § 546 Rdn. 25) oder auf den der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte (BGHZ 101, 276, 278; 111, 158, 166, jeweils m.N.; Senatsurteil vom 25. Januar 1995 - XII ZR 195/93 - FamRZ 1995, 1405). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da die Rechtsfragen, derentwegen das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, den Streitgegenstand insgesamt betreffen.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat der Klägerin nachehelichen Unterhalt nach den §§ 1571 Nr. 3, 1573 Abs. 2 BGB zuerkannt. In dem insoweit in Bezug genommen Urteil des Oberlandesgerichts über den Trennungsunterhalt der Klägerin ist ausgeführt worden: Die Klägerin habe aufgrund ihrer sozialen Biografie, nämlich einer fehlenden Berufsausbildung, einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 % und ihres Alters, keine Chance mehr, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine vollschichtige Arbeitsstelle zu finden, sondern sei darauf beschränkt, einer sozialversicherungsfreien Tätigkeit im Bereich der zuletzt ausgeübten Beschäftigungen als Hauswirtschafterin oder Küchenhilfe nachzugehen. Es sei nicht ausgeschlossen, daß sie bei entsprechenden Bemühungen eine derartige Tätigkeit finden könne, zumal sie keine konkreten gesundheitlichen Behinderungen geltend gemacht habe. Hieraus seien bereinigte Einkünfte von monatlich 462,86 DM zu erzielen.
Zum Unterhaltsbedarf der Klägerin hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt: Die ehelichen Lebensverhältnisse der Parteien seien ausschließlich durch die Pensions- und Renteneinkünfte des Beklagten, nicht dagegen durch die Zinseinkünfte der Parteien, geprägt worden. Für das Jahr 1995 sei von bereinigten Einkünften des Beklagten von 3.362,32 DM auszugehen. Hieraus ergebe sich ein monatlicher Bedarf der Klägerin von 1.681,16 DM (3.362,32 DM: 2) bzw. ein anteiliger Bedarf für die Zeit vom 21. bis 31. Dezember 1995 von 596,54 DM. Hinzuzurechnen seien die Kosten der Krankenversicherung der Klägerin von (anteilig) 54 DM als scheidungsbedingter Mehraufwand, so daß der Gesamtbedarf 650,54 DM betrage. Für das Jahr 1996 sei das bereinigte Einkommen des Beklagten einschließlich der anteiligen Steuererstattung für 1995 mit 3.312,34 DM anzusetzen. Der Bedarf der Klägerin belaufe sich bis zum 31. August 1996 auf monatlich 1.844,10 DM (3.312,34 DM: 2 = 1.656,17 DM + Kranken- und Pflegeversicherung: 187,93 DM) und ab 1. September 1996 auf 1.829,90 DM (1.656,17 DM + Kranken- und Pflegeversicherung: 173,74 DM). Für das Jahr 1997 sei bei voraussichtlichen Pensions- und Renteneinkünften wie im Vorjahr unter Hinzurechnung der – ohne die Auswirkungen des sogenannten begrenzten Realsplittings gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG – zu erwartenden anteiligen Steuererstattung und der gestiegenen Kosten der Kranken- und Pflegeversicherung von bereinigten Einkünften des Beklagten von 3.312,59 DM auszugehen. Der Bedarf der Klägerin sei mit 1.835,26 DM (3.312,59 DM: 2 = 1.656,30 DM + Kranken- und Pflegeversicherung: 178,96 DM) anzusetzen. Bedarfsdeckend seien (teils fiktive) Zinseinkünfte der Klägerin von monatlich 315 DM anzurechnen. Außerdem müsse sie sich bis zum 31. August 1996 die in dem Trennungsunterhaltsverfahren für die Zeit ab 10. (richtig: 1.) August 1995 angesetzten fiktiven Erwerbseinkünfte von monatlich 462,86 DM weiterhin zurechnen lassen. Für die Zeit ab 1. September 1996 sei die Altersrente von monatlich 384,90 DM bedarfsdeckend zu berücksichtigen. Der ungedeckte Bedarf belaufe sich dann – unter Berücksichtigung der anteiligen Zahlung des Beklagten für Dezember 1995 – auf 89,59 DM für die Zeit vom 21. bis 31. Dezember 1995, auf 1.066,24 DM für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1996, auf 1.130 DM für die Zeit vom 1. September bis 31. Dezember 1996 und auf 1.135,40 DM für die Zeit ab 1. Januar 1997. Da dem Kläger zuzubilligen sei, eine Haushaltshilfe einzustellen, durch die monatliche Kosten von 600 DM verursacht würden, sei der Unterhalt gemäß § 1581 BGB auf die für die Zeit bis 31. Dezember 1997 ausgeurteilten Beträge herabzusetzen. Insoweit sei die Inanspruchnahme des Beklagten allerdings nicht gemäß § 1579 Nr. 1 BGB zu beschränken, weil die Ehe – auch mit Rücksicht darauf, daß die Parteien erst in vorgerücktem Alter geheiratet hätten – nicht von kurzer Dauer gewesen sei. Für die Zeit ab 1. Januar 1998 sei der Unterhaltsanspruch der Klägerin aber nach § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB auf den angemessenen Lebensbedarf zu ermäßigen. Da die Klägerin nur in geringem Umfang ehebedingte Nachteile erlitten habe – ihre Rente hätte rund 620 DM (anstatt rund 385 DM) betragen, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit nicht aus Anlaß der Ehe schließlich aufgegeben, sondern in dem früheren Umfang weitergearbeitet hätte – sei es unbillig, ihr eine unbegrenzte Lebensstandardgarantie zu gewähren. Innerhalb von zwei Jahren nach der Scheidung könne sie sich auf eine Kürzung des Unterhalts auf den mit 1.300 DM anzusetzenden angemessenen Lebensbedarf einstellen. Unter Berücksichtigung der Renten- und Zinseinkünfte der Klägerin seien deshalb ab 1. Januar 1998 nur noch 600 DM zu zahlen.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
a) Das Berufungsgericht hat der Klägerin für die Zeit vom 21. Dezember 1995 bis zum 31. August 1996 offensichtlich Aufstockungsunterhalt zuerkannt. Der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB) setzt voraus, daß der Unterhalt begehrende geschiedene Ehegatte eine angemessene Tätigkeit ausübt, aus den erzielten Einkünften seinen vollen Unterhalt aber nicht decken kann. Die für die Angemessenheit maßgebenden Kriterien bestimmt § 1574 Abs. 2 BGB. Nach ihnen ist die der Auffassung des Oberlandesgerichts ersichtlich zugrundeliegende Beurteilung, daß eine Tätigkeit der Klägerin als Hauswirtschafterin oder Küchenhilfe weiterhin angemessen sei, nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat die Klägerin allerdings u.a. wegen ihres Alters sowie wegen der Situation auf dem Arbeitsmarkt für gehindert gehalten, eine vollschichtige Erwerbstätigkeit auszuüben. Diese Umstände rechtfertigen einen Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nicht. In Betracht kommt insofern vielmehr eine Rechtfertigung des Unterhaltsanspruches aus § 1571 oder § 1573 Abs. 1 BGB, wobei § 1571 BGB erfüllt sein kann, wenn typischerweise in diesem Alter und der in Betracht kommenden Berufssparte keine angemessene Arbeit mehr gefunden werden kann, während § 1573 Abs. 1 BGB eingreift, wenn und soweit wegen der konkreten Einzelfallumstände aufgrund des Alters die Aufnahme einer angemessenen Arbeit scheitert (vgl. Senatsurteil vom 1. April 1987 - IVb ZR 33/86 - FamRZ 1987, 691, 693; Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 6. Aufl., Rdn. 419).
Mit der Beurteilung des Unterhaltsanspruchs allein nach § 1573 Abs. 2 BGB hat das Berufungsgericht somit nicht unterschieden, inwieweit der Unterhaltsanspruch einerseits auf § 1571 oder § 1573 Abs. 1 BGB, andererseits auf § 1573 Abs. 2 BGB beruhen soll. Die Ansprüche aus § 1573 Abs. 1 und 2 BGB sind gegenüber denjenigen aus den §§ 1570 bis 1572 BGB grundsätzlich subsidiär. Der Senat hat jedoch – in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung – für die Fälle der §§ 1570 und 1572 BGB entschieden, daß ein Ehegatte, von dem wegen Kinderbetreuung oder wegen Krankheit nur eine Teilerwerbstätigkeit erwartet werden kann, nach § 1570 bzw. § 1572 BGB Unterhalt nur bis zu der Höhe des durch eine Vollerwerbstätigkeit erzielbaren Mehreinkommens verlangen kann. Daneben kann er Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB beanspruchen, wenn sein Eigenverdienst zusammen mit dem Teilanspruch aus § 1570 oder § 1572 BGB zu seinem vollen Unterhalt im Sinne des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht ausreicht (Senatsurteile vom 13. Dezember 1989 - IVb ZR 79/89 - FamRZ 1990, 492, 494 und vom 27. Januar 1993 - XII ZR 206/91 - FamRZ 1993, 789, 791). Das muß gleichermaßen für den Fall gelten, daß ein Ehegatte altersbedingt nur eine Teilerwerbstätigkeit ausüben kann, durch die er seinen vollen Unterhalt nicht zu bestreiten vermag.
Da folglich verschiedene Anspruchsgrundlagen nebeneinander bestehen können, ist es regelmäßig erforderlich, zwischen ihnen eine genaue Differenzierung vorzunehmen. Das gilt zum einen mit Blick auf ein späteres Abänderungsverfahren, zum anderen deshalb, weil die zeitliche Begrenzungsmöglichkeit nach § 1573 Abs. 5 BGB nur Ansprüche nach § 1573 Abs. 1 bis 4 BGB betrifft, nicht hingegen die anderen Anspruchsgrundlagen (Senatsurteil vom 16. Dezember 1987 - IVb ZR 102/86 - FamRZ 1988, 265, 267). Eine genaue Bestimmung kann nur ausnahmsweise unterbleiben, wenn im Einzelfall eine zeitliche Begrenzung aus Billigkeitsgründen unter Berücksichtigung von Ehedauer, Kinderbetreuung und Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit von vornherein ausscheidet (Senatsurteil vom 27. Januar 1993 aaO). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die deshalb erforderliche, hier indessen unterbliebene Feststellung des Aufstockungsteils des Unterhaltsanspruchs und die Prüfung, ob dieser gemäß § 1573 Abs. 5 BGB zeitlich zu begrenzen ist, obliegen dem Tatrichter. Das angefochtene Urteil kann deshalb insoweit keinen Bestand haben.
b) Für die Zeit ab 1. September 1996 hat das Berufungsgericht der Klägerin Unterhalt nach § 1571 Nr. 3 BGB zuerkannt. Es hat die Auffassung vertreten, ab Beginn des Rentenbezugs (Vollendung des 60. Lebensjahres) bestehe für die Klägerin keine Erwerbsobliegenheit mehr, so daß neben den Zinseinkünften nur noch die bezogene Rente und nicht mehr (fiktive) Erwerbseinkünfte anzurechnen seien. Auch diese Beurteilung begegnet, wie die Revision zu Recht rügt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nach § 1571 BGB kann ein geschiedener Ehegatte von dem anderen Ehegatten Unterhalt verlangen, soweit von ihm zu bestimmten Zeitpunkten wegen seines Alters eine Erwerbstätigkeit nicht mehr erwartet werden kann. Eine feste Altersgrenze, bei deren Erreichen die Obliegenheit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit endet, nennt das Gesetz nicht. Der Vorschlag der Eherechtskommission, die gesetzliche Vermutung aufzustellen, daß eine Frau, die zur Zeit der Scheidung das 55. Lebensjahr vollendet hat, keine angemessene Erwerbstätigkeit mehr zu finden vermag, ist im Gesetzgebungsverfahren mit der Begründung abgelehnt worden, es sei für eine Frau unverhältnismäßig leichter nachzuweisen, daß sie keine angemessene Erwerbstätigkeit finde, als für den Mann, den Beweis zu erbringen, daß eine solche Erwerbsmöglichkeit vorhanden sei. Der Regierungsentwurf bringt allerdings zum Ausdruck, daß die Vorschrift in erster Linie für den geschiedenen Ehegatten gelten soll, der ein Alter erreicht hat, das Voraussetzung für die Gewährung einer öffentlichen Altersversorgung ist (BT.-Drucks. 7/650, 123 f.). Daran anknüpfend wird in Rechtsprechung und Schrifttum mehrheitlich die Auffassung vertreten, daß jedenfalls dann, wenn die in der öffentlichen Rentenversicherung für den Bezug der Regelaltersrente (§ 35 SGB VI) und in der Beamtenversorgung (§§ 25 BRRG, 41 Abs. 1 BBG) festgelegte Altersgrenze von 65 Jahren erreicht ist, auch unterhaltsrechtlich eine Erwerbstätigkeit nicht mehr erwartet werden kann (vgl. Senatsurteil vom 23. September 1992 - XII ZR 157/91 - FamRZ 1993, 43, 44; MünchKomm/Richter 3. Aufl. § 1571 Rdn. 7; BGB-RGRK/Cuny 12. Aufl. § 1571 Rdn. 4; Johannsen/Henrich/Büttner Eherecht 3. Aufl. § 1571 Rdn. 4; Griesche in FamGb § 1571 Rdn. 2; Schwab/Borth Handbuch des Scheidungsrechts 3. Aufl. Kap. IV Rdn. 185).
In zahlreichen gesetzlichen Vorschriften sind allerdings Regelungen vorgesehen, die unter bestimmten Voraussetzungen ein Ausscheiden aus dem Berufsleben vor dem vollendeten 65. Lebensjahr vorsehen (vgl. §§ 36 ff. SGB VI). Hierzu gehört auch § 39 SGB VI, der den Bezug der Altersrente für Frauen unter den im einzelnen geregelten weiteren Voraussetzungen ermöglicht, wenn das 60. Lebensjahr vollendet ist. Die Frage, ob sich ein geschiedener Ehegatte bereits mit dem Erreichen einer flexiblen Altersgrenze darauf berufen kann, daß eine Erwerbsobliegenheit nicht mehr bestehe, wird nicht einheitlich beantwortet. Teilweise wird vertreten, der Unterhaltsanspruch nach § 1571 BGB sei auch demjenigen Ehegatten zuzubilligen, der berechtigt sei, vorgezogenes Altersruhegeld zu fordern (Soergel/Häberle BGB 12. Aufl. § 1571 Rdn. 2; Göppinger/Kindermann Unterhaltsrecht 6. Aufl. Rdn. 1195; Bastian/Roth-Stielow/Schmeiduch 1. EheRG § 1571 Rdn. 2; Ambrock Ehe und Ehescheidung § 1571 Anm. 3; Dieckmann FamRZ 1977, 81, 95). Überwiegend hat sich dagegen die Auffassung durchgesetzt, vor Vollendung des 65. Lebensjahres könne kein bestimmtes Alter angenommen werden, ab dem in jedem Fall ein Altersunterhalt ohne Prüfung der Besonderheiten des Einzelfalles zuzuerkennen sei (MünchKomm/Richter aaO § 1571 Rdn. 6; BGB-RGRK/Cuny aaO § 1571 Rdn. 6; Erman/Dieckmann BGB 9. Aufl. § 1571 Rdn. 2; Johannsen/Henrich/Büttner aaO § 1571 Rdn. 6; Griesche aaO § 1571 Rdn. 6; Schwab/Borth aaO Kap. IV Rdn. 186 f.; Rolland 1. EheRG 2. Aufl. § 1571 Rdn. 4; FamK-Rolland/Hülsmann § 1571 Rdn. 6 f.; vgl. auch Oberlandesgericht Hamm FamRZ 1995, 1416; KG FamRZ 1981, 1173 f.). Zur Begründung dieser Auffassung wird maßgeblich darauf abgehoben, daß den Vorschriften über flexible Altersgrenzen sozialpolitische Erwägungen zugrundeliegen, die für die Beurteilung der Frage, ob eine Erwerbsobliegenheit besteht, nicht aussagekräftig sind.
Der Senat teilt die zuletzt genannte Auffassung. Die Frage, ob von einem – vor Vollendung des 65. Lebensjahres liegenden – Alter an noch eine Erwerbsobliegenheit besteht, ist nach unterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden. Die flexiblen Altersgrenzen, die in pauschalierender Weise aus sozialpolitischen – und damit wechselnden Vorstellungen unterliegenden – Erwägungen ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Berufsleben ermöglichen, bilden insoweit keinen zur Beurteilung geeigneten Maßstab. Die Heranziehung des für den Bezug der Altersrente für Frauen nach § 39 SGB VI maßgebenden vollendeten 60. Lebensjahres würde zudem zu einer Ungleichbehandlung von Männern und Frauen führen, obwohl die – vom Bundesverfassungsgericht gebilligte (vgl. BVerfGE 74, 163, 178 ff.) – rentenrechtliche Privilegierung von Frauen, durch die der familienbedingten Belastung der berufstätigen Frauen Rechnung getragen werden soll (vgl. Verbandskommentar § 39 SGB VI Rdn. 3), eine unterhaltsrechtliche Besserstellung nicht zu rechtfertigen vermag.
Allein aus dem Bezug der Altersrente kann somit nicht hergeleitet werden, daß die Klägerin keine Erwerbsobliegenheit mehr trifft. Ob sie ab 1. September 1996 weiterhin der ihr ab 1. August 1995 angesonnenen sozialversicherungsfreien Tätigkeit nachgehen könnte und gegebenenfalls wie lange noch, hat das Berufungsgericht nicht geprüft. Von dem Ergebnis dieser Prüfung hängt die Höhe des offenen Unterhaltsbedarfs der Klägerin ab, die bis zu der Hinzuverdienstgrenze des § 34 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI, die dem sozialversicherungsfreien Einkommen entspricht, neben der Rente Einkommen erzielen darf. Die angefochtene Entscheidung kann deshalb auch insoweit nicht bestehenbleiben. Die Sache ist zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
1. Falls das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen sollte, daß der Klägerin ein Teilanspruch aus § 1573 BGB zusteht, wird es zu prüfen haben, ob dieser Anspruch gemäß § 1573 Abs. 5 BGB zeitlich zu begrenzen ist.
2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, eine zeitlich unbegrenzte Inanspruchnahme des Beklagten auf Unterhalt erfülle nicht den Tatbestand des § 1579 Nr. 1 BGB, weil die Ehe, die von der Heirat bis zur Zustellung des Scheidungsantrags ca. viereinhalb Jahre gedauert habe, nicht von kurzer Dauer gewesen sei, ist nicht zu beanstanden. Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, daß eine mehr als drei Jahre betragende Ehedauer in der Regel nicht mehr als kurz bezeichnet werden kann (Senatsurteile vom 23. Dezember 1981 - IVb ZR 639/80 - FamRZ 1982, 254 und vom 27. Januar 1999 - XII ZR 89/97 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Senat hat zwar betont, daß dieser Grundsatz Ausnahmen nicht ausschließe, sofern die Lebensverhältnisse durch besondere, vom Regelfall abweichende Umstände gekennzeichnet seien. In diesen Fällen sei die Beurteilung davon abhängig zu machen, ob die Ehegatten ihre Lebenspositionen in der Ehe bereits so weit aufeinander eingestellt und in wechselseitiger Abhängigkeit auf ein gemeinsames Lebensziel ausgerichtet hätten, daß die fortdauernde Unterhaltsverpflichtung nicht mehr als grob unbillig empfunden werde (Senatsurteil vom 26. November 1980 - IVb ZR 542/80 - FamRZ 1981, 140, 142). Auch das hat das Oberlandesgericht nicht verkannt.
3. Soweit das Berufungsgericht den Unterhaltsanspruch der Klägerin nach Maßgabe der ehelichen Lebensverhältnisse bis zum 31. Dezember 1997 zugebilligt und ihn erst ab 1. Januar 1998 gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB auf den angemessenen Lebensbedarf begrenzt hat, begegnet diese Beurteilung auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen keinen rechtlichen Bedenken zum Nachteil des Beklagten.
Unterschriften
Blumenröhr, Zysk, Hahne, Sprick, Weber-Monecke
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 03.02.1999 durch Küpferle, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539575 |
NJW 1999, 1547 |
NWB 1999, 1075 |
NJWE-FER 1999, 169 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 1999, 278 |
MDR 1999, 483 |