Leitsatz (amtlich)
Die Verbindung mehrerer bei demselben Gericht anhängiger Sachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung steht in dessen Ermessen. Kein in diesem Zusammenhang wesentlicher Umstand ist das Interesse eines Prozeßbeteiligten daran, daß durch die Prozeßverbindung die Berufsmöglichkeiten erweitert werden.
Normenkette
SGG § 113 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 144 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Januar 1973 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Prüfungsausschuß für RVO-Kassen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, Bezirk M, kürzte die Honorarabrechnung der Klägerin für das 1. Quartal 1969. Ihren Widerspruch dagegen wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 1970 zurück.
Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) München hat die Klägerin die Aufhebung der Honorarkürzung verlangt.
Das SG hat die Klage als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 15. Dezember 1971), weil die Honorarforderungen der Klägerin in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu dem Fachgruppendurchschnitt stünden und sich auch durch die Besonderheiten ihrer Praxis nicht in vollem Umfang erklären ließen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die nicht zugelassene Berufung eingelegt und Verfahrensmängel gerügt. Es seien zahlreiche gleichliegende Rechtsstreitigkeiten mit ihr als Klägerin vor dem SG München anhängig; dieses entscheide jedoch jede Sache einzeln und verletze dadurch § 113 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG); außerdem schneide es der Klägerin auf diese Weise die Nachprüfung durch das Berufungsgericht ab. Des weiteren habe das SG seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es erforderliche Beweisaufnahmen nicht durchgeführt habe. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung verworfen (Urteil vom 24. Januar 1973). Die getrennte Entscheidung der verschiedenen Rechtsstreitigkeiten der Klägerin bilde keinen wesentlichen Verfahrensmangel, weil die Prozeßverbindung im Ermessen des Gerichts stehe. Auch die Pflicht zur Sachaufklärung habe das SG nicht verletzt, weil von dessen sachlich-rechtlicher Auffassung her dazu kein Anlaß bestanden habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die nicht zugelassene Revision der Klägerin. Sie sieht einen wesentlichen Verfahrensmangel darin, daß das LSG nicht in der Sache entschieden habe. Die Berufung sei schon deshalb zulässig, weil zahlreiche Rechtsstreitigkeiten der Klägerin vor dem SG anhängig gewesen seien, die jeweils die Honorarkürzung für ein Quartal betroffen hätten. Trotz ihres Antrags auf Verbindung der Sachen sei das Gericht in keinem Fall dazu gekommen, vermutlich, um ihr die Möglichkeit der Berufung abzuschneiden. Schließlich habe sie sich zu Recht gegen die mangelnde Sachaufklärung des SG gewandt. Es habe in keinem einzigen Fall Beweise erhoben und sei außerdem auf die Argumente der Klägerin über die Besonderheiten ihrer Praxis nicht eingegangen.
Die Revision der Klägerin ist nicht statthaft. Sie geht zutreffend davon aus, daß ein wesentlicher Mangel des zweitinstanzlichen Verfahrens dann vorläge, wenn das Berufungsgericht die Berufung nicht als unzulässig hätte verwerfen dürfen, sondern in der Sache hätte entscheiden müssen (BSG 1, 283). Für die Beurteilung dieser Frage kommt es demnach darauf an, ob die Berufung statthaft war. Da Gegenstand des erstinstanzlichen Rechtsstreits die Kürzung der Honorarforderung für das 1. Quartal 1969 war, hat das LSG zutreffend die Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG für nicht zulässig gehalten (BSG 11, 102). Auch wenn zahlreiche gleichliegende Rechtsstreitigkeiten der Klägerin vor dem SG anhängig waren, kann das zu keiner anderen Beurteilung der Rechtsmittelfähigkeit des streitigen Verfahrens führen. Das SG macht die Statthaftigkeit der Berufung in erster Linie von der Art des im Rechtsstreit befindlichen Anspruchs abhängig (vgl. §§ 144 bis 149 SGG). Daneben ist die Berufung nur aus einem der in § 150 SGG genannten Gründe zulässig, von denen nach Lage der Dinge, da das SG in seinem Urteil die Berufung nicht zugelassen hat (Nr. 1 aaO), nur Nr. 2 aaO in Frage kommt.
Das LSG hat indes ohne Rechtsirrtum verneint, daß die Voraussetzungen dieser Vorschrift im vorliegenden Fall gegeben sind. Die gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor (vgl. BSG 1, 150). Insbesondere vermag die Klägerin sich nicht auf eine Verletzung des § 113 SGG zu berufen. Die Verbindung mehrerer Rechtsstreitigkeiten zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung steht im Ermessen des Gerichts, sofern die in § 113 Abs. 1 SGG genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Wenn auch Gründe der Prozeßwirtschaftlichkeit das bestimmende Motiv für die Schaffung dieser Verfahrensvorschrift gewesen sind, so kann dieser Gesichtspunkt doch keinesfalls für sich allein genommen dafür ausschlaggebend sein, ob mehrere Sachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden sind. Wegen der Vielfalt der berücksichtigungswerten Umstände hat der Gesetzgeber daher davon abgesehen, das Gericht zwingend zu verpflichten, bei Vorliegen der in § 113 SGG genannten Voraussetzungen die Verbindung zu beschließen, und die Entscheidung ins Ermessen des Gerichts gestellt. Wenn, wie bei der Klägerin, zahlreiche Verfahren bei demselben SG anhängig sind, können gewichtige Gründe sowohl für als auch gegen eine Prozeßverbindung sprechen. Dabei wird insbesondere der unterschiedliche Stand der Sachaufklärung als gewichtiges Bedenken gegen eine Prozeßverbindung zu berücksichtigen sein; der gerade für das sozialgerichtliche Verfahren nicht weniger - als der der Prozeßwirtschaftlichkeit - bedeutsame Gedanke der schnellen Entscheidung wäre gefährdet, wenn entscheidungsreife Sachen wegen ihrer Prozeßverbindung mit noch nicht entscheidungsreifen nicht zum Abschluß gebracht werden könnten.
Kein in diesem Zusammenhang wesentlicher Umstand kann jedoch, wie der Senat bereits entschieden hat (Beschluß vom 29. September 1972 - 6 RKa 9/72), das Interesse der Klägerin sein, die Statthaftigkeitsschranke der Berufung (§ 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG) durch eine Prozeßverbindung zu umgehen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die Prozeßverbindung nach § 113 SGG als Instrument zur Veränderung des Rechtsmittelsystems zu benutzen. Dieses erkennt dem noch so starken materiellen Interesse des Klägers am Ausgang seiner Rechtsstreitigkeiten, was seine Rechtsmittelmöglichkeiten betrifft, keine Bedeutung zu. Für eine Erweiterung der Rechtsmittelbefugnis durch Entscheidung des Gerichts sieht das Gesetz, was die Klägerin verkennt, nur den Weg der Zulassung der Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG - nicht aber den der Prozeßverbindung - vor, und zwar unter den dort genannten Voraussetzungen, die vom SG nicht für gegeben erachtet wurden.
Zu ihrer weiteren Revisionsrüge, das SG habe seine Aufklärungspflicht verletzt, beschränkt sich die Klägerin darauf, auf ihr Vorbringen vor dem LSG zu verweisen und vorzutragen, das SG habe keine Beweiserhebungen durchgeführt. Diese Rüge genügt nicht den Voraussetzungen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG. Im übrigen hat das LSG zu den bereits früher vorgebrachten Argumenten der Klägerin im einzelnen Stellung genommen, insoweit bedarf es keiner Wiederholung. Die Klägerin hat demgegenüber nicht dargetan, inwiefern die Entscheidung des LSG zu diesem Punkt unrichtig gewesen wäre, sie hat weiterhin nicht dargelegt, zu welchen konkreten Beweiserhebungen sich das SG hätte gedrängt fühlen müssen und inwiefern es durch jene Beweiserhebungen zu einer anderen Entscheidung des SG hätte kommen können. Soweit die Klägerin vorträgt, das SG sei auf ihre Argumente über die Besonderheiten ihrer Praxis nicht eingegangen, rügt sie den sachlichen Inhalt des sozialgerichtlichen Urteils und nicht das Verfahren.
Die Revision der Klägerin ist daher unzulässig und vom Senat durch Beschluß zu verwerfen (§ 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen