Verfahrensgang

Sächsisches LSG (Urteil vom 14.07.2021; Aktenzeichen L 11 SF 24/20 EK)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 2021 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auf 1200 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt eine Geldentschädigung von 1200 Euro für die Dauer des von ihm geführten Berufungsverfahrens vor dem Sächsischen LSG (Az L 9 KR 151/18) wegen der Kostenübernahme für einen Elektrorollstuhl durch die Krankenkasse. Das Entschädigungsgericht hat den Anspruch verneint, weil die in zweiter Instanz verzögerte Bearbeitung der Streitsache dadurch kompensiert worden sei, dass das erstinstanzliche Gericht die ihm zustehende Vorbereitungs- und Bedenkzeit nicht ausgeschöpft habe (Urteil vom 14.7.2021).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Die Revision sei zuzulassen, weil das Entschädigungsgericht von der Rechtsprechung des BSG abgewichen sei und die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil weder eine Divergenz noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn tragende abstrakte Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde liegen, sich widersprechen. Zur ordnungsgemäßen Darlegung eines solchen Widerspruchs im Rechtssatz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus dem Urteil des Entschädigungsgerichts und abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG gegenüberzustellen, die zu demselben Gegenstand getroffen worden sind und weiterhin Geltung beanspruchen. Zudem muss die Beschwerde näher begründen, weshalb diese Rechtssätze miteinander unvereinbar sind und warum die Entscheidung des Entschädigungsgerichts auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 14.10.2020 - B 10 ÜG 3/20 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17). Diese Anforderungen an die Bezeichnung einer Divergenz verfehlt die Beschwerdebegründung.

Der Kläger rügt ausschließlich eine Abweichung des angefochtenen Urteils von der Entscheidung des BSG vom 3.9.2014 (B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 = SozR 4-1720 § 198 Nr 3, RdNr 27). Darin gehe das BSG davon aus, dass vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen sei, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Monate je Instanz übersteige, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruhe.

Indes gibt der Kläger nicht nachvollziehbar an, an welcher (genau bezeichneten) Fundstelle seines Urteils das Entschädigungsgericht welchen Rechtssatz aufgestellt haben soll, mit dem es von der Rechtsprechung des BSG abgewichen ist. Soweit er ausführt, dass als Vorbereitungs- und Bedenkzeit der ersten Instanz des Ausgangsverfahrens nicht nur die Monate Dezember 2017 bis Februar 2018 anzusehen seien, sondern auch Zeiträume vor der eintretenden Inaktivität, zeigt die Beschwerde keinen Widerspruch im Rechtssatz auf, sondern rügt in der Gestalt einer Divergenzrüge letztlich nur eine vermeintlich falsche Rechtsanwendung des Entschädigungsgerichts in seinem Einzelfall. Es reicht aber nicht aus, wenn die Beschwerde die fehlerhafte Anwendung eines - als solchen nicht infrage gestellten - höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Entschädigungsgericht behauptet und damit eine bloße Subsumtionsrüge erhebt. Denn nicht eine falsche Entscheidung im Einzelfall, sondern nur ein Widerspruch im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 14.10.2020 - B 10 ÜG 3/20 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 - juris RdNr 13).

2. Ebenfalls nicht dargelegt hat die Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.8.2020 - B 9 V 5/20 B - juris RdNr 6 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger hält folgende Fragen für Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung:

"a) Ist es zulässig, dass das Entschädigungsgericht im Rahmen der Feststellung/Ermittlung der unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens gemäß § 198 GVG pauschalierte Vorbereitungs-, Bearbeitungs- und Bedenkzeiten instanzenübergreifend verrechnet?

b) Für den Fall, dass eine Verrechnung gemäß a) grundsätzlich für zulässig erachtet werden sollte, in welchem Umfang ist die Verrechnung zulässig?"

Anders als geboten hat der Kläger bereits den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil des Entschädigungsgerichts zugrunde liegt, nicht mitgeteilt. Er hat insbesondere nicht den genannten Verfahrensgang der Ausgangsverfahren vor dem SG und dem LSG dargestellt. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen an die Darlegung bzw Bezeichnung eines Revisionszulassungsgrundes; denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 3/17 B - juris RdNr 6). Ohne Sachverhaltswiedergabe kann der Senat schon nicht beurteilen, ob sich für das beabsichtigte Revisionsverfahren entscheidungserheblich die von dem Kläger bezeichneten Fragen überhaupt stellen.

Darüber hinaus hat der Kläger aber auch die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellungen nicht dargelegt. Er behauptet noch nicht einmal, dass es keine Rechtsprechung des BSG zu den von ihm aufgeworfenen Fragen gebe und versäumt es demzufolge auch zu prüfen, ob sich bereits auf Grundlage der vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ausreichend Anhaltspunkte für deren Beantwortung ergeben. Denn auch dann gilt eine Rechtsfrage als höchstrichterlich geklärt (stRspr; zB BSG Beschluss vom 26.9.2018 - B 10 EG 13/18 B - juris RdNr 7). Allein die Darstellung der eigenen Rechtsansicht oder unterschiedlicher Beurteilungen verschiedener LSG (Entschädigungsgerichte) zu den aufgeworfenen Rechtsfragen reicht insoweit nicht aus.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist einerseits eine Verfahrensdauer von bis zu zwölf Monaten je Instanz regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden kann (sog Vorbereitungs- und Bedenkzeit; vgl BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 54 mwN). Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht können andererseits in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten ausgeglichen werden (vgl BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 = SozR 4-1720 § 198 Nr 3, RdNr 43; BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 51). Mit dieser Rechtsprechung setzt sich der Kläger nicht auseinander. Er legt insbesondere nicht dar, was sich aus der Zusammenschau dieser beiden Rechtssätze für die Frage ableiten lässt, ob und in welchem Umfang das Entschädigungsgericht die genannte Kompensationsmöglichkeit dazu nutzen darf, eine nicht voll ausgeschöpfte Vorbereitungs- und Bedenkzeit des SG im Ausgangsverfahren instanzenübergreifend auf die Vorbereitungs- und Bedenkzeit des LSG anzurechnen (vgl BSG Beschluss vom 19.8.2021 - B 10 ÜG 11/20 B - juris RdNr 10).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG).

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3, § 52 Abs 3 Satz 1, § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.

Kaltenstein                          Röhl                                Othmer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15098667

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