Verfahrensgang

SG Berlin (Entscheidung vom 07.11.2016; Aktenzeichen S 70 SO 2529/13)

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 07.03.2019; Aktenzeichen L 15 SO 25/17)

 

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. März 2019 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Im Streit ist ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von 885,27 Euro für Krankenhausbehandlungskosten, die sie als Nothelferin für den polnischen Staatsangehörigen J. C. (C), der ohne festen Wohnsitz in B. lebte, erbracht hat.

C wurde am Freitag, 11.1.2013 um 18:46 Uhr mit den Aufnahmediagnosen ua "psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol: Entzugssyndrom sowie akute Intoxikation; Schmerzen im Bereich des Oberbauchs" in das Krankenhaus der Klägerin eingeliefert. Am 15.1.2013 verließ er das Krankenhaus. Am 17.1.2013 machte die Klägerin als Nothelferin einen Anspruch auf Kostenerstattung beim Beklagten geltend, den dieser ablehnte (Bescheid vom 18.1.2013; Widerspruchsbescheid vom 6.9.2013). Während das Sozialgericht (SG) Berlin die Klage abgewiesen hat (Urteil vom 7.11.2016) hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) den Beklagten zur Zahlung von 885,27 Euro verurteilt (Urteil vom 7.3.2019). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, es habe ein Eilfall vorgelegen und der Beklagte habe nicht vor dem 14.1.2013 über den Eilfall informiert werden können (sozialhilferechtliches Moment). Auch die hypothetische Leistungsverpflichtung des örtlich und sachlich zuständigen Beklagten sei zu bejahen. Der Senat halte die Angaben des C, die dieser in einem ihm von der Klägerin vorgelegten Formular gemacht habe und in dem er angegeben habe, er sei Putzmann und ohne Einkommen und Vermögen, für glaubhaft. Die Klägerin habe auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht weiter aufklären müssen. Zwar habe im Aufnahmezeitpunkt eine akute Alkoholintoxikation bestanden; dass C deshalb keine zutreffenden Angaben habe machen können, sei trotz der akuten Intoxikation angesichts des chronischen Alkoholabusus, der bei C vorgelegen habe, nicht anzunehmen. C hätten auch keine Ansprüche gegen die polnische Krankenversicherung zugestanden und ein Anspruch der Klägerin sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil C nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus Sozialhilfe tatsächlich nicht in Anspruch genommen habe. Anders als von der Rechtsprechung gefordert liege im bloßen Abtauchen keine ernstliche Weigerung, Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass C in Obdachlosigkeit und soziale Verwahrlosung abgetaucht sei, ohne sich um den Bezug von Sozialhilfe zu kümmern bzw kümmern zu können.

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde. Grundsätzlich bedeutsam seien zwei Rechtsfragen:

"1. Muss der Notfallpatient zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Willenserklärung, Sozialhilfe in Form der Nothilfe gemäß § 25 SGB XII in Anspruch nehmen zu wollen, unmittelbar voll geschäftsfähig sein?

2. Kann eine wirksam abgegebene Willenserklärung, Nothilfe gemäß § 25 SGB XII in Anspruch zu nehmen, auch konkludent zurückgenommen werden?"

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Zweifelhaft ist bereits, ob der Beklagte überhaupt nachvollziehbare, in sich widerspruchsfreie Rechtsfragen formuliert hat. In der ersten Rechtsfrage geht er offenbar davon aus, ein Notfallpatient mache einen Anspruch auf Nothilfe nach § 25 des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) geltend. Insoweit verkennt er bereits bei der Formulierung seiner Fragestellung, dass es sich beim Anspruch nach § 25 SGB XII um einen Anspruch des Nothelfers selbst, hier also der Klägerin handelt (dazu gleich). Von einem solchen Fehlverständnis scheint unter Berücksichtigung der Begründung der Beschwerde auch Rechtsfrage 2 auszugehen, weil erkennbar auf das Handeln (oder Nichthandeln) des C, nicht des Nothelfers selbst abgestellt wird.

Aber selbst wenn man von noch hinreichend konkreten, nachvollziehbaren Rechtsfragen ausgeht, genügt das Vorbringen nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Zu Rechtsfrage 1 fehlt es an nachvollziehbaren Darlegungen zu ihrer Klärungsfähigkeit. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsfähigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden müssen (BSG vom 25.6.1980 - 1 BA 23/80 - SozR 1500 § 160 Nr 39; und BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31). Hierzu hätte der Beklagte im Einzelnen darlegen müssen, weshalb die Geltendmachung des Nothelferanspruchs von einer Willenserklärung des C und damit auch deren Wirksamkeit abhängt. Dazu hätte er sich mit dem Wortlaut des § 25 SGB XII, der eine solche Erklärung gerade nicht verlangt, und der zu § 25 SGB XII bereits ergangenen Rechtsprechung auseinandersetzen müssen, wonach der Anspruch des Nothelfers nach § 25 Satz 1 SGB XII in Abgrenzung zum Anspruch des Leistungsberechtigten nur dann besteht, wenn der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hat und ein Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger (nur) deshalb nicht entsteht (BSG vom 23.8.2013 - B 8 SO 19/12 R - BSGE 114, 161 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1, RdNr 18; BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 63/17 B - juris RdNr 8). Selbst wenn die Frage des Beklagten noch dahin verstanden werden könnte, ob für die Wirksamkeit der Erklärung des C, nicht über Einkommen, Vermögen oder einen Krankenversicherungsschutz zu verfügen, Geschäftsfähigkeit erforderlich sei, hätte es weiterer Darlegungen dazu bedurft, dass es sich bei dieser Erklärung überhaupt um eine rechtsgeschäftliche (und nicht nur um eine reine Tatsachenerklärung) handelt, die zu ihrer Wirksamkeit der (vollen) Geschäftsfähigkeit bedarf. Die Annahme der Geschäftsunfähigkeit des C stützt der Beklagte angesichts der Einweisungsdiagnose nur auf eine Vermutung. Der Senat muss in dem angestrebten Revisionsverfahren aber von den Feststellungen des LSG ausgehen, an die er gebunden ist (§ 163 SGG). Soweit der Beklagte dem LSG in diesem Zusammenhang fehlende Sachverhaltsaufklärung vorwirft, versäumt er es, einen Verstoß gegen § 103 SGG ordnungsgemäß zu bezeichnen und - wie von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG gefordert - aufzuzeigen, dass überhaupt ein (bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltener) Beweisantrag gestellt wurde, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Nichts anderes gilt für die unter Ziffer 2 gestellte Frage, ob eine Willenserklärung auch konkludent (durch Nichthandeln) zurückgenommen werden könne. Der Beklagte hat hierzu nicht vorgetragen, dass das LSG von einer konkludenten, insoweit aber nicht ausreichenden Weigerung, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ausgegangen ist. Vielmehr trägt er selbst vor, das LSG sei der Auffassung es könne aus dem Verhalten des C nicht geschlossen werden, dass er Leistungen abgelehnt habe. Damit hat das LSG eine aus dem Verhalten des C resultierende konkludente Weigerung, Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, gerade verneint. Letztlich rügt der Beklagte mit seinem Vortrag nur die Beweiswürdigung durch das LSG, die die Revision auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin nicht eröffnen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Dass auf eine Verletzung des § 128 SGG die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels nicht gestützt werden kann, kann nicht dadurch umgangen werden, dass die Rüge in eine Frage grundsätzlicher Bedeutung gekleidet wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13477350

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