Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Beschwerdebegründung
Orientierungssatz
Aus der Beschwerdebegründung muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die konkrete Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Diese Anforderungen, die allerdings nicht überspannt werden dürfen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl BVerfG vom 23.1.2006 - 1 BvR 1786/01 = SozR 4-1500 § 160a Nr 12 RdNr 3 f; Nr 16 RdNr 4).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 07.03.2007; Aktenzeichen L 3 KA 40/04) |
SG Hannover (Entscheidung vom 28.01.2004; Aktenzeichen S 31 KA 9/03) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 7. März 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten auch für das Beschwerdeverfahren, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.422 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Schadensersatzanspruchs aufgrund einer mangelhaften prothetischen Versorgung.
Der Kläger, ein Vertragszahnarzt, gliederte im Juni/Juli 2000 einer Versicherten der zu 2. beigeladenen Krankenkasse auf der Grundlage genehmigter Heil- und Kostenpläne einen kombinierten Zahnersatz im Ober- und Unterkiefer ein. Da die Versicherte über anhaltende Beschwerden klagte, veranlasste die Beigeladene zu 2. eine Überprüfung durch den Prothetik-Einigungsausschuss. Dieser kam auf der Grundlage von Gutachten verschiedener Zahnärzte zu dem Ergebnis, das die vom Kläger vorgenommene Versorgung mangelhaft war und die Fehler nur durch eine Neuversorgung behoben werden könnten; er setzte deshalb einen Schadensregress in Höhe des von der Krankenkasse aufgewendeten Betrages von 5.271,95 Euro fest. Der Widerspruch des Klägers blieb nach Durchführung einer weiteren Begutachtung ohne Erfolg; zudem wurden dem Kläger auch die Kosten der Kontrollbegutachtung (149,63 Euro) auferlegt.
Das Sozialgericht (SG) hat seiner Klage stattgegeben und die Regressbescheide aufgehoben. Auf die Berufung des beklagten Prothetik-Einigungsausschusses I (als Widerspruchsstelle) und der zu 1. beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung hat das Landessozialgericht (LSG) - nach Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nach Aktenlage - das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 7.3.2007). Es hat ausgeführt, der Kläger habe bei Durchführung der prothetischen Versorgung seine öffentlich-rechtlichen Pflichten als Vertragszahnarzt schuldhaft verletzt, weil der von ihm angefertigte Zahnersatz nach dem Ergebnis der Begutachtung nicht dem zahnärztlichen Standard entsprochen habe und die Mängel nicht durch Nachbesserungsmaßnahmen hätten behoben werden können. Entgegen der Ansicht des SG setze der Schadensersatzanspruch nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht voraus, dass der Patient das zivilrechtliche Behandlungsverhältnis mit dem Zahnarzt gekündigt habe oder zu dessen Kündigung berechtigt sei. Es genüge vielmehr, wenn für den Patienten eine Nachbesserung oder Neuanfertigung durch den bislang behandelnden Vertragszahnarzt nicht mehr zumutbar sei (Hinweis auf BSG SozR 4-5555 § 15 Nr 1 RdNr 17).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger einen Verfahrensmangel sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
II. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist hinsichtlich der Grundsatzrüge bereits unzulässig und in Bezug auf den gerügten Verfahrensmangel unbegründet.
1. Soweit der Kläger die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache begehrt, hat er dies nicht in einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entsprechenden Weise dargetan. Hierfür muss eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet und dargelegt werden, dass diese in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff und Nr 9 RdNr 4; SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 19, jeweils mwN). Es muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Diese Anforderungen, die allerdings nicht überspannt werden dürfen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG ≪Kammer≫ SozR 4-1500 § 160a Nr 12 RdNr 3 f; Nr 16 RdNr 4).
Das Vorbringen des Klägers wird diesen Anforderungen nicht gerecht. In dessen Beschwerdebegründung ist keine konkrete Rechtsfrage angeführt, die mit "ja" oder "nein" beantwortet werden könnte (vgl hierzu BAGE 121, 52 RdNr 5 f). Soweit seinen Ausführungen bei wohlwollender Würdigung die Rechtsfrage zu entnehmen sein sollte, ob eine Regresspflicht des Zahnarztes voraussetzt, dass der Patient ihm zuvor die Möglichkeit einer Nachbesserung oder Neuanfertigung eingeräumt habe, fehlt es an ausreichenden Darlegungen zu deren Klärungsbedürftigkeit im Lichte der bereits vorhandenen Rechtsprechung des BSG. Der Kläger hat sich insbesondere nicht in der im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gebotenen Intensität mit der bereits vom LSG zitierten BSG-Entscheidung vom 29.11.2006 (SozR 4-5555 § 15 Nr 1 RdNr 16 ff) auseinandergesetzt und aufgezeigt, inwiefern über die dort dargelegten Grundsätze hinaus noch weiterer Klärungsbedarf besteht. Der Senat hat in dem genannten Urteil ausgeführt, dass eine Regresspflicht des Zahnarztes auch dann besteht, wenn er zwar die von ihm angefertigte mangelhafte prothetische Versorgung nachbessern kann oder sich bei nicht mehr durch Nachbesserungsmaßnahmen zu behebenden Mängeln zu einer Neuanfertigung bereit erklärt, aber die Durchführung der Nachbesserung/Neuanfertigung gerade durch ihn für den Patienten unzumutbar ist. Der Kläger macht insoweit sinngemäß lediglich geltend, im Berufungsurteil sei die Unzumutbarkeit einer Neuanfertigung durch ihn nicht ausdrücklich festgestellt worden. Dieser Umstand allein zeigt jedoch keine weitergehende Klärungsbedürftigkeit im Grundsätzlichen auf, zumal das LSG den genannten Rechtssatz aus der BSG-Entscheidung ausdrücklich - auf Seite 8 des Berufungsurteils - als Maßstab seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat.
2. Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung seines rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG iVm § 62 SGG) liegt nicht vor und kann deshalb ebenfalls nicht zur Revisionszulassung führen. Der Kläger macht insoweit geltend, das LSG habe ihm weder die Beweisanordnung zur Einholung des Sachverständigengutachtens noch deren Abänderung noch das Gutachten selbst zur Kenntnis gegeben, obgleich es seine Entscheidung maßgeblich auf das Ergebnis dieses Gutachtens gestützt habe. Dies trifft jedoch nicht zu.
Aus den Akten des LSG ergibt sich, dass der Berichterstatter am 26.10.2005 verfügt hat, die Beweisanordnung vom 25.10.2005 an die Beteiligten zur Kenntnis zu übermitteln; die Geschäftsstelle hat die Ausführung dieser Verfügung unter dem 28.10.2005 mit Handzeichen bestätigt (Bl 125 der Akten). Entsprechendes gilt für deren Abänderung im Beschluss vom 14.2.2006 (Bl 136 der Akten) sowie für die Übersendung des Gutachtens selbst (Verfügung vom 3.7.2006, Bl 151 Rückseite). Allerdings trifft zu, dass die genannten Schriftstücke der Prozessbevollmächtigten des Klägers nur formlos übersandt und nicht förmlich - zB mittels Empfangsbekenntnis zugestellt wurden. Eine förmliche Zustellung ist zur Wahrung des rechtlichen Gehörs jedoch nicht erforderlich (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 108 RdNr 6). Der erstmals im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren geltend gemachte Vortrag, "dem Kläger" seien diese Unterlagen nie übermittelt worden, vermag den Senat nicht davon zu überzeugen, dass die genannten Schreiben trotz der von der Geschäftsstelle in den Akten als ausgeführt abgezeichneten Übersendungsverfügungen sämtlich nicht bei seiner Prozessbevollmächtigten eingegangen sind. Diese Beurteilung gründet auch darauf, dass der Kläger angibt, das - ebenfalls formlos übersandte - Schreiben des LSG vom 22.8.2006 erhalten zu haben. Mit jenem Schreiben waren die Stellungnahmen des Beklagten und der Beigeladenen zu dem Gutachten vom 22.6.2006 übermittelt und der Kläger bzw seine Prozessbevollmächtigte zur Äußerung aufgefordert worden, ob im Hinblick darauf die Klage zurückgenommen werde. Aus den genannten Stellungnahmen geht die Existenz des weiteren vom LSG eingeholten Gutachtens und dessen für den Kläger negatives Ergebnis deutlich hervor. Wenn gleichwohl die Prozessbevollmächtigte des Klägers nachfolgend weder in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 31.1.2007 (Bl 159 der LSG-Akte) noch im Termin zur mündlichen Verhandlung (vgl die Niederschrift Bl 178 LSG-Akte) beanstandet hat, dass das offensichtlich den anderen Beteiligten und dem Gericht vorliegende Gutachten ihr nicht zur Verfügung steht, so ist daraus zu folgern, dass diese Unterlagen jedenfalls der Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis gelangten. Für deren Übermittlung an den Kläger selbst ist nicht das Gericht, sondern die Prozessbevollmächtigte verantwortlich.
Im Übrigen hat der Kläger in seiner Beschwerdebegründung auch nicht dargelegt, inwiefern das Berufungsurteil auf dem von ihm vorgebrachten Gehörsverstoß - dessen Vorliegen unterstellt - beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Hierzu wären Ausführungen erforderlich gewesen, welche Einwendungen er gegen dieses Gutachten vorgebracht hätte, wenn er - die fehlende Kenntnis unterstellt - dieses rechtzeitig gekannt hätte (vgl Krasney in Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kapitel IX RdNr 204) und was er unternommen hat, um sich trotz der behaupteten, spätestens in der mündlichen Verhandlung offenbar werdenden Unkenntnis des entscheidungserheblichen Gutachtens noch rechtzeitig vor einer abschließenden Entscheidung des Berufungsgerichts - beispielsweise mit Hilfe eines Vertagungsantrags - Gehör zu verschaffen (vgl Leitherer, aaO, § 160a RdNr 16d). Entsprechendes Vorbringen ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 154 Abs 2 und § 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Danach hat der Kläger, dessen Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist, dessen Kosten zu tragen. Dies umfasst die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1., die - anders als die Beigeladene zu 2. - im Beschwerdeverfahren auch einen Antrag gestellt hat (vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, jeweils RdNr 16).
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz. Dabei waren zusätzlich zum festgesetzten Regressbetrag (5.271,95 Euro) auch die dem Kläger im angefochtenen Bescheid auferlegten Kosten der Kontrolluntersuchung (149,63 Euro) mit einzubeziehen.
Fundstellen