Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für ein Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. Oktober 2023 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt W, B, beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt Regelaltersrente.
1944 wurde ihr aus Moldau stammender Vater mit weiteren Familienmitgliedern im Rahmen der nationalsozialistischen Besiedlungspolitik in den von der deutschen Wehrmacht besetzten "Reichsgau Wartheland" umgesiedelt. Dort erwarb er die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung. 1945 wurde er durch Beschluss des Staatskomitees für Verteidigung der Sowjetunion als Person der deutschen Nationalität in die Stadt Sewerouralsk verbannt. Die ihm gegenüber angeordnete Aufsicht und die Meldepflicht wurden 1956 aufgehoben. Die 1955 in Sewerouralsk geborene Klägerin absolvierte eine Ausbildung zur Technikerin und ein Ingenieurstudium, war in der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten berufstätig und brachte drei Kinder zur Welt. Nach Feststellung ihrer deutschen Staatsangehörigkeit siedelte sie zum 8.10.2012 in die Bundesrepublik Deutschland um. Hier ging sie keiner Beschäftigung nach und bezog Arbeitslosengeld II. Für Januar 2019 hat sie einen freiwilligen Versicherungsbeitrag gezahlt. Die Klägerin ist als dem Personenkreis des § 1 Häftlingshilfegesetz (HHG) zugehörig, nicht aber als Vertriebene iS des § 1 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) oder Spätaussiedlerin iS des § 4 BVFG anerkannt.
Mit Bescheid vom 17.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.1.2014 stellte die Beklagte die im Versicherungsverlauf der Klägerin enthaltenen Daten bis zum 31.12.2006 verbindlich fest. Zeiten vor ihrer Übersiedlung in das Bundesgebiet wurden nicht vorgemerkt. Das SG hat ihre Klage, mit der die Klägerin insbesondere die Anerkennung von Anrechnungszeiten begehrt hat, abgewiesen(Urteil vom 27.7.2021) . Während des dagegen von der Klägerin angestrengten Berufungsverfahrens hat die Beklagte ihren Antrag auf Regelaltersrente vom 4.6.2021 abgelehnt, weil die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt sei(Bescheid vom 13.9.2021) . Das LSG hat diesen Bescheid als alleinigen Gegenstand des Verfahrens erachtet, über den auf Klage zu entscheiden sei. Die so verstandene Klage hat es mit Urteil vom 16.10.2023 abgewiesen. Die Klägerin könne mangels Wartezeiterfüllung keine Regelaltersrente beanspruchen. Abgesehen von dem Monat, für den ein freiwilliger Beitrag geleistet worden sei, habe sie keine Beitragszeiten in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt. Die in der Sowjetunion zurückgelegten Zeiten seien diesen auch nicht in Anwendung des Fremdrentengesetzes (FRG) gleichgestellt, weil die Klägerin nicht dem persönlichen Anwendungsbereich unterfalle. Aus einem etwaigen Vertriebenenstatus ihrer Eltern könne die Klägerin die begehrte Gleichstellung der streitbefangenen Zeiten nicht ableiten. Bei ihr seien auch keine Ersatzzeiten zu berücksichtigen. Zwar stelle die Verbannung ihrer Familie eine Verschleppung iS des§ 250 Abs 1 Nr 2 SGB VI dar. Die Verschleppung habe jedoch 1956 mit Aufhebung der Aufsicht und Meldepflicht geendet und damit bevor die Klägerin das 14. Lebensjahr vollendet habe. Dass die Klägerin in der Folgezeit an einer Rückkehr in den Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze und deren Nachfolgegesetze gehindert gewesen sei, habe auf dem allgemeinen Ausreiseverbot beruht, das alle Staatsangehörigen der Sowjetunion gleichermaßen betroffen habe. Der Anerkennung von Ersatzzeiten stehe ferner die Beschäftigungsausübung entgegen.
Das Berufungsurteil ist der Klägerin am 15.12.2023 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 8.1.2024, das am 10.1.2024 beim BSG eingegangen ist, hat sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung des Rechtsanwalts W, B, beantragt. Die Klägerin hat sich zudem mit Schreiben vom 15.1.2024 und 28.1.2024 geäußert. Eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse liegt vor.
II
Der PKH-Antrag der Klägerin ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dies ist hier nicht der Fall. Die angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Damit entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH(vgl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm§ 121 Abs 1 ZPO ).
Es ist nicht zu erkennen, dass ein vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter(§ 73 Abs 4 SGG ) zur erfolgreichen Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde in der Lage wäre. Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat(Nr 1) , die angegriffene Entscheidung von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht(Nr 2) oder wenn ein bestimmter Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann(Nr 3) . Ein solcher Zulassungsgrund ist nach summarischer Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Verfahrensakten auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin nicht ersichtlich.
1. Dass dem Verfahren eine grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zukommt, ist nicht zu erkennen. Es stellt sich keine Rechtsfrage, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer weiteren Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Insbesondere ist in der Rechtsprechung des BSG geklärt, dass nach §§ 15 , 16 FRG nur diejenigen Zeiten im Herkunftsgebiet den in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Zeiten gleichstehen, die vor der Vertreibung zurückgelegt wurden(vgl bereits BSG Beschluss vom 6.12.1979 - GS 1/79 - BSGE 49, 175, 189 f = SozR 5050 § 15 Nr 13 S 47 f; vgl auchBSG Urteil vom 24.4.1997 - 13 RJ 23/96 - BSGE 80, 186, 190 = SozR 3-7140 § 1 Nr 1 S 6 mwN;BSG Urteil vom 17.10.2006 - B 5 RJ 21/05 R - SozR 4-5050 § 15 Nr 3 RdNr 26 ff) . Infolgedessen haben Versicherte, die ihren Vertriebenenstatus nach § 7 BVFG in der bis zum 31.12.1992 geltenden Fassung von ihren Eltern oder Großeltern ableiten, allenfalls dann Anspruch auf rentenrechtlichen Ausgleich nach Maßgabe des FRG, wenn sich die von den Eltern oder Großeltern vor der Vertreibung erlittenen rentenrechtlichen Einbußen auf die eigenen Rentenansprüche auswirken(vglBSG Urteil vom 17.10.2006 - B 5 RJ 21/05 R - SozR 4-5050 § 15 Nr 3 RdNr 30) . Dass eine abgeleitete Anerkennung als Vertriebener damit rentenrechtlich gleichsam "leerläuft", ist die Folge des Erwerbs des Vertriebenenstatus durch Geburt viele Jahre nach dem Vertreibungstatbestand(vglBSG Urteil vom 17.10.2006 - B 5 RJ 21/05 R - SozR 4-5050 § 15 Nr 3 RdNr 32) . Speziell für den Fall der Umsiedlung einer Familie in den "Reichsgau Wartheland" ist auch bereits entschieden, dass darin der maßgebliche Vertreibungsvorgang iS des § 1 Abs 2 Nr 2 BVFG liegt, während die nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte Deportation von dort in sowjetisches Gebiet keinen Vertreibungstatbestand erfüllt, ebenso wenig wie die spätere Einreise und Wohnsitzverlegung in das Bundesgebiet(vglBSG Urteil vom 17.10.2006 - B 5 RJ 21/05 R - SozR 4-5050 § 15 Nr 3 RdNr 29) . Der hier zugrunde liegende Sachverhalt gibt keinen Anlass zu weitergehender Klärung.
Ebenso wenig erwächst aus dem hier zugrunde liegenden Rechtsstreit eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage zur Anerkennung von Ersatzzeiten wegen Internierung oder Verschleppung. Es ist geklärt, dass ein Verschleppungstatbestand iS des heutigen§ 250 Abs 1 Nr 2 SGB VI in Betracht kommen kann, wenn nicht der Versicherte selbst, sondern seine Eltern verschleppt wurden(vglBSG Urteil vom 25.2.1992 - 5 RJ 34/91 - SozR 3-2200 § 1252 Nr 2 S 10, juris RdNr 19 ff mwN;BSG Urteil vom 29.9.1994 - 4 RA 28/93 - SozR 3-2200 § 1251 Nr 6 S 34, juris RdNr 16; vgl auchBSG Urteil vom 17.2.2005 - B 13 RJ 25/04 R - juris RdNr 18 mwN zu § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI) . Weiter geklärt ist, dass die Anerkennung von Ersatzzeiten dann allerdings voraussetzt, dass der Versicherte zu einer Zeit geboren wurde, in der seine deutschen Eltern aus Deutschland verschleppt waren, und im betroffenen Zeitraum ihm - oder, bei minderjährigen Kindern, den Eltern - die Ausreise untersagt war(vglBSG Urteil vom 29.9.1994 - 4 RA 28/93 - SozR 3-2200 § 1251 Nr 6 S 34, juris RdNr 16) . Dabei bedeutet Verschleppung, dass der Versicherte bzw seine Eltern gegen ihren Willen von einem Ort innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31.12.1937 zwangsweise in ein ausländisches Staatsgebiet verbracht und an der Rückkehr gehindert worden waren(vglBSG Urteil vom 25.2.1992 - 5 RJ 34/91 - SozR 3-2200 § 1252 Nr 2 S 9 f; Gürtner in Rolfs/Körner/Krasney/Mutschler, BeckOGK, Stand 15.2.2024, SGB VI, § 250 RdNr 73) . Mit Blick auf das Gesamtvorbringen der Klägerin sei angemerkt, dass der "Reichsgau Wartheland" außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches vom 31.12.1937 lag.
Aus diesem Grund wäre auch die Frage, ob verschleppte Personen sich nach Beendigung der Aufsicht durch die sowjetischen Behörden in Gewahrsam iS des§ 250 Abs 1 Nr 5 SGB VI iVm § 1 Abs 5 Satz 1 HHG befanden, in dem von der Klägerin angestrebten Revisionsverfahren nicht zu klären. Zudem käme ein solcher Gewahrsam allenfalls für Zeiten in Betracht, in denen der Betroffene einen Willen zur Rückkehr nach Deutschland hatte(vgl zu diesem Aspekt LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 19.1.2011 - L 2 R 51/09 - juris RdNr 45) . Es ist nicht ersichtlich, dass bei der Klägerin nach Vollendung des 14. Lebensjahres und vor dem 1.1.1992 ein solcher Rückkehrwille vorhanden gewesen sein könnte. Wie sie selbst vorgebracht hat, erlangte sie erstmals 2011 Kenntnis von ihrer deutschen Staatsangehörigkeit und betrieb erst ab dann ihre Reisepassausstellung und die Ausreise in die Bundesrepublik. Ungeachtet all dessen stünde ihre in der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten ausgeübte Beschäftigung der Anerkennung von Ersatzzeiten nach§ 250 Abs 1 Nr 2 oder 5 SGB VI entgegen(§ 250 Abs 2 Nr 3 SGB VI ; vgl zum Ausschlusstatbestand der Beschäftigung zB Fiebig in Reinhardt/Silber, SGB VI, 5. Aufl 2021, § 250 RdNr 8) .
Dass das LSG über eine Klage gegen den Rentenbescheid vom 13.9.2021 befunden hat, wirft keine das Prozessrecht betreffende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf. Das BSG hat bereits entschieden, dass, wenn, wie hier, nach Erhebung einer Klage gegen einen Vormerkungsbescheid ein Rentenbescheid erlassen wird, dessen vorbereitender Klärung der bis dahin angefochtene Vormerkungsbescheid gedient hat, das anhängige Klageverfahren seine Fortsetzung im Streit über den Rentenbescheid findet(vglBSG Urteil vom 16.6.2015 - B 13 R 23/14 R - juris RdNr 12 f mwN) . Gleichzeitig ist geklärt, dass in dieser Konstellation § 96 Abs 1 SGG Anwendung findet mit der Folge, dass der Rentenbescheid als unmittelbar kraft Gesetzes angegriffen gilt, soweit er auf den ursprünglich streitigen Feststellungen beruht(vgl BSG aaO RdNr 13 mwN) . Der Rechtsprechung des BSG lässt sich zudem entnehmen, dass auch in der (erneuten) Ablehnung eines Rentenantrags ein die bisherige Verfügung ersetzender neuer Verwaltungsakt iS des § 96 Satz 1 SGG liegen kann(vglBSG Beschluss vom 17.8.2017 - B 5 R 248/16 B - juris RdNr 9 ;BSG Beschluss vom 12.3.2019 - B 13 R 329/17 B - juris RdNr 8 ;BSG Beschluss vom 21.10.2020 - B 13 R 59/19 B - SozR 4-1500 § 96 Nr 12 RdNr 11) .
2. Das LSG ist im angefochtenen Urteil nicht iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG in entscheidungserheblicher Weise von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen.
3. Ein rügefähiger Verfahrensmangel iS von§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG , auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, ist nicht zu erkennen. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass das LSG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung(§ 153 Abs 1 iVm§ 124 Abs 2 SGG ) entschieden hat. Die Beteiligten haben zuletzt mit Erklärungen vom 27.9.2023 und 5.10.2023 hierzu das erforderliche Einverständnis erteilt. Es ist nicht ersichtlich, dass durch eine nachfolgende wesentliche Änderung der Prozesssituation(vgl hierzu zBBSG Beschluss vom 31.8.2021 - B 5 R 151/21 B - juris RdNr 16 mwN) der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung unwirksam geworden sein könnte. Insbesondere hat das LSG die Beteiligten bereits mit Schreiben vom 7.9.2023 darauf hingewiesen, von welchem Streitgegenstand des Verfahrens es ausgehe.
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Hannes abwesenheitsbedingt an der Signatur gehindert Düring |
Fundstellen
Dokument-Index HI16675247 |