Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Vormerkungsbescheid in der gesetzlichen Rentenversicherung. Streitgegenstand. Rentenablehnungsbescheid. Fremdrentenrecht. abgeleiteter Vertriebenenstatus. Verschleppungstatbestand. Repatriierung. allgemeines Ausreiseverbot in der ehemaligen Sowjetunion. keine Rückkehrverhinderung iS des § 250 Abs 1 Nr 3 SGB 6. Ausnahmetatbestand des § 250 Abs 2 Nr 3 SGB 6
Orientierungssatz
1. Mit der Übernahme der relevanten versicherungsrechtlichen Feststellungen hat der Vormerkungsbescheid die ihm zukommende Funktion der Beweissicherung für künftige Leistungsfeststellungsverfahren erfüllt und damit jegliche rechtliche Bedeutung verloren (vgl BSG vom 23.8.2005 - B 4 RA 21/04 R sowie LSG Darmstadt vom 26.10.2012 - L 5 R 323/11). Der Vormerkungsbescheid hat sich daher "auf andere Weise" iS des § 39 Abs 2 SGB 10 erledigt (vgl BSG vom 23.8.2005 - B 4 RA 21/04 R).
2. Dies gilt auch für Rentenablehnungsbescheide.
3. Nach der gesetzlichen Systematik und dem Sinn und Zweck des Fremdrentenrechts nach §§ 15, 16 FRG können nur diejenigen Versicherungszeiten berücksichtigt werden, die vor der Vertreibung zurückgelegt werden. Aus einem von den Eltern abgeleiteten Vertriebenenstatus können sich damit keine weiterreichenden Rechte ergeben, als sie den Eltern selbst zugestanden hätten. Die Begünstigung durch das FRG soll insoweit auf die Fälle beschränkt sein, in denen der Verlust von ausländischen Rentenanwartschaften durch einen Vertreibungstatbestand verursacht wird. Mit dem Ende der Vertreibung kann sich der durch das Vertriebenenschicksal erlittene rentenversicherungsrechtliche Nachteil nicht mehr verschlimmern (vgl BSG vom 17.10.2006 - B 5 RJ 21/05 R = SozR 4-5050 § 15 Nr 3 RdNr 27 sowie LSG Celle-Bremen vom 19.1.2011 - L 2 R 51/09 = juris RdNr 33).
4. Die Repatriierung der Familie eines Versicherten in die ehemalige Sowjetunion stellt zwar einen Verschleppungstatbestand dar, der jedoch mit Aufhebung der Aufsicht und Meldepflicht beendet werden konnte.
5. Bei der Verhinderung der Rückkehr aus der ehemaligen UdSSR, die weder durch die Staatszugehörigkeit noch durch die Kriegsereignisse bedingt war, sondern auf einem allgemeinen Ausreiseverbot beruhte, das alle Staatsangehörigen der ehemaligen Sowjetunion erfasste, handelt es sich um keine Verhinderung an der Rückkehr durch feindliche Maßnahmen iS des § 250 Abs 1 Nr 3 SGB 6 (vgl LSG München vom 25.11.2014 - L 6 R 835/12).
6. Der Auffassung, wonach bei Vorliegen einer Beschäftigung § 250 Abs 2 Nr 3 SGB 6 nur für diejenigen Versicherten Anwendung findet, die mit der Beschäftigung berücksichtigungsfähige und als solche anerkannte FRG-Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt haben, ist nicht zu folgen (entgegen LSG München vom 25.11.2014 - L 6 R 835/12). Eine solche Einschränkung ist dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmen und ergibt sich auch nicht aus ihrem Sinn und Zweck bzw der Gesetzesbegründung.
Nachgehend
Tenor
I. Die Klage gegen den Rentenablehnungsbescheid vom 13. September 2021 wird abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Regelaltersrente dem Grunde nach, konkret um die Frage, ob ausreichend Beitrags- bzw. Ersatzzeiten vorliegen, um die allgemeine Wartezeit zu erfüllen.
Die 1955 im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion (E-Stadt, Russland) geborene Klägerin ist die Tochter des 1911 geborenen, aus B-Stadt stammenden B. A. Nachdem die deutsche Wehrmacht 1941 B-Stadt besetzt hatte, wurden der Vater und die übrigen Familienmitglieder im Jahr 1944 von der deutschen Wehrmacht durch Administrativumsiedlung von B-Stadt in das D-land umgesiedelt und erwarben im gleichen Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung. Der Vater wurde 1945 durch den Beschluss des Staatskomitees für Verteidigung der Sowjetunion als Person der deutschen Nationalität in die Spezialsiedlung F- Gebiet verbannt und dort am 11. Januar 1956 freigelassen (Feststellungen des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 4. Mai 2015 im Rahmen der Durchführung des Häftlingshilfegesetzes - HHG).
Im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion (UdSSR) absolvierte die Klägerin eine Ausbildung zur Technikerin (Fachrichtung Technologie der Milchprodukte, 1. September 1970 - 2. März 1974) und ein Ingenieurstudium (1. September 1982 - 23. Juni 1988). Sie hat drei Kinder (C., 1977 geboren in der Republik B-Stadt; D., 1981 geboren in der Republik B-Stadt; E., 1992 geboren in C-Stadt) zur Welt gebracht und war darüber hinaus nach eigenen Angaben bzw. entsprechend den Angaben in ihrem Arbeitsbuch in der ehemaligen Sowjetunion über 30 Jahre berufstätig.
Nach Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit am 30. August 2012 siedelte die Klägerin zum 8. Oktober 2012 in die Bundesrepublik Deutschland über. Ein Aufnahmeverfahren nach den Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes...