Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage. Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. regelmäßige Nutzung kostenpflichtiger öffentlicher Toiletten. Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. abweichende Regelsatzfestsetzung. Hilfe in sonstigen Lebenslagen. Behauptung einer inhaltlichen Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall
Orientierungssatz
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (vgl zB BSG vom 26.9.2022 - B 8 SO 36/22 BH = juris RdNr 7).
2. Liegt zu den in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen bereits eine gefestigte Rechtsprechung des BSG vor und befasst sich der Beschwerdeführer in seinem Vorbringen im Wesentlichen damit, ob das LSG in seinem Einzelfall richtig entschieden hat, kann die Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG vom 17.7.2020 - B 1 KR 34/19 B = juris RdNr 6 mwN).
Normenkette
SGG § 160a Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 1; SGB XII §§ 41, § 41 ff., § 30 Abs. 5, § 27a Abs. 4 S. 1, § 73 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Januar 2022 wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Der Kläger bezieht - neben einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen aus der gesetzlichen Rentenversicherung - ergänzende Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) vom beklagten Sozialhilfeträger. Er ist mit seinem Begehren auf Gewährung pauschaler Mehrbedarfsleistungen nach dem SGB XII für die Nutzung entgeltpflichtiger Toiletten im Stadtgebiet der Beklagten in Höhe von 180 Euro im Monat Juni 2018 ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Duisburg vom 4.3.2021; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Nordrhein-Westfalen vom 31.1.2022). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, für den geltend gemachten Anspruch existiere keine Rechtsgrundlage. Weitere als die ihm gewährten Leistungen könne der Kläger mit Blick auf die Nutzung entgeltpflichtiger öffentlicher Toiletten nicht beanspruchen. Ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung nach § 30 Abs 5 SGB XII scheide aus, da der Kläger keinen solchen Mehrbedarf begehre. Entgegen der Auffassung des Klägers komme auch keine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift in Betracht. Auch eine höhere Regelleistung könne der Kläger nicht beanspruchen, da die Nutzung kostenpflichtiger öffentlicher Toiletten als Kosten für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben bereits in der gewährten Regelleistung enthalten sei und der Bedarf nicht iS von § 27a Abs 4 SGB XII unausweichlich oberhalb durchschnittlicher Bedarfe liege. Der Kläger habe selbst mehrfach betont, keine krankheitsbedingt eingeschränkte Blasen- und Darmfunktion zu haben. Ein Anspruch bestehe auch nicht als Eingliederungshilfe, da der Kläger bereits die personenbezogenen Voraussetzungen nicht erfülle. Auch aus § 73 SGB XII folge kein Anspruch des Klägers, da keine sonstige Lebenslage bestehe. Dieses Ergebnis stehe mit Verfassungsrecht - insbesondere dem Grundrecht auf Freizügigkeit (Art 11 Grundgesetz ≪GG≫), der Menschenwürde (Art 1 Abs 1 GG), dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG) und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) - in Einklang.
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil. Gleichzeitig begehrt er Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil: Die Sache habe grundsätzliche Bedeutung; denn die Kosten für die Nutzung öffentlicher Toiletten überstiegen die mit dem Regelbedarf abgedeckten Positionen. Außerdem sei grob verfahrensfehlerhaft, die "Aufwendungen für Toilettengänge bei Aufenthalt im öffentlichen Raum" dem persönlichen Freizeitbedarf zuzuordnen. Die Nichtgewährung des beantragten Mehrbedarfs verletze ihn in seinen Grundrechten.
II. PKH kann dem Kläger nicht bewilligt werden. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Der Rechtssache kommt nach Durchsicht der Aktenlage - auch in Ansehung des Vorbringens des Klägers - keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (vgl zB Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 26.9.2022 - B 8 SO 36/22 BH - juris RdNr 7).
Der Kläger stützt seinen Antrag darauf, dass das LSG ihm fehlerhaft keinen Mehrbedarf für die kostenpflichtige Nutzung öffentlicher Toiletten zugesprochen habe. Zu der vom Kläger behaupteten Anspruchsgrundlage in § 30 Abs 5 SGB XII (Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung) existiert indes ebenso wie zu den Voraussetzungen einer abweichenden Bemessung des Regelsatzes (§ 27a Abs 4 SGB XII) und zu Leistungen in sonstigen Lebenslagen (§ 73 SGB XII) bereits eine gefestigte Rechtsprechung des BSG (vgl zum Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nur BSG vom 14.2.2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 15 RdNr 15; BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 und BSG vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R; zur abweichenden Bemessung BSG vom 15.11.2012 - B 8 SO 6/11 R - BSGE 112, 188 = SozR 4-3500 § 49 Nr 1, RdNr 25-26; BSG vom 24.3.2015 - B 8 SO 22/13 R - RdNr 14 f; zur Abgrenzung vom Regelbedarf zu Bedarfen nach § 73 SGB XII BSG vom 19.5.2022 - B 8 SO 1/21 R - RdNr 24-25 mwN, für BSGE und SozR vorgesehen). Insbesondere ist damit geklärt, dass § 27a Abs 4 SGB XII eine von Verfassungs wegen gebotene Öffnungsklausel für laufende, besondere unabweisbare Bedarfe enthält, wie der Kläger sie für sich in Anspruch nimmt. Er befasst sich in seinem Vorbringen im Wesentlichen damit, ob das LSG in seinem Einzelfall richtig entschieden hat. Die Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann aber nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG vom 17.7.2020 - B 1 KR 34/19 B - juris RdNr 6 mwN).
Aus dem Vorbringen des Klägers und der Aktenlage ist auch nicht erkennbar, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte. Mit seinem Vorbringen, das LSG habe "grob verfahrensfehlerhaft" die streitigen Aufwendungen dem persönlichen Freizeitbedarf zugeordnet, macht der Kläger erneut nur die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung, nicht aber einen Fehler im Verfahrensgang beim LSG geltend.
Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
Die eingelegte Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Der Kläger muss sich vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Er kann eine Prozesshandlung selbst nicht rechtswirksam vornehmen, folglich auch nicht selbst Beschwerde einlegen. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Hierauf hat das LSG in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ausdrücklich hingewiesen.
Die Entscheidung ergeht nach § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter.
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Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG. |
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