Entscheidungsstichwort (Thema)

Frist. Versäumung. Wiedereinsetzung. Verschulden. Urlaub. Nachsendeantrag. Postzustellungsauftrag. Zustellungsbevollmächtigter. Bestellung

 

Orientierungssatz

Ein Rechtsmittel ist auch dann nicht ohne Verschulden versäumt, wenn für die Dauer eines Urlaubs zwar ein Nachsendeantrag bei der Post gestellt worden ist, der Zustellungsempfänger es jedoch versäumt hat, den Nachsendeauftrag auch auf Postzustellungsaufträge zu erstrecken oder für die Zeit seines Urlaubs einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen (vgl BVerwG vom 26.4.1973 - VI B 41.72).

 

Normenkette

SGG § 67 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Beschluss vom 15.01.2004; Aktenzeichen L 15 V 11/03)

SG München (Urteil vom 15.01.2003; Aktenzeichen S 29 V 12/98)

 

Gründe

Der Kläger beansprucht von dem Beklagten eine Versorgungsrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen bereits anerkannter Schädigungsfolgen.

Das Sozialgericht München (SG) hat durch Urteil vom 15. Januar 2003 die auf die Versorgungsrente gerichtete Klage abgewiesen. Die Zustellung des Urteils an den Kläger ist während dessen Urlaubsabwesenheit vom 7. bis 23. Februar 2003 - laut Vermerk der Postzustellerin auf der Postzustellungsurkunde unter dem Datum des 12. Februar 2003 - durch Einlegung in den Hausbriefkasten des Klägers erfolgt. Der Berufungsschriftsatz des Klägers vom 28. März 2003 ist am 31. März 2003 bei dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingegangen. Dieses hat durch Beschluss vom 15. Januar 2004 die Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Zustellung durch Einlegen in den Hausbriefkasten des Klägers sei ordnungsgemäß erfolgt. Unter Berücksichtigung der bei der Deutschen Post AG eingeholten Auskünfte habe sich der Postnachsendeauftrag des Klägers nicht auf Postzustellungsaufträge erstreckt. Der Beweis für die Zustellung am 12. Februar 2003 werde durch die von der Postzustellerin ordnungsgemäß ausgefüllte Postzustellungsurkunde (§ 182 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫) erbracht. Der Kläger habe nicht beweisen können, das Urteil erst am 27. März 2003 erhalten zu haben. Wiedereinsetzungsgründe seien nicht gegeben. Der Kläger sei nicht ohne Verschulden gehindert gewesen, die Berufungsfrist einzuhalten. Selbst wenn er das Urteil erst nach seiner Rückkehr am 23. Februar 2003 vorgefunden haben sollte, habe er die dann ggf bis zum 24. März 2003 laufende Berufungsfrist versäumt.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Beschluss hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Er macht grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und rügt eine Abweichung der Entscheidung des LSG von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sowie Verfahrensfehler.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat einen Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht formgerecht dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also deren Breitenwirkung (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger hat zwar als grundsätzlich bedeutsam folgende Rechtsfrage bezeichnet:

Kann im Falle eines ordnungsgemäß gestellten Postnachsendeantrags der Betroffene davon ausgehen, dass in der Zeit seiner Abwesenheit nicht zu seinen Lasten durch Postzustellungsurkunde - eingelegt in seinen Briefkasten - ein Fristlauf in Gang gesetzt wird, auf welchen er grundsätzlich - schon im Hinblick auf seine Abwesenheit - keinerlei Einfluss mehr haben kann?

Er hat jedoch nicht hinreichend dargelegt, dass die von ihm aufgeworfene Frage höchstrichterlich klärungsbedürftig ist. Es fehlt an Ausführungen dazu, warum sich aus der Rechtsprechung des BSG oder anderer Bundesgerichte keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage ergeben (s dazu BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2), insbesondere an einer Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ≪BVerwG≫ vom 26. April 1973 (VI B 41.72, JURIS), in der dieses festgestellt hat: "Ein Rechtsmittel ist auch dann nicht ohne Verschulden versäumt, wenn für die Dauer eines Urlaubs zwar ein Nachsendeantrag bei der Post gestellt worden ist, der Zustellungsempfänger es jedoch versäumt hat, den Nachsendeauftrag auch auf Postzustellungsaufträge zu erstrecken oder für die Zeit seines Urlaubs einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen".

Zur formgerechten Rüge des von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgrundes einer Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin die Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss einen abstrakten Rechtssatz aus dem vorinstanzlichen Urteil und einen abstrakten Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Entscheidung so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht hingegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 54, 67). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers ebenfalls nicht gerecht.

Der Kläger behauptet zwar, das LSG habe in seinem Beschluss nicht berücksichtigt, dass nach der von ihm zitierten Rechtsprechung des BSG die Regelungen zur Wiedereinsetzung nach § 67 SGG für den Betroffenen günstiger seien als die der ZPO, also keine überspannten Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrundes gestellt werden dürften. Damit ist es ihm jedoch nicht gelungen, einen abstrakten Rechtssatz aus den Entscheidungsgründen des LSG herauszuarbeiten, der der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung entgegenstehen könnte. Er macht vielmehr geltend, das LSG habe bei seiner Beweiswürdigung die von dem BSG entwickelten Maßstäbe nicht hinreichend berücksichtigt. Das reicht nicht aus, um eine Divergenz zu begründen (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26).

Nach dem von dem Kläger schließlich auch herangezogenen § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision wegen eines geltend gemachten Verfahrensmangels zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung auf ihm beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 (freie richterliche Beweiswürdigung) SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Der Kläger rügt, das LSG habe keinen Prozessbeschluss erlassen dürfen, ihm vielmehr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren müssen. Er habe die Berufungsfrist nicht schuldhaft versäumt. Das Urteil des SG habe während des Bestehens des Nachsendeauftrags, also während seiner Urlaubsabwesenheit, nicht zugestellt werden dürfen. Es handele sich insoweit um ein Organisationsverschulden des Gerichts, indem das SG es versäumt habe, im Rahmen des Zustellungsauftrags auf das Unterlassen der Zustellung bei dem Vorliegen eines Nachsendeantrags hinzuweisen. Abgesehen davon, dass im Hinblick auf die oben zitierte Rechtsprechung des BVerwG Vorkehrungen zur Sicherstellung der Zustellung während der Urlaubszeit grundsätzlich in den Verantwortungsbereich des (potentiellen) Zustellungsempfängers fallen, hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt, inwieweit die Entscheidung des LSG auf dem von ihm gerügten Verfahrensfehler beruhen kann. Anlass zu näheren Darlegungen bestand hier insbesondere deshalb, weil das LSG zu seinen Gunsten davon ausgegangen ist, im Hinblick auf die detaillierten Geschäftsbedingungen des Postnachsendeantrags und die relativ unauffälligen Einschränkungen auf der Rückseite des Antragsformulars, sei es glaubhaft, dass der Kläger darauf vertraut habe, alle Briefe würden ihm an die Urlaubsanschrift nachgesandt; eine Wiedereinsetzung scheide jedoch auch dann aus, wenn dieser erst nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub am 22. oder 23. Februar 2003 Kenntnis von dem Urteil erhalten habe.

Soweit der Kläger ferner geltend macht, das LSG habe seinen Vortrag übergangen, das Urteil erst am 27. März 2003 erhalten zu haben, und die Feststellung des LSG rügt, er habe das Urteil nach der Rückkehr ggf mit anderer Post vermischt, macht er einen Verstoß gegen § 128 Abs 1 Satz 1 SGG geltend, was nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ausdrücklich keinen Zulassungsgrund darstellt.

Mit Schriftsatz vom 13. Mai 2004 hat der Kläger insbesondere die erstinstanzlich eingeholten Gutachten angegriffen und einen Antrag nach § 109 SGG gestellt. Dieses Vorbringen ist unbeachtlich. Denn es wird kein den angefochtenen Beschluss des LSG betreffender Revisionszulassungsgrund aufgezeigt.

Die danach nicht formgerecht begründete und mithin unzulässige Beschwerde ist nach § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1755830

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