Orientierungssatz
Keine Wiedereinsetzung bei Nichteinreichung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse: 1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die infolge wirtschaftlicher Bedrängnis eingetretene Versäumung der Beschwerdefrist ist daher nach ständiger Rechtsprechung nur dann zu gewähren, wenn der Beschwerdeführer das Gesuch um Prozeßkostenhilfe und die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) nach § 117 Abs 2 ZPO innerhalb der Beschwerdefrist eingereicht hat, sofern er nicht ohne sein Verschulden auch hieran gehindert war.
Normenkette
SGG § 160a Abs 1 S 2, § 67 Abs 1, § 73a Abs 1 S 1; ZPO § 117 Abs 2
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 22.01.1988; Aktenzeichen L 11/An-1165/83) |
Gründe
Mit einem am 19. Juni 1988 von der Klägerin unterzeichneten Schreiben, in dem sie auf eine - beim Bundessozialgericht (BSG) nicht eingegangene - Beschwerdeschrift vom 27. April 1988 verweist, hat die Klägerin um Fristverlängerung für die Begründung ihrer Beschwerde gebeten und angegeben, daß sie wegen eines akuten Schubs ihrer Nierenerkrankung nicht in der Lage sei, ihren Rechtsanwalt aufzusuchen. Auf Anfrage des Senats hat die Klägerin eine Durchschrift ihrer - eigenhändig gefertigten - Beschwerdeschrift vom 27. April 1988 übersandt, in der es heißt, daß sie aus gesundheitlichen Gründen zur Zeit nicht in der Lage sei, ihren Rechtsanwalt - Prof. Dr. P. in F. - aufzusuchen und deshalb zur Fristwahrung Nichtzulassungsbeschwerde einlege. Sie hat hierzu mit Schreiben vom 27. August 1988 angegeben, daß sie wegen ihrer Erkrankung nicht in der Lage gewesen sei, ihre Beschwerdeschrift bei der Post als Einschreibesendung aufzugeben, und deshalb den Brief in den vor ihrem Haus stehenden Briefkasten eingeworfen habe. Erst nach dem 19. Juni 1988 sei sie wieder in der Lage gewesen, mit ihrem bisherigen Anwalt zu telefonieren, der jedoch eine Vertretung vor dem BSG abgelehnt habe. Die Suche nach weiteren Rechtsanwälten sei vergeblich gewesen. Sie bitte ferner um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und beantrage Beiordnung eines "Notanwaltes", weil sie infolge ihrer langjährigen Erkrankung inzwischen mittellos geworden sei. Ihrem diesbezüglichen Schreiben vom 27. August 1988 war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht beigefügt.
Dem Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe kann nicht stattgegeben werden. Prozeßkostenhilfe ist nur zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Sozialgerichtsgesetz -SGG-, § 114 Zivilprozeßordnung -ZPO-). Hieran fehlt es schon deshalb, weil die von der Klägerin selbst eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig ist, denn die Klägerin muß sich vor dem BSG durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten lassen (§ 166 SGG). Selbst wenn der Klägerin ein vor dem BSG vertretungsberechtigter Prozeßbevollmächtigter beigeordnet und dieser die Nichtzulassungsbeschwerde formgerecht einlegen würde, müßte die Beschwerde wegen Versäumung der einmonatigen Beschwerdefrist (§ 160a Abs 1 Satz 2 SGG) als unzulässig verworfen werden. Die Frist ist nach der am 22. April 1988 erfolgten Zustellung des Urteils des Landessozialgerichts am 22. Mai 1988 abgelaufen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann der Klägerin nicht gewährt werden.
Einem Beschwerdeführer kann zwar grundsätzlich Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn er ohne sein Verschulden infolge von Mittellosigkeit an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert war. Das gilt jedoch nur, wenn der Beschwerdeführer alles in seinen Kräften stehende getan hat, um das der rechtzeitigen Einlegung der Beschwerde entgegenstehende Hindernis zu beheben. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die infolge wirtschaftlicher Bedrängnis eingetretene Versäumung der Beschwerdefrist ist daher nach ständiger Rechtsprechung nur dann zu gewähren, wenn der Beschwerdeführer das Gesuch um Prozeßkostenhilfe und die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) nach § 117 Abs 2 ZPO innerhalb der Beschwerdefrist eingereicht hat, sofern er nicht ohne sein Verschulden auch hieran gehindert war (BSG SozR 1750 § 117 ZPO Nrn 1, 3 und 4; vgl BVerfG SozR 1750 § 117 Nr 2). Die Klägerin hat innerhalb der Beschwerdefrist weder Prozeßkostenhilfe beantragt noch eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, bezüglich deren sie sich nach § 117 Abs 4 ZPO des durch die Verordnung vom 24. November 1980 (BGBl I 2163) eingeführten Vordrucks bedienen muß, eingereicht. Es ist nicht ersichtlich, daß sie ohne ihr Verschulden hieran gehindert war.
Der Senat kann offenlassen, ob die von der Klägerin angeblich am 22. April 1988 gefertigte und mit einfachem Brief zur Post gegebene Beschwerdeschrift auf dem Postweg verlorengegangen und daher ohne ihr Verschulden nicht an das BSG gelangt ist. Auch wenn dieses Schreiben innerhalb der am 22. Mai 1988 endenden Beschwerdefrist eingegangen wäre, wäre eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich. Die Klägerin war in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ausdrücklich darüber belehrt worden, daß die Beschwerde durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten innerhalb der Monatsfrist nach Zustellung des Urteils einzulegen ist und daß dann, wenn dies nicht schon - etwa durch den bisherigen Prozeßbevollmächtigten - geschehen ist, jedenfalls der Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Beschwerdefrist beim BSG eingehen müssen. Daß sie hieran aus krankheitsbedingten Gründen gehindert gewesen wäre, ist schon deshalb nicht ersichtlich, weil sie offensichtlich in der Lage war, das Schreiben vom 22. April 1988 zu fertigen oder fertigen zu lassen und an das BSG abzusenden. Dann wäre die Klägerin aber auch nicht gehindert gewesen, mit diesem Schreiben sogleich Prozeßkostenhilfe zu beantragen und jedenfalls die erforderlichen Formulare für die abzugebende Erklärung schriftlich beim BSG anzufordern. Daß dies - wie aus der vorgelegten Kopie des Schreibens vom 22. April 1988 ersichtlich - nicht geschehen ist, kann nicht allgemein mit Krankheit entschuldigt werden; denn bei Krankheit fehlt es an einem Verschulden regelmäßig nur dann, wenn die Krankheit so schwer ist, daß der Betroffene nicht selbst handeln und auch nicht einen anderen beauftragen kann.
Aber selbst dann, wenn die Klägerin - wie sie geltend macht - erstmals wieder ab 19. Juni 1988 gesundheitlich in der Lage gewesen wäre, ihre Angelegenheit in der gebotenen Weise zu betreiben, könnte ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Denn in diesem Fall fehlt es daran, daß die versäumte Rechtshandlung nicht innerhalb der Antragsfrist des § 67 Abs 2 Satz 1 SGG - binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses - nachgeholt worden ist (§ 67 Abs 2 Satz 3 SGG). Es muß innerhalb dieser Frist alles, was sonst innerhalb der Beschwerdefrist hätte geschehen müssen, nachgeholt werden. Die Klägerin hat aber einen Antrag auf Prozeßkostenhilfe erstmals mit Schreiben vom 27. August 1988 gestellt und die erforderliche Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bis heute noch nicht eingereicht. Auf einen Rechtsirrtum kann sich die Klägerin insoweit nicht berufen, weil sie diesen bei sorgfältiger Prüfung hätte vermeiden können. Der Rechtsuchende ist gehalten, die Rechtsmittelbelehrung zu beachten, worauf die Klägerin vom Senat mit Schreiben vom 24. Juni 1988 nochmals ausdrücklich hingewiesen worden ist, und muß sich bei möglichen Zweifeln sachkundig beraten lassen.
Der Antrag auf Prozeßkostenhilfe war daher abzulehnen.
Die Beschwerde der Klägerin war als unzulässig zu verwerfen, schon weil sie nicht in der gesetzlich vorgesehenen Form - durch einen beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten, § 166 Abs 1 SGG - eingelegt worden ist (§ 202 SGG iVm § 574 ZPO, § 169 Satz 3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen