Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Krankheit

 

Orientierungssatz

1. Zwar kann einem Beschwerdeführer nach § 67 SGG grundsätzlich Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn er ohne sein Verschulden infolge Krankheit an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert war. Das gilt jedoch nur, wenn der Beschwerdeführer alles in seinen Kräften stehende getan hat, um das der rechtzeitigen Einlegung der Beschwerde entgegenstehende Hindernis zu beheben. Hierbei entschuldigt Krankheit den Beschwerdeführer nur dann, wenn er auch gehindert war, andere für sich handeln zu lassen.

2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß wurde nicht zur Entscheidung angenommen (vgl BVerfG 1. Senat 2. Kammer vom 15.9.1986 1 BvR 882/86).

 

Normenkette

SGG § 67 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 14.11.1985; Aktenzeichen III ANBf 46/84)

 

Gründe

Das vorgenannte Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Hamburg ist dem Kläger am 6. Februar 1986 zugestellt worden. Mit einem am 5. März 1986 eingegangenen, vom Kläger persönlich unterzeichneten Schreiben hat dieser Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG eingelegt und gleichzeitig beantragt, ihm Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.

Prozeßkostenhilfe ist nur zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Sozialgerichtsgesetz -SGG-, § 114 Satz 1 Zivilprozeßordnung -ZPO-). Hieran fehlt es schon deshalb, weil die Nichtzulassungsbeschwerde, die nicht von einem vor dem Bundessozialgericht (BSG) vertretungsberechtigten Prozeßbevollmächtigten eingelegt worden ist, im Hinblick auf § 166 Abs 1 SGG verworfen werden muß. Sie könnte auch nicht von einem vor dem BSG vertretungsberechtigten Prozeßbevollmächtigten nachgeholt werden. Denn die Beschwerdefrist ist am 6. März 1986 abgelaufen, ohne daß dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könnte.

Zwar kann einem Beschwerdeführer nach § 67 SGG grundsätzlich Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn er ohne sein Verschulden - etwa infolge von Armut oder aus sonstigen Gründen, zB Krankheit - an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert war. Das gilt jedoch nur, wenn der Beschwerdeführer alles in seinen Kräften stehende getan hat, um das der rechtzeitigen Einlegung der Beschwerde entgegenstehende Hindernis zu beheben. Hierbei entschuldigt Krankheit den Beschwerdeführer nur dann, wenn er auch gehindert war, andere für sich handeln zu lassen. An einem solchen Hinderungsgrund fehlt es hier. Denn der Kläger, der infolge wirtschaftlicher Bedrängnis Prozeßkostenhilfe in Anspruch nehmen wollte, war jedenfalls nicht gehindert, ein entsprechendes Gesuch um Bewilligung dieser Hilfe fristgerecht bei Gericht einzureichen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kommt in diesen Fällen Wiedereinsetzung grundsätzlich aber nur dann in Betracht, wenn der Beschwerdeführer nicht nur das Gesuch um Prozeßkostenhilfe, sondern auch die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 117 Abs 2 ZPO innerhalb der Beschwerdefrist bei Gericht eingereicht hat, sofern er nicht ohne sein Verschulden auch hieran gehindert war (BSG SozR 1750 § 117 Nrn 1 und 3; vgl auch BVerfG SozR 1750 § 117 Nr 2). Der am 1. März 1986 erlittene Unfall hat den Kläger nicht gehindert, rechtzeitig Prozeßkostenhilfe zu beantragen; denn mit dem am 5. März 1986 eingegangen Schreiben, das der Kläger persönlich unterschrieben hat, ist ein entsprechender Antrag fristgerecht gestellt worden. Der Kläger hat jedoch weder innerhalb der Beschwerdefrist noch alsbald nach Beseitigung eines etwaigen Hindernisses die erforderliche Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht. Hierfür ist ein Entschuldigungsgrund nicht ersichtlich. Bereits in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils war er ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß der Antrag auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Beschwerdefrist beim BSG eingehen müssen. Weder in der Antragsschrift vom 4. März 1986 noch später hat der Kläger vorgetragen, daß er infolge des am 1. März 1986 erlittenen Unfalls außerstande gewesen sei, sich den für diese Erklärung zu benutzenden Vordruck zu beschaffen und bis zum Ablauf der Beschwerdefrist bei Gericht einzureichen. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, könnte sich der Kläger hierauf nicht mehr berufen. Denn auf seinen am 5. März 1986 eingegangenen Antrag ist dem Kläger unter dem 10. März 1986 ein entsprechender Vordruck übersandt worden mit dem Hinweis, daß auch dieser Vordruck innerhalb der Beschwerdefrist beim BSG eingehen müsse und daß - da diese Frist zwischenzeitlich abgelaufen sei - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ggf Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt werden könne. Hierauf hat der Kläger mit handschriftlichem Schreiben vom 21. April 1986 geantwortet, daß er um Zurückstellung seiner Sache bitte, damit er nach seiner Genesung einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen könne. Diesem Schreiben war der zur Ausfüllung übersandte Vordruck nicht beigefügt und ist auch bis heute nicht eingegangen.

Spätestens seit dem 21. April 1986 könnte deshalb nicht mehr davon ausgegangen werden, daß der Kläger krankheitsbedingt außerstande gewesen wäre, den für die genannte Erklärung zu benutzenden Vordruck selbst oder durch einen zu beauftragenden Dritten (zB einen Familienangehörigen) zu beschaffen und ausgefüllt bei Gericht einzureichen. Er konnte auch aufgrund des Schreibens des Gerichts vom 10. März 1986 nicht davon ausgehen, daß er sich hierfür beliebig lange Zeit lassen könne. Denn der Hinweis auf § 67 SGG konnte den Kläger nicht davon entbinden, nunmehr umgehend alles in seinen Kräften stehende zu veranlassen, nämlich den ausgefüllten Vordruck einzureichen, um die für eine Wiedereinsetzung erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Darüber hinaus ist auch nicht einmal vorgetragen oder aus dem vom Kläger eingereichten ärztlichen Attest ersichtlich, daß er infolge des am 1. März 1986 erlittenen Unfalls (Schenkelhalsbruch mit anschließender stationärer Behandlung) gehindert gewesen wäre, zur Wahrung der Beschwerdefrist andere für sich handeln zu lassen. Hatte sich - wie der Kläger vorgetragen hat - bereits ein Anwalt bereitgefunden, zur Fristwahrung die Beschwerde für ihn einzulegen, hätte ein entsprechender Auftrag auch von einer anderen Person - evtl auch vom Kläger fernmündlich - erteilt werden können. Jedenfalls hat der Kläger mit dem Gesuch vom 5. März 1986 nicht alles getan, was von einem gewissenhaften Prozeßführenden nach den Umständen des vorliegenden Falles hätte erwartet werden können.

Dem Kläger muß daher schon wegen der fehlenden Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe versagt werden.

Die von ihm eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unzulässig. Der Kläger kann, worauf in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ebenfalls ausdrücklich hingewiesen worden ist, Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rechtswirksam nur durch beim BSG zugelassene Prozeßbevollmächtigte einlegen lassen (§ 166 Abs 1 SGG). Die von ihm selbst eingelegte Beschwerde entspricht nicht der gesetzlichen Form und muß deshalb als unzulässig verworfen werden (§ 160a Abs 4, § 202 SGG iVm § 574 ZPO, § 169 Satz 3 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652918

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