Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. keine Kostenerstattung für "Elektroakupunktur nach Voll". Leistungspflicht der Krankenkassen für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Die gesetzliche Krankenversicherung ist nicht verpflichtet, die Kosten für Diagnostik bzw Behandlung durch Elektroakupunktur nach Dr Voll (EAV) zu übernehmen (vgl BSG vom 29.9.1998 - B 1 KR 36/97 B).
2. § 135 Abs 1 SGB 5 schließt die Leistungspflicht der Krankenkassen für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden solange aus, bis diese vom Gemeinsamen Bundesausschuss als zweckmäßig anerkannt sind. Hat der Gemeinsame Bundesausschuss über die Anerkennung einer neuen Methode ohne sachlichen Grund nicht oder nicht zeitgerecht entschieden, kann ausnahmsweise ein Kostenerstattungsanspruch des Versicherten nach § 13 Abs 3 SGB 5 in Betracht kommen, wenn die Wirksamkeit der Methode festgestellt wird (vgl BSG vom 16.9.1997 - 1 RK 28/95 = BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4).
3. Das BVerfG hat die Vorschriften des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung verfassungsrechtlich nicht beanstandet oder für nichtig erklärt. Ausdrücklich bestätigt hat es, dass ein Verfahren vorzusehen ist, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).
Normenkette
BUBRL-Ä; GG Art. 2 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1, Art. 20 Abs. 1, 3, Art. 28 Abs. 1 S. 1; SGB 5 § 2 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2, § 12 Abs. 1 S. 1, § 13 Abs. 3, § 27 Abs. 1 S. 1, § 70 Abs. 1, § 76 Abs. 1 S. 1, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5, Abs. 7, § 135 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Gründe
Streitig ist die Übernahme der Kosten für Diagnostik bzw Behandlung durch Elektroakupunktur nach Dr. Voll (EAV).
Mit einem am 4. November 2003 gestellten Antrag auf Kostenübernahme für die Diagnostik bzw Behandlung eines Herdgeschehens im Kiefer durch EAV ist der Kläger bei der Beklagten (Bescheid vom 7. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2004) sowie vor dem Sozialgericht Freiburg (Gerichtsbescheid vom 21. Juni 2005) und dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG, Urteil vom 14. März 2006) erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Behandlung und Diagnostik mittels EAV seien keine Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). § 135 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) schließe die Leistungspflicht der Krankenkasse für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden solange aus, bis diese vom zuständigen Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (Bundesausschuss) als zweckmäßig erkannt seien. Bei der EAV handele es sich um eine als neu einzustufende Behandlungsmethode, die jedoch nach der Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses im Beschluss vom 10. Dezember 1999 in den Katalog der Leistungen aufgenommen wurde, die nicht von den gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden dürften (Anlage B Nr 1 der Richtlinien zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden - BUB - RL). Dadurch werde nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der Umfang, der dem Versicherten durch die Krankenkasse geschuldeten ambulanten Leistungen - verfassungsrechtlich unbedenklich - verbindlich festgelegt. Der BUB-RL unterfielen auch Behandlungsmethoden der besonderen Therapierichtungen, sodass in Übereinstimmung mit dem BSG nicht habe entschieden werden müssen, ob es sich bei der EAV um eine solche Methode handele. Anhaltspunkte für ein Systemversagen lägen nicht vor. Auf den Einwand des Klägers, es handele sich um die bei ihm einzig wirksame Methode, komme es nicht an, denn die Erbringung oder die Erstattung der Kosten einer Leistung erfolge in der GKV nicht nach dem Erfolgsprinzip. Ein Verstoß gegen Art 2 Abs 1 und 2 Grundgesetz (GG) sei angesichts des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht gegeben. Aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten folge kein Anspruch gegen die Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen.
Der Kläger hat persönlich gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Beschwerde eingelegt und die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für das Beschwerdeverfahren beantragt.
Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann nicht entsprochen werden. Der Senat hat die beigezogenen Gerichtsakten geprüft und ist danach sowie unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers im vorliegenden Verfahren zu dem Ergebnis gekommen, dass die weitere Rechtsverfolgung durch den Kläger keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 73 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫). Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 166 Abs 2 SGG) in der Lage wäre, die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hinreichend zu begründen.
Die Revision darf gemäß § 160 Abs 2 SGG nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder das Urteil von einer Entscheidung des BSG oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Von diesen Zulassungsgründen ist hier keiner ersichtlich.
Der Senat sieht zunächst keine Veranlassung, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) zuzulassen. Klärungsbedürftige Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG werden durch das vorliegende Verfahren nicht aufgeworfen. Das BSG hat, worauf das LSG hingewiesen hat, bereits entschieden, dass die GKV nicht verpflichtet sei, die Kosten für die Leistung EAV zu übernehmen (vgl BSG, Beschluss vom 29. September 1998 - B 1 KR 36/97 B; JURIS). Hierbei hat der zuständige 1. Senat des BSG seine über Jahre hinweg entwickelten Grundsätze angewendet. Danach schließt § 135 Abs 1 SGB V die Leistungspflicht der Krankenkassen für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden solange aus, bis diese vom zuständigen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen als zweckmäßig anerkannt sind. Habe der Bundesausschuss über die Anerkennung einer neuen Methode ohne sachlichen Grund nicht oder nicht zeitgerecht entschieden, könne ausnahmsweise ein Kostenerstattungsanspruch des Versicherten nach § 13 Abs 3 SGB V in Betracht kommen, wenn die Wirksamkeit der Methode festgestellt werde (BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4). Die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses im Hinblick auf die EAV ist am 10. Dezember 1999 erfolgt. Er hat die EAV aus dem Leistungskatalog der GKV ausgenommen.
Gründe, die Entscheidung des BSG einer erneuten Überprüfung zu unterziehen, sind nicht ersichtlich. Auch die Entscheidung des BVerfG vom 6. Dezember 2005 (SozR 4-2500 § 27 Nr 5) bietet keinen Anlass, die sich im vorliegenden Fall stellenden Fragen als erneut grundsätzlich klärungsbedürftig zu bewerten. Das BVerfG hat die Vorschriften des Leistungsrechts der GKV verfassungsrechtlich nicht beanstandet oder für nichtig erklärt. Ausdrücklich bestätigt hat es, dass ein Verfahren vorzusehen ist, in dem neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit geprüft werden, um die Anwendung dieser Methoden zu Lasten der GKV auf eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen. Die Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses hat es nicht erörtert, weil es hierauf nach der Lösung des BVerfG nicht ankam. Insoweit verbleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung des BSG (vgl zB BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, dazu BVerfG, Beschluss vom 14. Februar 2006 - 1 BvR 1917/05; BSG, Urteil vom 31. Mai 2006 - B 6 KA 13/05 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Das BVerfG hat lediglich die Auffassung vertreten, die im Grundsatz verfassungsgemäßen Vorschriften des SGB V seien im Urteil des 1. Senats des BSG vom 16. September 1997 verfassungswidrig ausgelegt worden. Es nimmt, sollte eine bestimmte neue Behandlungsmethode im Rahmen der GKV ausgeschlossen sein, - bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - einen Verstoß gegen das GG ua dann an, wenn es eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung zu behandeln gilt. Das ist hier nach den Feststellungen des LSG nicht der Fall und wird vom Kläger ersichtlich auch nicht geltend gemacht.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtslage ergeben sich auch keine Anhaltspunkte für den möglichen Erfolg einer Divergenzrüge nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG.
Ebenso wenig ist ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zu erkennen. Nach dieser Vorschrift ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 (frei richterliche Beweiswürdigung) SGG und eine Verletzung des § 103 (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Derartige Gründe sind nicht ersichtlich.
Soweit der Kläger vorbringt, das LSG sei von falschen medizinischen Aussagen ausgegangen, stellt er lediglich seine Wertung der medizinischen Vorgänge derjenigen des LSG entgegen. Er rügt dazu die Beweiswürdigung der Vorinstanz, womit er nach der ausdrücklichen Regelung in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gehört werden kann. Selbst wenn sein Vorbringen dahingehend zu verstehen sein sollte, er begehre eine weitere Beweiserhebung zum Krankheitsgeschehen, dessen Ursachen und/oder der Wirksamkeit der EAV bei ihm, kann die Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg führen. Hierauf kommt es unter Berücksichtigung der oben dargelegten Rechtsauffassung des LSG nicht an.
Da dem Kläger Prozesskostenhilfe nicht zusteht, scheidet auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 73a SGG, § 121 ZPO aus.
Die von dem Kläger persönlich angebrachte Nichtzulassungsbeschwerde ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht von einem vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 166 SGG) eingelegt worden ist (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen