Leitsatz (amtlich)
Bei Leistungsklagen nach SGG § 54 Abs 4 und 5 steht es im nicht nachprüfbaren Ermessen des Gerichts, ob es ein Grundurteil erlassen will.
Leitsatz (redaktionell)
Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit können auch dann über den Grund des Anspruchs vorabentscheiden, wenn die Höhe der Leistung ohne weitere Ermittlungen berechnet werden kann.
Durch den Erlaß eines Grundurteils kann in den in SGG § 130 vorgesehenen Fällen das Verfahren keinesfalls fehlerhaft werden.
Normenkette
SGG § 54 Abs. 5 Fassung: 1953-09-03, § 130 Fassung: 1953-09-03, § 54 Abs. 4 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 21. August 1956 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Der Kläger beantragte am 30. Oktober 1953 die Gewährung von Witwerrente. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 5. Dezember 1953 mit der Begründung ab, daß die Voraussetzungen des § 1257 Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erfüllt seien, weil die Ehefrau des Klägers vor ihrem Tode ihre Familie nicht überwiegend unterhalten habe. Das Sozialgericht hob den angefochtenen Bescheid auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger Witwerrente zu gewähren; es nahm im Gegensatz zu der Beklagten an, daß auch diese Voraussetzung des § 1257 RVO erfüllt sei. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht durch Urteil vom 21. August 1956 zurück, weil es ebenfalls alle Voraussetzungen des § 1257 RVO a. F. als erfüllt ansah. Es stellte außerdem klar, daß es sich um ein Grundurteil handelt.
Die sich gegen dieses Urteil richtende Revision der Beklagten ist zwar form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, sie ist jedoch nach § 162 Abs. 1 Nr. 1-3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht statthaft. Da das Landessozialgericht die Revision nicht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) und das Gesetz bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG schon deshalb nicht verletzt sein kann, weil über einen Ursachenzusammenhang dieser Art nicht entschieden worden ist und auch nicht zu entscheiden war, hätte sie nur statthaft sein können, wenn einer der von der Beklagten gerügten Verfahrensmängel durchgreifen würde (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Beklagte rügt, das Sozialgericht habe sich nicht auf den Erlaß eines Grundurteils beschränken dürfen und das Landessozialgericht habe, anstatt dieses fehlerhafte Verfahren durch Zurückweisung der Berufung fortzusetzen, seinerseits auch über die Höhe des Anspruchs entscheiden müssen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann das Verfahren des Landessozialgerichts aber schon deshalb nicht fehlerhaft sein, weil es nach § 130 SGG bei Leistungsklagen nach § 54 Abs. 4 und 5 SGG im freien Ermessen des Gerichts steht, ob es über den Grund des Anspruchs vorab entscheiden will. Eine Nachprüfung der Anwendung dieses Ermessens durch die höhere Instanz ist ausgeschlossen (vgl. dazu Baumbach, Komm. z. ZPO, 22. Aufl., Anm. 4 B b aa, Stein-Jonas-Schönke, Komm. z. ZPO, 18. Aufl., Anm. II 1 zu § 304). Diese Regelung weicht von der des § 1668 RVO a. F., nach welcher ein Grundurteil nur ausnahmsweise ergehen durfte, ab. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit können also entgegen der Ansicht der Beklagten auch dann über den Grund des Anspruchs vorab entscheiden, wenn die Höhe der Leistung ohne weitere Ermittlungen berechnet werden kann. Das Gericht wird zwar in den Fällen, in denen die Festsetzung der Leistungshöhe ohne Schwierigkeit möglich ist, zweckmäßigerweise auch über die Höhe des Anspruchs entscheiden. Welchen Weg es aber beschreitet, liegt in seinem durch die höhere Instanz nicht nachprüfbaren Ermessen. Durch den Erlaß eines Grundurteils kann daher in den in § 130 SGG vorgesehenen Fällen das Verfahren keinesfalls fehlerhaft werden.
Die Beklagte rügt weiter, das Urteil lasse nicht erkennen, daß es sich um ein Grundurteil handele. Es bedarf keiner Entscheidung, ob in dem Fehlen eines solchen Hinweises ein wesentlicher Verfahrensmangel zu erblicken ist; denn die Beklagte übersieht, daß jedenfalls das Landessozialgericht ausdrücklich klargestellt hat, daß es sich um ein Grundurteil handelt. Dies ist als ausreichend anzusehen. Ob das Verfahren des Sozialgerichts in dieser Hinsicht an einem Mangel leidet, bedurfte keiner Entscheidung, da hier nur bedeutsam ist, ob das Verfahren des Landessozialgerichts an einem Mangel leidet. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Die Beklagte rügt weiter, das Landessozialgericht habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt und das Recht der freien Beweiswürdigung überschritten; aus verschiedenen Sätzen des angefochtenen Urteils müsse entnommen werden, daß das Landessozialgericht nicht von dem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen überzeugt gewesen sei. Auch diese Rüge greift nicht durch. Das Landessozialgericht hat sich zwar verschiedentlich nicht mit gleicher Bestimmtheit ausgedrückt, jedoch ergibt sich aus dem Gesamtinhalt des Urteils eindeutig, daß es von dem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen voll überzeugt war.
Da somit keiner dieser Verfahrensrügen durchgreift, ist die Revision nicht statthaft. Sie mußte daher nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenerstattung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen