Verfahrensgang
SG Chemnitz (Entscheidung vom 10.11.2021; Aktenzeichen S 32 SB 461/20) |
Sächsisches LSG (Urteil vom 24.04.2024; Aktenzeichen L 8 SB 194/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 24. April 2024 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Feststellung eines Grads der Behinderung (GdB) von mindestens 50 anstatt des zuerkannten GdB von 40. Diesem Antrag hat das SG ua nach Einholung eines orthopädisch-rheumatologischen Sachverständigengutachtens insoweit entsprochen, als bei dem Kläger ab Antragstellung ein GdB von 50 festzustellen sei. Entgegen dem SG hat das LSG nach Beiziehung von Befundberichten der behandelnden Ärzte und Einholung eines weiteren orthopädisch-rheumatologischen Sachverständigengutachtens den Anspruch verneint, weil nach dem überzeugenden Ergebnis des im Berufungsverfahren eingeholten Gutachtens beim Kläger lediglich ein GdB von 40 festzustellen sei (Urteil vom 24.4.2024).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt und Verfahrensmängel geltend gemacht.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die allein geltend gemachten Verfahrensmängel nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für seine Bezeichnung die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Entgegen dieser gesetzlichen Anforderungen bezieht sich die Beschwerdebegründung jedoch nicht auf einen Beweisantrag des bereits im Berufungsverfahren anwaltlich vertretenen Klägers, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt wäre. Die bloße Rüge, das LSG sei seiner Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nicht nachgekommen, weil ein weiteres Gutachten erforderlich gewesen wäre, um eine objektive und faire Entscheidung zu ermöglichen, genügt insoweit nicht (vgl allgemein zu den Darlegungsanforderungen an eine Sachaufklärungsrüge BSG Beschluss vom 9.1.2023 - B 9 SB 24/22 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 26.10.2022 - B 5 R 105/22 B - juris RdNr 6, jeweils mwN). Der Kläger hat auch nicht aufgezeigt, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG zu Protokoll aufrecht erhalten zu haben (vgl zu diesem Erfordernis BSG Beschluss vom 16.1.2023 - B 9 V 14/22 B - juris RdNr 17 mwN).
Soweit der Kläger mit seinem Vortrag, das LSG sei zu Unrecht nicht der für ihn günstigeren Beurteilung des Gesamt-GdB der im erstinstanzlichen Verfahren gehörten Sachverständigen gefolgt, und die Nichteinholung eines weiteren Gutachtens habe für ihn keine "objektive und faire Entscheidung" ermöglicht, sinngemäß eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) rügen wollte, reicht sein diesbezügliches Vorbringen ebenfalls nicht aus. Unabhängig davon, dass die - hier nicht erfüllten - Darlegungsanforderungen an eine Sachaufklärungsrüge nicht dadurch umgangen werden können, dass der Vorhalt einer unzureichenden Sachaufklärung in der Gestalt einer Gehörsrüge geltend gemacht wird (vgl BSG Beschluss vom 29.4.2019 - B 9 SB 8/19 B - juris RdNr 10 mwN), hat der Kläger auch insoweit einen solchen Verstoß nicht schlüssig und nachvollziehbar dargetan. Soweit er eine Überraschungsentscheidung rügen wollte, liegt eine solche nur vor, wenn das angegriffene Urteil auf Gesichtspunkte gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und der Rechtsstreit dadurch eine unerwartete Wendung nimmt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 3.3.2022 - B 9 V 37/21 B - juris RdNr 11 mwN). Hierzu hätte der Kläger vorbringen müssen, dass er unter keinen Umständen mit der vom LSG getroffenen Sachentscheidung habe rechnen können. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (BSG Beschluss vom 18.6.2018 - B 9 V 1/18 B - juris RdNr 22 mwN). Zudem gehört es zu den Aufgaben des Tatsachengerichts, sich im Rahmen der Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) mit einander widersprechenden Gutachtenergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten oder eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme einholen zu müssen (vgl BSG Beschluss vom 11.2.2020 - B 9 SB 49/19 B - juris RdNr 7 mwN). Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört - wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse - zur Beweiswürdigung (vgl BSG Beschluss vom 24.6.2020 - B 9 SB 79/19 B - juris RdNr 11). Diese ist jedoch im Beschwerdeverfahren gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG der Beurteilung des BSG vollständig entzogen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.3.2024 - B 9 SB 32/23 B - juris RdNr 16 mwN).
Soweit der Kläger schließlich rügt, der nach § 153 Abs 5 SGG am 10.11.2023 ergangene Übertragungsbeschluss des LSG-Senats auf die Berichterstatterin zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern verletze sein Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art 101 Abs 1 Satz 2 GG, weil er ohne Begründung ergangen sei, hat er auch keinen Verfahrensfehler aufgezeigt. Nach § 142 Abs 2 Satz 1 SGG sind Beschlüsse nur zu begründen, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über einen Rechtsbehelf entscheiden. Stets zu begründen sind nach Abs 2 Satz 2 der Vorschrift Beschlüsse im einstweiligen Rechtsschutz oder nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. Der unanfechtbare Beschluss nach § 153 Abs 5 SGG gehört hierzu nicht (BSG Beschluss vom 27.5.2020 - B 9 SB 67/19 B - juris RdNr 8). Sofern der Kläger der Auffassung sein sollte, das LSG habe mit dem Übertragungsbeschluss die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten, hätte er diese Ansicht im Einzelnen begründen müssen. Insbesondere hätte es eines näheren Eingehens auf die relevanten Ermessenskriterien bedurft (vgl BSG Beschluss vom 27.5.2020 - B 9 SB 67/19 B - juris RdNr 9 mwN). Daran fehlt es. Der bloße Hinweis auf das Vorliegen divergierender Sachverständigengutachten reicht hier nicht aus. Denn die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört - wie bereits ausgeführt - zur Beweiswürdigung und damit zu den Kernaufgaben der Tatsacheninstanz (BSG Beschluss vom 11.7.2022 - B 9 V 3/22 B - juris RdNr 15). Schließlich legt der Kläger trotz der Beschränkung der Prüfungsbefugnis des BSG nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 557 Abs 2 ZPO nicht dar, dass er bereits vor dem LSG die Übertragung auf die Berichterstatterin als unzulässig gerügt habe (vgl BSG Beschluss vom 7.7.2016 - B 9 V 22/16 B - juris RdNr 5).
Dass der Kläger die Entscheidung des LSG insgesamt für verfehlt und inhaltlich unrichtig hält, eröffnet die Revisionsinstanz nicht (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 31.7.2023 - B 9 V 2/23 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 6.7.2022 - B 10 EG 2/22 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 29.10.2019 - B 13 R 129/19 B - juris RdNr 5).
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Kaltenstein |
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B. Schmidt |
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Othmer |
Fundstellen
Dokument-Index HI16708816 |